Im Fabrikhofe

[74] So war denn das Jahr 1884/85 zum Geburtsjahr des Motorwagens geworden. Schon im Frühling 1885 hatte mein Lebenstraum, wie durch die Gnade einer großen Stunde, greifbare Form und lebensfähige Gestalt angenommen. Herausgehoben aus der Welt des Gedankens und hineingestellt in die Welt der Wirklichkeit, stand das jüngste Kind der Technik eines schönen Tages im Fabrikhofe.

Um den Neuling herum stehen Frau, Kinder und Arbeiter. Mitten unter allen aber steht der, den die Arbeiter unter sich ihren »Papa« nannten. Aller Augen leuchten! Stolz ist jedes – vom jüngsten Kinde angefangen bis zum ältesten Arbeiter. Und gespannt erst recht, fast so, als ob im nächsten Augenblick der größte Theatervorhang der Welt in die Höhe gehen müßte.

Durch Andrehen des Schwungrades probiere ich dem Kinde Leben einzuhauchen. Kaum zum Leben erwacht, suchte es sich knatternd und ratternd bemerkbar zu machen. Sofort nahm es der überglückliche Vater an die Hand, um die ersten »Gehversuche« mit ihm vorzunehmen. Und siehe da! Es ging! Manchmal wollte es nicht folgen, wollte streiken oder gar anrennen gegen die Hofmauer. Aber so sehr es gelegentlich auch mit dem Kopfe durch die Wand wollte, der Vater[74] hatte seine Erziehungsmaximen. Erst eine gediegene Kinderstubenerziehung, sagte er sich. Dann hinaus in die Welt weiter draußen! Es war gut, daß der Vater nicht nur die Rolle des Erziehers, sondern auch die des Arztes übernehmen konnte. Denn der junge Springinsfeld litt noch an allerlei Kinderkrankheiten. Operative Eingriffe mußten gemacht werden, bald an Haupt-, bald an Nebenorganen. Dann durfte der Junge auf die Straße.

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 74-75.
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