2. Der Stock im Eisen.

[7] Das eigentliche und älteste Wahrzeichen Wiens, von dem mehr als eine Sage erzählt wird, ist der sogenannte Stock im Eisen, an dem Hause gleiches Namens, nicht weit von St. Stephans Münster.

Ein armer Schlosserlehrling entwandte seinem Meister einen überaus künstlichen Nagel, welcher bei dem Bau eines Jagdschlosses Herzog Leopold des Heiligen verwendet werden sollte, das im Wiener-Walde errichtet wurde. Bei der Heimkehr verirrte er sich in das Walddickicht.

Im Walde stand ein besonderer Baum, zu dem der Verirrte immer wieder gelangte, so daß er endlich ganz erschöpft und weinend unter diesen Baum auf das weiche Moos sank, und da wurde er inne, daß er sich eines großen Fehlers schuldig gemacht durch den Diebstahl, schämte sich aber doch, sein Verbrechen einzugestehen, wollte jedoch auch den Nagel nicht behalten und schlug ihn in den Baum.

Und wie er den Nagel in den Baum geschlagen hatte, so stand der böse Feind neben ihm, und sprach: »Den gestohlenen Nagel kannst Du wohl einschlagen; könntest Du aber einen solchen Nagel und ein Schloß machen, das diesen Baum vor Axt und Säge schützte, so wäre Dir geholfen.«[8]

Der Junge erschrak zwar sehr, doch faßte er einen frischen Muth und sprach: »Ich habe deß wohl Lust und Muth, solch Schloß fertigen zu lernen, so Ihr mir's lehren wollt und könnt.«

Der Teufel sagte: »Topp!« und hieß den Jungen mit sich gehen, der nun einen Bund mit ihm machte und von ihm Lehre und Unterweisung erhielt, so künstliche Schlösser zu verfertigen, wie Niemand in der Welt. Diese Schlösser vermochte kein anderer Schlossermeister zu öffnen, und so verdiente der junge Meister viel Gut und Geld und wurde ein reicher und angesehener Mann. Neben jenem Nagel schlug er einen ganz gleichen ein, zum Zeichen, daß er seinem Meister gleich sey an Kunstfertigkeit, und umgab den Baum, dessen obern Theil er absägte, so daß nur noch ein Stock dastand, mit einem starken Eisenringe, hing auch ein Schloß daran, welches kein Mensch zu öffnen vermochte, und lebte herrlich und in Freuden.

Endlich so kam die Zeit, daß der Pact um war, den der Schlosser mit dem Bösen geschlossen, und dieser gedachte ihn zu holen. Jedoch der Schlosser hatte längst bereut, sich mit dem Feinde eingelassen zu haben, und ging jeden Morgen in die Kirche, eine Messe zu hören. Die Kraft der Messe aber schützte den Frommen je vierundzwanzig Stunden lang, das wußte er gar wohl, und deshalb hörte er sie täglich, und der Böse, der auf ihn lauerte, konnte ihm nichts anhaben. Eines Tages ging er in einen Keller auf St. Peters Platze, allda vor Anfang der Kirche ein Glas Wein zum Morgenimbiß zu trinken, und verspätete sich in[9] etwas. Als er endlich doch zur Kirche schritt, begegnete ihm ein altes Weib, das rief ihm zu: »Zu spät! zu spät! Die heilige Messe ist schon gelesen!« Da ließ sich der Schlosser bethören und kehrte um, und ging wieder in den Keller, noch ein Glas Wein zu trinken; kaum aber setzte er den Becher an die Lippen, so trat das alte Weib von vorhin, das Niemand anders, als der Teufel war, auch herein, faßte und würgte ihn, drehte ihm den Hals um und hing ihn an die Wand an einen Haken.

Nach der Hand kamen gar viele geschickte Schlosser und probirten, das Schloß zu öffnen, doch vergebens, und als später Wien sich immer mehr anbaute und vergrößerte, ließ man den Stock im Eisen zum Wahrzeichen stehen, daß bis in diese Gegend sich der Wiener-Wald vor Zeiten erstreckt, und jeder wandernde Schlossergesell schlug einen Nagel hinein, so daß er voller Nägel wurde.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 7-10.
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