Auf der Straße

[75] Töff, töff, töff! Ein neuer Gruß einer neuen Zeit. Ein erster Hornruf jener Epoche, wo der Motor seine Herrschaft antritt zu Lande, dann zu Wasser und schließlich in der Luft. Die Welt horcht auf! Die Menschen bleiben auf der Straße stehen, staunen und schauen. Wie, geht's mit rechten Dingen zu? Ein Wagen ohne Pferde, rennend und rollend? Wie ein Wunder pufft der Wagen die Straßen entlang. Stolz wie ein König steuert der Lenker. Stolz wie ein König grüßt er vom Sitze herunter zu den staunenden Menschen.

Auf einmal aber kommt das Verhängnis – in Gestalt der ersten »Panne«. Langsamer geht der Wagen, und jetzt? Richtig, regungslos bleibt er stehen. Der Lenker steigt ab, kniet nieder, bastelt und flickt. Die Menschen sammeln sich an, lächeln und lachen. Das Staunen und Bewundern schlägt um in Mitleid, Spott und Hohn. Wie hier beim ersten Male, so entspann sich bei jedem Steckenbleiben in der Stadt oder später draußen in den Dörfern eine Debatte vernichtendster Kritik. »Eine Spielerei, die nichts ist und nichts wird«, meinten die einen. »Wie kann man sich in so einen[75] unzuverlässigen, armseligen, lautlärmenden Maschinenkasten setzen, wo es doch genug Pferde gibt auf der Welt und die elegantesten Kutschen und Droschken obendrein«, sagten die anderen. »Schade um den Mann«, meinten die »Sachverständigeren«, »er wird sich und sein Geschäft ruinieren mit dieser verrückten Idee.« Und ein treuherziger Berliner gab mir den wohlgemeinten Rat: »Wenn ich einen solchen Stinkkasten hätte, würde ich zu Hause bleiben.«

Das war die Antwort der Öffentlichkeit auf all das stille Ringen und eiserne Schaffen von Jahrzehnten, auf die herangereifte Lösung einer tief empfundenen Lebensaufgabe – eine glatte Verneinung. Mochten aber auch alle verneinen und ablehnen, ich blieb fest. Den mutigen Glauben an die Zukunft vermochte mir keiner zu rauben. Es gab auf der Welt nur einen Menschen, der ebenso mutig glaubte und hoffte wie ich – meine Frau. Das Haus meiner Träume hatte sie mir bis dahin stets festlich erhellt. Jetzt, wo der Traum Wahrheit und Wirklichkeit geworden war, setzte sie sich auf den ersten Fahrten neben mich – als treue Helferin. Sie war nötig beim Fortfahren des Wagens, zum Ingangsetzen des Motors und manchmal noch nötiger zum Heimfahren, das anfänglich gern in ein »Heimschieben« ausartete. Es war, als ob der Wagen bei jeder neuen Ausfahrt dem Erfinder ein neues Schnippchen schlagen wollte. Aber der ließ nicht mit sich spaßen. Wo immer ein tückischer Fehler sein Unwesen trieb, ich ruhte nicht, bis er entdeckt und ausgemerzt war. Mehr und mehr häuften sich die Fälle, wo auch die Rückfahrt in automobiler Weise erfolgte, d.h. ohne Mithilfe von schiebenden Menschen oder ziehenden Pferden und Kühen. Gleichzeitig war aus 100 Meter Fahrstrecke[76] ein Kilometer und mehr geworden. Bei jeder Ausfahrt wurde der Erfahrungskoeffizient scharf aufs Korn genommen. Jede Ausfahrt war nichts anderes als eine Prüfungsfahrt, die neuen Gewinn, neue Verbesserungen und Fortschritte brachte.

So war ich gegen Ende des Jahres 1885 zu der Überzeugung gekommen, daß mein Wagen mehr sei als eine bloße Versuchskonstruktion ohne praktische Verwendungsmöglichkeit und ohne wirtschaftlichen Zukunftswert. Jetzt hielt ich die Zeit für gekommen, eine Patentschrift und Patentzeichnung zu entwerfen und einzureichen. Die Patentschrift ist überschrieben: »Fahrzeug mit Gasmotorenbetrieb« und beginnt mit den Worten: »Vorliegende Konstruktion bezweckt den Betrieb hauptsächlich leichter Fuhrwerke und kleiner Schiffe, wie solche zur Beförderung von ein bis vier Personen verwendet werden.« Der 29. Januar 1886 ist der Tag, an dem meine Erfindung patentrechtlich geschützt wird. Dieses erste Patent auf einen fertiggestellten und praktisch brauchbaren Motorwagen zur Beförderung mehrerer Personen ist zum Geburtsschein des neuzeitlichen Motorwagens geworden (DRP. Nr. 37435).

Quelle:
Benz, Carl Friedrich: Lebensfahrt eines deutschen Erfinders. Die Erfindung des Automobils, Erinnerungen eines Achtzigjährigen. Leipzig 1936, S. 75-77.
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