27. Was ist das Schönste, Stärkste und Reichste?

[140] Stunden einmal zwei Bauern vor Gericht, ein reicher und ein armer. Sie zankten und schalten eine geraume Weile, bis endlich der Spaß dem Richter verleidete. Dieser war ein sehr kluger Herr und wußte sich oft durch einen geschickten Einfall die Leute vom Halse zu schaffen. »Wißt ihr was?« sagte er zu den beiden Bauern, »laßt des Streites ein Ende sein und derjenige von euch, der bis morgen zu sagen weiß, was das Schönste, Stärkste und Reichste auf der Erde sei, der hat den Prozeß gewonnen.« Wie der reiche Bauer das hörte, machte er sich voll Freude auf den Weg und sprach zu jedem, der ihm begegnete, höchst vergnügt von der Weisheit und Gerechtigkeit des Richters. »Denn,« dachte er in seinem törichten Sinne, »daß mein Weib das Schönste auf der Erde ist und daß meine Ochsen das Stärkste sind und ich selber der Reichste bin, das ist so klar wie die Sonne.«

Der arme Bauer hingegen schnitt bei dem Spruche des Richters ein langes Gesicht, blieb eine Weile stehen und machte sich endlich langsam und verdrießlich auf den Weg. Er murrte bei sich selbst über die Torheit und Ungerechtigkeit des Richters, und wenn ihn jemand ansprach und fragte, warum er so unwillig dreinschaue, so ging jedesmal das nämliche Donnerwetter los.[141]

Bald hatte er seinen Hof erreicht. Die Tochter arbeitete eben im Garten, und als sie den Vater mit hängendem Kopfe daherschlottern sah, dachte sie sich sogleich: »Holla, heut ist's nicht gut ausgegangen.« Denn sie hatte die Wetterzeichen an der Stirne des Alten von Kindheit auf genau kennen gelernt. »Schau Vater,« rief sie mit scheinbarer Gleichgültigkeit, »so herrlich sind uns die Krautköpfe noch nie geraten. Sieh da, so große Kugeln und kein Würmlein darauf!«

»Was Krautköpfe,« schrie der Alte zornig, »der Richter ist ein Krautkopf.« »Habt ihr's verspielt, Vater?« fragte das Mädel. »Verspielt hab ich's nicht, aber bis morgen soll ich dem Richter sagen, was das Schönste sei auf der lieben Erde und was das Stärkste und was das Reichste. Errat' ich's nicht auf ein Haar, so ist alles hin.« »Seid gescheit, Vater,« rief freudig die Tochter, »das Schönste ist ja der Frühling, das Stärkste der Erdboden und das Reichste der Herbst.« »Du magst recht haben,« meinte der Alte, nachdem er, auf den Gartenzaun gestützt, eine Zeitlang nachgedacht hatte.

Am andern Tage traten die beiden Bauern wieder vor den Richter. Noch bevor dieser Zeit hatte zu fragen, platzte der Reiche heraus: »Das Schönste, Herr Richter, ist mein Weib, das Stärkste sind meine Ochsen und das Reichste bin ich selbst. Den Preis hab' ich gewonnen!«

»Und was sagst du auf meine gestrige Frage?« so sagte der Richter, zum Armen sich wendend. »Heraus mit der Sprache!« »Ich meine, das Schönste sei der Frühling, das Stärkste der Erdboden, und das Reichste der Herbst.« »Brav,« rief der Richter und klopfte ihm auf die Achsel, »du hast's erraten und den Prozeß gewonnen. Aber bevor du nach Hause gehst, mußt du mir sagen, ob das dein eigener Einfall ist oder nicht.« »Nicht der meinige,« sagte der Bauer, »sondern meine Tochter daheim hat mir so gut geraten!« »Nun so[142] sage deiner klugen Tochter, wenn sie imstande ist, unangekleidet und doch nicht nackt, nicht bei Tage und nicht bei Nacht, nicht auf Straßen und nicht auf Seitenwegen von der Heimat zu mir in die Stadt zu kommen, so soll sie meine Frau werden!« Dem armen Bauer schaute die Freude aus den Augen heraus und er versprach, seiner Tochter alles getreulich auszurichten.

Beide Bauern machten sich auf den Weg nach Hause. Aber heute war's anders als gestern. Der Arme sprach zu jedem, der ihm begegnete, fröhlichen Mutes von der Weisheit und Gerechtigkeit des Richters, der Reiche hingegen murrte bei sich selbst über dessen Torheit und Ungerechtigkeit, und wenn ihn jemand ansprach und fragte, warum er so unwillig dreinschaue, so ging jedesmal das nämliche Donnerwetter los.

Als der Arme nach Hause kam, hörte er seine Tochter schon zum Fenster heraus rufen: »Nicht wahr, Vater, ich hab' es erraten!« »Freilich hast du's erraten, du Blitzmädel. Und dann noch etwas!« »Was denn, Vater!« »Der Herr Richter läßt dir sagen: Wenn du imstande bist, unangekleidet und doch nicht nackt, nicht bei Tage und nicht bei Nacht, nicht auf der Straße und nicht auf Seitenwegen von der Heimat zu ihm in die Stadt zu kommen, so sollst du seine Frau werden!« »Ich Frau Richterin werden!« rief überrascht das Mädel, »das wäre gar nicht übel, da muß ich meine Klugheit schon recht zeigen!«

Sie dachte nun nach, wie sie die Sache recht gescheit anfangen sollte, und kam bald auf einen klugen Einfall. Ein paar Stunden, bevor der Tag heimging, ließ sie den Weg von der Heimat bis zur Stadt mit Brettern belegen, warf sich ein Fischernetz um und so ging sie bei der Abenddämmerung über den Bretterweg zum Richter. Dieser, hocherfreut über die Klugheit des Mädchens, hielt getreulich sein Wort[143] und in einem Monat wurde die Hochzeit mit aller Pracht gefeiert. Nur eine einzige Bedingung hatte der Bräutigam seiner Braut gesetzt: sie sollte nämlich niemandem, der vor ihm einen Prozeß zu führen habe, irgendeinen Rat erteilen.

Da kam eines Tages ein Bauer zur Frau Richterin und erzählte ihr, daß er mit seinem Nachbar viel zu streiten habe und daß er eben jetzt deswegen in großer Verlegenheit sei. Er bat sie daher, sie möchte ihm einen weisen Rat geben. Die Richterin weigerte sich anfangs standhaft und erklärte dem Bauer weitläufig, daß sie durch einen solchen Beistand ihren Rang und ihren Mann verlieren würde. Da fing der Bauer an, alle weisen Räte und Aussprüche, die er je von ihr gehört hatte, aufzuzählen, und nun hatte er den rechten Fleck nicht verfehlt. Die Frau ließ nun ein Wort nach dem andern fallen und endlich sagte sie ihre Meinung rund heraus. »Aber sage beileibe niemandem, wer dir geraten hat! – Hörst du!« rief sie dem Bauer noch nach. Dieser stellte sich nun vor Gericht und sein Gegner mußte der Weisheit der Frau Richterin unterliegen. Dem Richter aber kam es gleich in den Sinn, woher etwa der Bauer seine Klugheit geholt haben möchte. Er nahm ihn daher beiseite und fragte so lange hin und her, bis er gestand, daß des Richters Gemahlin seine Ratgeberin gewesen sei. »Mein Weib muß im Augenblick aus dem Hause!« schrie der Richter im grimmigsten Zorne.

Seine Frau aber, die dies gehört hatte, ließ sich nicht so leicht irre machen, trat mutig in die Gerichtsstube und bat ihren Mann recht liebreich, er möchte sie doch noch einmal an seiner Seite essen und dann beim Weggehen das Liebste mit sich nehmen lassen. Das wurde ihr gestattet.

Als es Essenszeit war, setzten sich die beiden Eheleute zusammen; sie konnte hie und da ein spöttisches Lächeln nicht verhalten, er aber[144] suchte seinen Zorn mit Wein zu mildern. Er tat aber des Guten zu viel, nickte bald einigemal mit dem Kopfe und begann endlich ganz kräftig zu schnarchen.

Nun packte die Richterin ihren Mann – der war ja ihr Liebstes – auf den Wagen und fuhr damit auf und davon. Als die holperige Straße das Räuschchen herausgerüttelt hatte, erwachte der Richter und er durfte nicht erst seine Frau fragen, was geschehen sei. Er merkte schon, daß sie einmal wieder die klügere gespielt habe, bat sie um Verzeihung und führte sie wieder nach Hause. Sie lebten noch viele, viele Jahre in Frieden und Eintracht beisammen und der das Geschichtlein erzählt hat, möchte nicht wünschen, daß alle Weiber so klug wären wie die Frau Richterin.


(Bozen.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 140-145.
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