Die Waldjungfern.

[121] Waldnymphen (Dryades) kennt in Böhmen schon Cosmas und Wacehrad; Letzterer nennt sie Polednice; bei den Serben heißen sie Vilen; jetzt nennt man sie in Böhmen lesní panny Waldjungfern oder divé ženy wilde Weiber. In den heutigen Volkssagen werden sie bald edler, bald niedriger gehalten.1 In der Nacht vor Johannis dem Täufer sollen sie[121] die meiste Gewalt über den Menschen haben; deshalb ist es nicht rathsam, um die Zeit in den Wald zu gehen.2 Vernaleken erzählt von ihnen Folgendes:

Die wilden Weiber in der Umgegend von Moldautein sind groß und furchteinflößend, das Gesicht ist mit Borsten bewachsenen Warzen bedeckt, der Mund breit. Das rechte Auge ist schwarz und liegt tiefer als das linke, welches blau ist. Die rothen Haare hängen ungekämmt bis zur Mitte des Leibes herab.

Die Wohnung der wilden Weiber ist eine unterirdische vielfach verzweigte Höhle, welche nur durch eine Oellampe matt erleuchtet wird und in die eine einzige Fallthüre führt, mit Moos und Steinen bedeckt und so verzaubert, daß kein Mensch dieselbe zu finden im Stande ist.

Die wilden Weiber sind böse Geister, welche den Menschen jeden nur möglichen Schaden verursachen; sie rauben den Hirten oft ein Stück Vieh von der Heerde, die auf der Wiese weidet und stehlen Garben vom Felde oder Früchte von den Bäumen und schleppen hierauf die Beute in ihre Höhle. Das Getreide wird zermalmt und aus dem Mehle verstehen sie auch Brod zu backen. Der Ofen befindet sich unweit der Fallthüre. Ist es ihnen unmöglich, diese Nahrungsmittel zu bekommen, so erjagen sie sich einiges Wild und fangen Fische.

Die wilden Weiber verstehen es, giftige Schlangen zahm[122] und unschädlich zu machen; sie kennen überhaupt die geheimen Kräfte der Natur; so bereiten sie aus den verschiedenartigsten Kräutern und Wurzeln eine Salbe, mit der sie ihren Körper einschmieren, bevor sie aus der Höhle ins Freie fliegen, um so den Körper leichter zum Fluge zu machen; Flügel jedoch haben dieselben nicht. Die wilden Weiber lieben Musik und Tanz, der von ihnen bei einem heftigen Sturme mit der ausgelassensten Wildheit in der Luft ausgeführt wird.

Auf Nahrungsraub gehen sie in der Nacht aus und wählen dazu meist stürmische Nächte. Die wilden Weiber sind unverheirathet, da sie jedoch Kinder haben wollen, so stehlen sie diese den Menschen. Auf diese Weise pflanzen sie ihr Geschlecht fort. Um Kinder zu rauben, brauchen die wilden Weiber nicht Gewalt, sondern nur List. Bei ihren Raubzügen handhaben sie gewöhnlich lange, dicke Knotenstöcke, welche mit Schlangen umwunden werden, oder sie halten auch wohl nur die Schlange allein in der Hand.

In mondhellen Nächten versammeln sich die wilden Weiber an den Ufern der Flüsse und Teiche und erfreuen sich da an der glatten von dem Monde beschienenen Wasserfläche und den funkelnden Sternen. Die wilden Weiber thun dieses darum, weil sie in ihrer Wohnung wenig Licht haben. Auch sitzen sie am Ufer und spinnen Flachs zu Hemd und Röcken. (Mythen u. Br. S. 248.)

1

Vergl. Čelakowsky's schönes Gedicht: Thomas und die Waldfrau. Nachhall böhm. Volkslider.

2

Wenzig, Westsl. Märchenschatz S. 317.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 121-123.
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