3. Der Stock im Eisen.
Zweite Sage.

[10] Als der Stock mit den wunderkünstlichen Nägeln schon lange stand und ihn um und um die Stadt Wien umgab, da ließ der hochweise Rath gemeiner Stadt an sein Eisenband ein gar künstlich Schloß[10] machen und anlegen. Dieses Schloß verfertigte ein fremder Geselle, der von weiter Ferne hergekommen war, so weit, daß Niemand recht eigentlich wußte, wo dessen Heimath sey. Wie nun das Schloß am Stocke hing, so fragte der Stadtrath nach dem Preise für die schöne und künstliche Arbeit. Da forderte der Gesell einen gar hohen und schier unerschwinglichen Lohn. Deß erschraken der Rath und die Stadtältesten und weigerten dem Gesellen die Zahlung. Darauf ergriff dieser sofort den Schlüssel, schleuderte ihn mit einem Fluche hoch in die Luft und hub sich von dannen. Der Schlüssel soll heute noch herunterfallen. Nun schrieb der Rath einen hohen Preis aus für Den, welcher im Stande sey, das Schloß zu öffnen und einen dazu passenden Schlüssel anzufertigen. Viele Schlosser wollten den Preis gewinnen, fertigten Schlüssel auf Schlüssel, aber es begab sich, daß jedesmal, so oft einer den Schlüssel in die Esse brachte, eine unsichtbare Hand den Bart umdrehte, so daß er nicht schließen konnte. Dieß that der Böse, der, und kein Anderer, damals der Geselle und Verfertiger des Schlosses gewesen war, den Stadtrath und die Schlosser zu äffen. Nun war bei einem Schlossermeister ein pfiffiger und listenreicher Lehrbub, der simulirte bei sich selbst, wie es wohl anzufangen sey, einen Schlüssel zum Schloß und den Preis dazu zu gewinnen, und fand richtig das Mittel. Er verfertigte in der Feierabendzeit, als Meister und Gesellen die Werkstatt verlassen hatten, in aller Stille einen Schlüssel, setzte den Bart mit dem Loth verkehrt an, brachte ihn in[11] die Kohlen und zog den Blasebalg, daß rings die hellen Funken wie knisternde Blitze durch die Schmiede sprühten. Der immer lauernde Böse war gleich unsichtbar zur Hand, drehte den Bart des Schlüssels um, und – war betrogen, denn nun paßte der Schlüssel. Der Lehrbub empfing Lobsprüche über Lobsprüche, empfing den Preis, den der Magistrat ausgesetzt, ward gleich zum Gesellen und bald darauf zum Meister gesprochen und heirathete des Meisters sittsames und bildschönes Töchterlein, das er schon geraume Zeit heimlich liebte.

Zwar ist in späterer Zeit der Schlüssel wieder abhanden gekommen, aber der Stock im Eisen steht immer noch in der Nische eines Hauses an dem Platze, da er vor Alters stand, und der seinen Namen »Am Stock im Eisen« führt. Jeder wandernde Schlossergeselle, der nach Wien kam, schlug einen Nagel in den Stock, dem dummen Teufel zum Hohn, und davon hat der Stock ordentlich eine eiserne Rinde bekommen, so daß er mit vollem Rechte den Namen: Stock im Eisen führt.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 10-12.
Lizenz:
Kategorien: