Maurenfink (Fringilla spodiogenys)

[294] In den Atlasländern vertritt ihn der sehr ähnliche, aber etwas größere Maurenfink (Fringilla spodiogenys, spodiogena und africana), welcher einmal auch in Südfrankreich erlegt worden sein soll. Bei ihm sind Kopf, Augen- und Schultergegend bläulich aschgrau, die Obertheile olivengrün, die Untertheile blaß weinroth, seitlich graulich, die Handschwingen schwarz, außen in der Wurzelhälfte schmal, in der Endhälfte etwas breiter weiß, innen breit lichtgrau gesäumt, die vorderen Armschwingen an der Wurzel, die hinteren fast ganz weiß, die kleinen Flügeldecken weiß, die großen weiß mit schwarzem Mittelbande, die übrigen Theile im wesentlichen wie bei unserem deutschen Vogel gefärbt.

[294] In Deutschland gibt es wenige Gegenden, in denen der Edelfink nicht zahlreich auftritt. Er bewohnt Nadel- wie Laubwälder, ausgedehnte Waldungen wie Feldgehölze, Baumpflanzungen oder Gärten und meidet eigentlich nur sumpfige oder nasse Strecken. Ein Paar lebt dicht neben dem anderen; aber jedes wahrt eifersüchtig das erkorene Gebiet und vertreibt aus demselben jeden Eindringling der gleichen Art. Erst wenn das Brutgeschäft vorüber, sammeln sich die einzelnen Paare zu zahlreicheren Scharen, nehmen unter diese auch andere Finken- und Ammerarten auf, wachsen allgemach zu starken Flügen an und streifen nun gemeinschaftlich durch das Land. Vom Anfange des September ansammeln sich die reiselustigen Vögel in Flüge; im Oktober haben sich die gedachten Herden gebildet, und zu Ende des Monats verschwinden sie, bis auf wenige in der Heimat überwinternde Männchen, allmählich aus unseren Gauen. Dann nehmen sie in Südeuropa und in Nordwestafrika Besitz von Gebirg und Thal, von Feld und Garten, Busch und Hecken, sind überall zu finden, überall häufig, aber auch überall in Gesellschaft, zum Zeichen, daß sie hier nicht in der Heimat, sondern nur als Wintergäste leben. Wenn der Frühling im Süden beginnt, wenden sie sich wieder heimwärts. Man hört dann den hellen, kräftigen Schlag der Männchen noch geraume Zeit ertönen; bald aber wird es still und öde da, wo hunderttausende versammelt waren, und schon zu Anfange des März sind die Wintergäste bis auf die Weibchen verschwunden. Die Finken wandern nämlich, wenigstens auf dem Rückzuge, nach Deutschland, in getrennten Scharen, die Männchen besonders und zuerst, die Weibchen um einen halben Monat später. Selten kommt es vor, daß beide Geschlechter fortwährend zusammen leben, also auch zusammen reisen. Bei schönem Wetter erscheinen in Deutschland die ersten Männchen bereits zu Ende des Februar; die Hauptmasse trifft im März bei uns ein, und die Nachzügler kommen erst im April zurück.

Jedes Männchen sucht den alten Wohnplatz wieder auf und harrt sehnsüchtig der Gattin. Wenn diese eingetroffen ist, beginnen beide sofort die Anstalten zum Nestbaue. Die Wiege für die erste Brut pflegt fertig zu sein, noch ehe die Bäume sich völlig belaubt haben. Beide Gatten durchschlüpfen, emsig suchend, die Kronen der Bäume, das Weibchen mit großem Ernste, das Männchen unter lebhaften Bewegungen sonderbarer Art und Hintansetzung der dem Finken bei aller Menschenfreundlichkeit sonst eigenen Vorsicht. Jenes beschäftigt zumeist die Sorge um das Nest, dieses fast ausschließlich seine Liebe und kaum minder die Eifersucht. Endlich ist der günstigste Platz zur Aufnahme des Nestes gefunden: ein Gabelzweig im Wipfel, ein alter knorriger Ast, welcher bald von dichtem Laube umgeben sein wird, ein abgestutzter Weidenkopf oder sogar, obwohl nur selten, das Strohdach eines Hauses. Das Nest selbst, ein Kunstbau, ist fast kugelrund, nur oben abgeschnitten. Seine dicken Außenwände werden aus grünem Erdmoose, zarten Würzelchen und Hälmchen zusammengesetzt, außen aber mit den Flechten desselben Baumes, auf dem es steht, überzogen, und diese durch Kerbthiergespinste miteinander verbunden, so daß die Außenwände täuschende Aehnlichkeit mit einem Astknorren erhalten. Das Innere ist tief napfförmig und sehr weich mit Haaren und Federn, Pflanzen- und Thierwolle ausgepolstert. So lange der Nestbau währt und das Weibchen brütet, schlägt der Fink fast ohne Unterbrechung während des ganzen Tages, und jedes andere Männchen in der Nähe erwidert den Schlag seines Nachbars mit mehr als gewöhnlichem Eifer; beide Nebenbuhler im Liede erhitzen sich gegenseitig, und es beginnt nun ein tolles Jagen durch das Gezweige, bis der eine den anderen im buchstäblichen Sinne des Wortes beim Kragen gepackt hat und, unfähig noch zu fliegen, mit ihm wirbelnd zum Boden herabstürzt. Bei solchen Kämpfen setzen die erbitterten Vögel ihre Sicherheit oft rücksichtslos aufs Spiel, sind blind und taub gegen jede Gefahr. Endet der Kampf mit Schnabel und Klaue, so beginnt das Schlagen von neuem, wird immer heftiger, immer leidenschaftlicher, und wiederum stürmen die beiden gegen einander an, nochmals wird mit scharfen Waffen gefochten. So ist die Brutzeit des Edelfinken nichts als ein ununterbrochener Kampf. Das Weibchen legt fünf bis sechs kleine, achtzehn Millimeter lange, vierzehn Millimeter dicke, zartschalige Eier, welche auf blaß blaugrünlichem Grunde mit bleich röthlichbraunen, schwach gewellten und mit schwarzbraunen Punkten verschiedener Größe besetzt zu sein [295] pflegen, in Form und Zeichnung aber vielfach abändern. Die Zeit der Bebrütung währt vierzehn Tage; das Weibchen brütet hauptsächlich, das Männchen löst es ab, so lange jenes, Nahrung suchend, das Nest verlassen muß. Die Jungen werden von beiden Eltern ausschließlich mit Kerbthieren groß gefüttert, verlangen auch nach dem Ausfliegen noch eine Zeitlang der elterlichen Fürsorge, gewöhnen sich aber bald daran, ihre Nahrung selbst zu erwerben. Als unmündige Kinder ließen sie ein sonderbar klingendes »schilkendes« Geschrei vernehmen, als Erwachsene bedienen sie sich des Locktones der Alten. Diese schreiten schon wenige Tage, nachdem die Erziehung ihrer Jungen beendet, zu einer zweiten Brut. Beide Eltern lieben letztere ungemein. Sie schreien kläglich, wenn ein Feind dem Neste naht, und geben ihrer Angst durch die verständlichsten Geberden Ausdruck. Naumann versichert, daß das Männchen mehr um die Eier, das Weibchen mehr um die Jungen besorgt sein solle; ich habe diesen Unterschied in der Liebe zu der Brut noch nicht wahrgenommen. Ungeachtet der Anhänglichkeit und Zärtlichkeit gegen die Jungen weicht das Edelfinkenpaar in gewisser Hinsicht von anderen Finken nicht unwesentlich ab. Wenn man junge Hänflinge aus dem Neste nimmt und in ein Gebauer steckt, darf man sicher sein, daß die Alten sich auch dann noch in der Fütterung ihrer Kinder nicht stören lassen; die Edelfinken dagegen lassen unter gleichen Umständen ihre Jungen verhungern. »Dies hat«, sagt Naumann, »mancher unerfahrene Finkenfreund, welcher sich durch die alten Vögel die Mühe des Selbstaufziehens ersparen wollte, bitter erfahren müssen. Sorge um eigene Sicherheit und Mißtrauen scheinen hier über die elterliche Liebe zu siegen.« Doch kommen, wie derselbe Forscher ebenfalls mittheilt, rühmliche Ausnahmen auch bei Edelfinken vor.

Der Fink ist ein munterer, lebhafter, geschickter, gewandter und kluger, aber heftiger und zänkischer Vogel. Während des ganzen Tages fast immer in Bewegung, verhält er sich nur zur Zeit der größten Mittagshitze etwas ruhiger. Auf den Aesten trägt er sich aufgerichtet, auf der Erde mehr wagerecht; auf dem Boden geht er halb hüpfend, halb laufend, auf den Zweigen gern in seitlicher Richtung; im Fluge durchmißt er weite Strecken in bedeutender, kurze in geringer Höhe, schnell und zierlich flache Wellenlinien beschreibend und vor dem Aufsitzen mit gebreiteten Schwingen einen Augenblick schwebend. Seine Lockstimme, das bekannte »Pink« oder »Fink«, wird sehr verschieden betont und erhält dadurch mannigfache Bedeutungen. Im Fluge läßt er häufiger, als das Pink, ein gedämpftes, kurzes »Güpp, güpp« vernehmen; bei Gefahr warnt er durch ein zischendes »Siih«, auf welches auch andere Vögel achten; in der Begattungszeit zirpt er; bei trübem Wetter läßt er ein Knarren vernehmen, welches die Thüringer Knaben durch das Wort »Regen« übersetzen. Der Schlag besteht aus einer oder zwei regelmäßig abgeschlossenen Strophen, welche vielfach abändern, mit größter Ausdauer und sehr oft, rasch nacheinander wiederholt, vorgetragen, von Liebhabern genau unterschieden und mit besonderen Namen belegt werden. Die Kunde dieser Schläge ist zu einer förmlichen Wissenschaft geworden, welche jedoch ihre eigenen Priester verlangt und einem nicht in deren Geheimnisse eingeweihten Menschen immer dunkel bleiben wird. Es gibt gewisse Gegenden in dem Gebirge, wo gedachte Wissenschaft mehr gepflegt wird als jede andere. Berühmt sind die Thüringer, die Harzer und die Oberösterreichischen Finkenliebhaber wegen ihrer außerordentlichen Kenntnis der betreffenden Schläge. Während das ungeübte Ohr nur einen geringen Unterschied wahrnimmt, unterscheiden diese Leute mit untrüglicher Sicherheit zwischen zwanzig und mehr verschiedenen Schlägen, deren Namen bei Unkundigen Lächeln erregen, aber doch meist recht gut gewählt und zum Theil Klangbilder des Schlages selbst sind. Früher schätzte man vorzüglich schlagende Finken überaus hoch und bezahlte sie mit fast fabelhaften Summen; gegenwärtig ist die Liebhaberei dafür im Ersterben.

Der Edelfink verursacht irgendwie nennenswerthen Schaden höchstens in Forst- und Gemüsegärten, indem er hier auf frisch besäeten Beeten die oben aufliegenden Samen wegfrißt. Zwar beschuldigt man ihn außerdem, durch Auflesen der ausgefallenen Buchen-und Nadelholzsamen dem Walde empfindlich zu schaden, glaubt aber wohl selbst nicht an die Thatsächlichkeit solcher Behauptung. Er verzehrt Sämereien verschiedener Pflanzen, hauptsächlich die des Unkrautes, ernährt seine Brut und während der Nistzeit sich selbst aber ausschließlich von Kerbthieren, zumeist solchen, welche [296] unseren Nutzbäumen schaden. So wird schlimmstenfalls aller ihm zur Last gelegte Schaden durch den ihm zuzusprechenden Nutzen aufgewogen. Man sollte ihn hegen und pflegen, nicht aber schonungslos verfolgen, wie es leider noch immer hier und da geschieht. Die Liebhaber, welche Finken für ihr Gebauer fangen, sind es nicht, welche deren Bestand verringern; die Herdsteller aber, welche tausende mit einem Male vernichten, thun der Vermehrung dieser anmuthigen Vögel empfindlichen Abbruch.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 294-297.
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