[111] Polednice.

Der altböhmische Glossator Wacehrad nennt die Wald- und Baumnymphen (Dryades) poludnice.1 Nach Jungmann dagegen ist die Poludnice oder Polednice ein zu Mittag herumgehendes Gespenst, oder eine Hexe, die mit dem Wirbel im Staube fliegen soll. Sie wird auch bába genannt und geht ums Dorf und schlägt diejenigen, welche nicht gebetet haben, über die Beine.2 Im Wirbelwinde sitzt auch noch nach heutigem Volksglauben ein Teufel oder eine Hexe. Daher soll man dem Wirbelwind ausweichen, wenn man ihn sieht, damit man durch die Berührung desselben nicht eine Krankheit davontrage. Jungmann kennt auch einen Poledniček; nach Hauška durchsucht er zu Mittag Felder und Wälder; wer ihn beschimpft, den schädigt er.3 Die altböhmischen Wörterbücher (Voc. Roskochany, Lex. Welessini und Nomenclator) übersetzen, ähnlich wie Wacehrad Poludnice mit Satyrus, dem durchtriebenen, neckenden Wald- und Berggeiste der Griechen. In der Lausitz heißt das Mittagsgespenst Připolniza, die in weißer Kleidung eine Sichel in der Hand zu Mittag durch die Felder schreitet und diejenigen, die sich bei der Feldarbeit verspätet haben, einem scharfen Verhör über den Flachsbau unterzieht und sie zu Tode fragt. Haupt hält sie für die koboldartige Personification[111] der ebenfalls am hellen Mittag wandelnden Mara.4 Bei den Russen erscheint das Mittagsgespenst zur Zeit der Ernte als eine klagende Frau, bei deren Nahen sich der Russe zu Boden wirft, sonst zerbricht sie ihm Hände und Füße. Die Polen nennen sie dzievanna, dzievica, die auch in der Lausitz bei hellem Mittag durch die Wälder jagt.5 Die Polednice, wie sie Jungmann schildert, vergleicht sich mit der Herodias des deutschen Volksglaubens, welche, weil sie Schuld war an der Enthauptung des Johannes, ewig im Wirbel durch die Welt fahren muß. Hanuš erkennt in ihr eine Gestalt der Morana, der Jedžibaba.6 Ein ihr verwandtes Gespenst scheint die noční poluda, das Nachtgespenst. Im Nachfolgenden gebe ich das, was ich nach mündlicher Mittheilung aus dem Volke aufgezeichnet habe.


In der Mittagsstunde geht in Böhmen eine Frau um, die heißt Polednice. Sie ist entweder weiß oder auch roth gekleidet und erscheint insbesondere Sechswöchnerinnen, wenn sie sich in der Mittagszeit im Freien blicken lassen. Daher sieht man streng darauf, daß solche Frauen um zwölf Uhr Mittags zu Hause sind. Ebenso wenig dürfen sie des Abends nach dem Feierabendläuten aus der Stube gehn.

In Přibram gieng einmal eine Sechswöchnerin aufs Feld, um den Schnittern, die dort Garben banden, das Mittagsessen zu bringen. Die Schnitter erschracken gleich, wie sie die Frau kommen sahen, und warnten sie und sagten, sie sollte eilen,[112] daß sie vor dem Mittagsläuten nach Hause komme. Die Wöchnerin aber lachte über die Furcht ihrer Leute und sagte, daß sie warten und das leere Geschirr wieder mitnehmen wolle. Sie setzte sich daher zu den Schnittern ins Gras und plauderte. Auf einmal entstand ein großer Wirbelwind, und die Frau war mitten aus den erschrockenen Schnittern verschwunden. Erst nach Jahr und Tag kam sie wieder nach Hause. Die Polednice sagte man, habe sie entführt und im Wirbelwind herumgetragen. (E. Klauczek aus Prag.)

Ein Weib aus Wlaschim, das in den sechs Wochen war, hatte Wäsche gewaschen und trug das schmutzige Wasser hinaus in den Hof, um es auszugießen. Gerade läutete es Mittag. Da erfaßte das Weib plötzlich ein Schauer, sie blickt auf und sieht eine weiße Frau vor sich mit einem großen rothen Tuche, die spritzt ihr das Wasser drei Mal ins Gesicht und spricht: »Du gehörst ins Bett, aber nicht um Mittag auf die Straße.« Gleich darauf war das Gespenst verschwunden. (R. Czermak aus Prag.)

Ein andermal gieng ein Weib, das ebenfalls in den Sechswochen war, in der Mittagsstunde hinaus und ließ ihr Kind allein im Bette. Plötzlich hörte sie in der Stube, wo ihr Kind lag, einen Schlag. Sie eilt in das Zimmer und sieht das Bett in Flammen, und eine weiße luftige Gestalt, die sich über das Kind beugt. Sie schreit auf und ruft alle Nachbarinnen zusammen. Die weiße Frau entweicht, aber in ihren Armen hält sie ein Kind. Da stürzt die arme Mutter voll Verzweiflung in die Stube; aber die Flammen sind verschwunden und in dem Bette liegt ein Kind, das hatte einen viel größeren Kopf als das[113] frühere. Da sagten die Leute, die Polednice habe das Kind ausgetauscht. (R. Czermak aus Prag.)

1

Hanka, Zbírka p. 6.

2

Jungmann, Slovník.

3

Časop. k.č. Mus. 39. 58.

4

Haupt, Sagenbuch der Lausitz S. 71.

5

Grimm, Mythol. 446. 886.

6

Bájesl. kal. č. 191. 197.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 111-114.
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