20. Die Zauberer von Ake-dabo

[81] Da gibt es eine Stadt, die heißt Maba. Und in der Nähe der Stadt liegt ein Gehöft das heißt Ake-dabo. Die Leute, welche dort wohnten, waren alle Zauberer. Diese Zauberer zogen gern auf Raub aus, so auch über See nach Mira, dem Hauptplatze der Insel Morobay; und wenn sie heimfuhren, mußte, wie immer, ein Mann in Mira sterben. Wenn die Zauberer auf Raub auszogen, dann nahmen sie einen langen Bambusknüppel mit; damit schlichen sie sich an die Häuser heran, lüfteten das Dach, und wenn die Leute schliefen, drückten sie mit dem Knüppel auf ihre Brust, so daß sie keinen Atem holen konnten und sterben mußten; und wenn sie dann tot da lagen, holten sie sich die Leber heraus und fraßen die auf.

Einst fuhr nun ein Boot mit Tobelloresen nach der andern Seite nach Maba hinüber; das machte an dem Anlegeplatz der Zauberer fest; die Leute gingen an Land, und zogen dann das Boot auf den Strand hinauf aufs Trockene. In der Nacht [81] fuhren aber die Zauberer damit los, und als die Tobelloresen das merkten, schlich, sich einer von diesen guten Menschen in das Boot und versteckte sich darin. Er ließ sich in eine Sagoblattmatte einwickeln, die seine Gefährten dann auf der Ducht hinlegten.

Er wachte, während seine Gefährten am Land sich in einer Hütte zum Schlafen niederlegten. Es dauerte denn auch gar nicht lange, da erschienen wirklich die Zauberer und schoben das Boot ins Wasser. Und nun lauschte der gute Mann ihrem Tun. Vorsichtig, damit das Boot nicht den Sand streifte und dieser knirschte, schoben sie es ins Meer; dann flogen sie damit über das Meer fort nach Mira. Und als sie dort angekommen waren, zogen die Zauberer das Boot auf den Strand und verstreuten sich; sie wollten sich zu essen suchen.

Der gute Mann blieb mäuschenstill im Boote liegen. Er mußte lange so liegen bleiben, erst beim ersten Hahnenschrei kamen die Zauberer wieder, zogen das Boot ins Wasser und kehrten nach ihrem Dorfe heim. Als sie losfuhren und unterwegs waren, fragte einer den andern: »Na, habt ihr Erfolg gehabt?« Zwei antworteten: »Nein, wir hatten Pech.« Doch die beiden andern sagten, sie hätten Glück gehabt; und dann teilten sie die Lebern untereinander und aßen sie auf.

Der gute Mann paßte genau auf. Und wie sie nun ein Stückchen Leber auf die Ducht legten, da griff der gute Mann rasch nach der Leber. Der eine Zauberer tastete überall herum, doch fand er natürlich nichts. Und am andern Morgen zeigte der gute Mann die Leber seinen Gefährten und sagte: »Heute Nacht bin ich mit ihnen gefahren; sie sind in Mira gewesen.«

Da ergrimmten die guten Menschen und zogen sogleich nach dem Dorf der Zauberer. Sie schalten sie und sagten: »Ihr seid hier sämtlich Zauberer und Werwölfe.« Doch die redeten dagegen und erklärten: »Nein, wir sind sämtlich gute Menschen; ihr habt uns gekränkt, und so wollen wir unbedingt vor den Richter ziehen, der soll entscheiden.« Und da es für den Tag schon zu spät war, wurde die Verhandlung am andern [82] Tage fortgesetzt; da zeigten sie die Leber und lieferten damit den eindeutigen Beweis für ihre Behauptung.

Nun schlugen die guten Menschen ein Pfahlgerüst auf dem Riffe auf, sägten dabei jedoch die Tragepfeiler unten durch. Als sich dann die Parteien versammelten, um das Recht sprechen zu lassen, trafen sich die Zauberer, die Werwölfe, auf dem Pfahlgerüst, die guten Menschen blieben in der Nähe stehen. Die Verhandlung ging ihren Gang, und als die guten Menschen das Stückchen Leber vorwiesen, da konnten die andern nichts mehr dagegen einwenden. Was sollten die Zauberer jetzt beginnen? Vor Wut schüttelten sie an den Gerüstpfeilern, die bald zusammenbrachen, und alle Zauberer mußten elendiglich umkommen. Nur einem Zauberer, dem Anführer, – sieh da! – gelang es, im Augenblick, wo das Gerüst einstürzte, mit den Armen eine Bewegung zu machen, als ob er fliegen wollte. Und er flog auch; nach einem hohen Baum flog er und verbarg sich darin. Wenn nun auch alle anderen Werwölfe vernichtet waren, der eine genügte doch, um das Geschlecht der Werwölfe nicht aussterben zu lassen. Er wurde der Vater der vielen Vampire, die noch heute ihr Unwesen treiben.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 81-83.
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