Hausen (Acipenser huso)

[358] Wichtiger als alle genannten ist der Hausen (Acipenser huso und Beluga), der Riese der Familie und Sippe, ein Fisch, welcher acht Meter an Länge und sechzehnhundert Kilogramm an Gewicht erreichen kann, in früheren Zeiten wenigstens erreicht hat, kenntlich an seiner kurzen dreieckigen Schnauze, den platten Bartfäden, der in der Mitte etwas eingebuchteten Oberlippe, der in der Mitte getrennten Unterlippe, den vorne und hinten niedrigen, in der Mitte erhöhten Rückenschildern und kleinen, von einander gesondert stehenden Seitenschildern. Die Oberseite sieht gewöhnlich dunkelgrau, die Bauchseite schmutzigweiß aus; die Schnauze ist gelblichweiß; die Schilder gleichen in der Färbung der Bauchseite. In der Rückenflosse stehen vierzehn und neunundvierzig, in der Brustflosse ein und sechsunddreißig oder siebenunddreißig, in der Bauchflosse zwölf und achtzehn, in der Afterflosse dreizehn und sechzehn, in der Schwanzflosse fünfunddreißig und achtzehn und siebenundneunzig Strahlen.

Die Heimat beschränkt sich auf das Schwarze Meer, von welchem aus er in die verschiedenen Zuflüsse desselben eintritt.

Unsere gegenwärtige Kenntnis des Lebens der Fische läßt uns annehmen, daß die verschiedenartigen Störe im allgemeinen dieselbe Lebensweise führen. Auch sie sind, wie bereits bemerkt, eigentlich Meeresbewohner und besuchen die Flüsse nur zeitweilig, behufs ihrer Fortpflanzung oder aber, um in ihnen ihren Winterschlaf zu halten. Wie sie im Meere selbst leben, bis zu welchen Tiefen sie hier hinabsteigen, welche Nahrung sie sich im Salzwasser suchen, wissen wir nicht; jedenfalls aber dürfte so viel feststehen, daß sie auch in der See weichsandigen oder schlammigen Grund jedem anderen Aufenthaltsorte vorziehen und hier, wie sie in den Strömen thun, halb eingebettet in die Bodendecke, langsam, eher kriechend als schwimmend, sich weiter bewegen, mit der spitzigen Schnauze den Schlamm und Sand aufstöbern, mit den vorstreckbaren Lippen den Grund untersuchen und die betreffende Nahrung aufnehmen. In den Magen derjenigen, welche bereits in die Flüsse eingetreten waren, hat man neben der angegebenen thierischen Nahrung auch halb zersetzte Pflanzenreste gefunden; doch können dieselben ebensowohl zufällig mit in den Magen gerathen als absichtlich aufgenommen worden sein. Jedenfalls müssen wir alle Störe zu den Raubfischen zählen; von einigen der bekannteren wissen wir gewiß, daß sie während ihrer Laichzeit ebenfalls in den Flüssen aufsteigenden Arten der Karpfenfamilie jagend folgen und fast ausschließlich von ihnen sich ernähren. Bei ihren Wanderungen erheben sie sich übrigens in höhere Wasserschichten und bewegen sich dann in ihnen verhältnismäßig rasch. Die Wanderungen geschehen bei den verschiedenen Arten ziemlich zu derselben Zeit, vom März an bis zum Mai und im Spätherbste nämlich, und zwar in Gesellschaften, deren Anzahl je nach Oertlichkeit und Umständen wechselt. In den stark befischten Flüssen haben alle Störe beträchtlich abgenommen, und die Abnahme macht sich um so bemerklicher, [358] je mehr die Fanganstalten sich verbessern; in anderen Strömen hingegen finden sie sich noch immer sehr häufig, weil man wegen der Größe dieser Gewässer nicht im Stande ist, ihnen überall nachzuspüren. Alle Störe gehören zu den fruchtbarsten Fischen, welche man kennt. Von Hausen wurden Weibchen gefangen, welche bei vierzehnhundert Kilogramm Gesammtgewicht vierhundert Kilogramm schwere Eierstöcke besaßen. Die Eier werden von den aufsteigenden Fischen auf dem Grunde des Bodens abgelegt, worauf diese ziemlich rasch nach der See zurückkehren; die Jungen dagegen scheinen noch lange Zeit in den Flüssen und Strömen zu verweilen, vielleicht das erste und zweite Jahr ihres Lebens hier zuzubringen.

Das Fleisch aller Störarten ist wohlschmeckend, das einzelner dem der schmackhaftesten Fische vollkommen ebenbürtig; es wird dementsprechend auch überall gesucht und theils frisch, theils gesalzen und geräuchert gegessen. Bei den Alten stand der Stör in hohem Ansehen:


»Schicket den Acipenser zu palatinischen Tischen,

Das ambrosische Mahl schmücke das seltne Gericht«,


läßt Martial sich vernehmen. Von reichen Gastgebern Roms wurde der Fisch schön ausgeschmückt, mit Blumen bekränzt auf die Tafel gebracht. In Griechenland galt er als die edelste Speise; in China wurden seine Verwandten für die Tafel des Kaisers aufgespart; in England und in Frankreich gehörte es zu den Vorrechten der Herrscher und reichsten Adligen, Störe für den eigenen Gebrauch zurückzuhalten; in Rußland ist es wenig anders gewesen. Gleichwohl fängt man die Störarten weniger des Fleisches als der Eier und der Schwimmblase halber. Aus den ersteren bereitet man bekanntlich den Kaviar, aus der letzteren trefflichen Leim. Die Eierstöcke, aus denen man Kaviar gewinnen will, werden zuerst mit Ruthen gepeitscht und dann durch Siebe gedrückt, um die Eier von den Häuten zu lösen, jene sodann schwächer oder stärker gesalzen, in Tonnen gepackt und so versendet. Die schlechteste Sorte ist der gepreßte Kaviar, welcher, nur von den gröbsten Fasern gereinigt, mit Salz auf Matten an der Sonne getrocknet und dann mit den Füßen eingetreten wird. Als besser gilt mit Recht der körnige, welcher in langen Trögen durchgesalzen, sodann auf Sieben oder Netzen etwas getrocknet und hierauf in Fässer gepreßt wird. Der beste kommt nach dem Abkörnen in leinene Säcke und wird mit diesen einige Zeit in eine Salzlauge gelegt, hierauf zum Trocknen aufgehängt, etwas ausgedrückt und nunmehr erst in Fässer gebracht. Den feinsten Kaviar liefern die kleineren Arten der Familie, namentlich Scherg und Sterlet.

In Deutschland hat die Fischerei gegenwärtig geringe Bedeutung: an der Elbe- und Wesermündung erbeutet man alljährlich höchstens einige tausend Störe. In der unteren Donau, welche früher Ungarn und Osterreich mit Störfleisch und Kaviar versorgte, empfindet man schon jetzt schwer die Folgen der sinnlosen Fischerei, wie man sie bisher betrieben. Die ungeheuere Vermehrung dieser Fische genügt nicht mehr, die Verluste, welche der unersättliche Mensch ihnen beibringt, auszugleichen, und man wird sich schließlich wahrscheinlich auch in diesem Falle bequemen müssen, eine Schonzeit einzuräumen oder ein paar Jahre lang jeder Fischerei zu entsagen, falls man auch in der Zukunft ernten will, wie bisher geschehen.

Am großartigsten wurde von jeher die Störfischerei in Rußland betrieben, insbesondere in den Strömen, welche in das Schwarze und Kaspische Meer münden. Die vornehmsten Fischereien des Pontus, so weit die russische Herrschaft reicht, befinden sich, laut Kohl, an den Mündungen der großen Flüsse, des Dnjestr, Dnjepr, der Donau und in den Meerengen von Jenikale oder Kaffa, den großen Einbruchsthoren, vor denen sich diejenigen Fische sammeln, welche bei ihren verschiedenen Lebensverrichtungen sowohl salziges wie auch süßes Wasser bedürfen. An allen diesen Punkten sind daher theils stehende Fischerdörfer, theils sogenannte Fischereien entstanden, welche letztere im Frühlinge aufgestellt und im Herbste wieder weggenommen werden. Irgend ein Großrusse oder Grieche, welcher sich Wirt der Fischerei nennt, mietet einen Küstenstrich von dem benachbarten Besitzer, erbaut eine geräumige Schilfhütte am Strande, kauft Fischerboote, Netze und alles, was sonst nöthig, ladet eine Anzahl anderer Russen oder Griechen, Tataren, Moldauer und Polen, [359] je nachdem das eine oder andere Volk sich in der Nähe befindet, zur Theilhaberschaft ein und setzt sich mit ihnen für einen Sommer am Strande fest. Die Hütten der Leute sind sehr geräumig und groß und stehen dicht am niederen Meeresufer, jedoch außerhalb der höchsten Flutmarke. In ihnen stehen die Betten der Mannschaft, welche sich zuweilen auf zwölf bis zwanzig Köpfe beläuft, im Hintergrunde die Fischbottiche, große Salzfässer und Mühlen zum Zermahlen des Salzes; vor allen Dingen aber sorgen die Leute für ein Heiligenbild. Zu beiden Seiten der Thüre hängen beständig gefüllte Wassergefäße. Draußen haben sie einen Herd in die Erde gegraben, und ein alter dienender Geist, welcher nicht mit aufs Wasser geht, ist beständig mit Kochen, Wasserzutragen, Salzmahlen usw. beschäftigt. Gehen die Fische flott und zahlreich ins Netz, so schaffen sich jene auch andere Dinge an, kaufen sich Hunde zur Bewachung ihrer Schätze, ein Volk Hühner, welches in die Wogen hineingackert, Schafe zum Sonntagsbraten; gewöhnlich aber ist das Meer ihre Speisekammer, aus welchem alles hervorgeht, was ihren Kessel füllt. Dicht am Rande der Brandung errichten sie einen hohen Mastbaum, welcher in etwas schiefer Richtung über das Meer sich neigt; er ist oben mit einer Art Mastkorb versehen, und auf dieser Warte sitzt nun einer von ihnen, welcher nach den heranziehenden Fischen blickt und sogleich die nahenden Scharen verkündet, damit die Fischer ihnen entgegen gehen können. Diese entdecken die nahenden Fischscharen schon aus weiter Ferne und wissen jedesmal zu unterscheiden, um welche Art von Fischen es sich handelt. Ihre Haupteintheilung begreift rothe und weiße Fische, und unter ersteren verstehen sie die Störarten.

An solchen Orten wendet man zum Fange hauptsächlich Netze an. Ganz anders dagegen betreibt man den Fang der Störe zu anderen Zeiten und namentlich im Winter, wenn Eis die Flüsse bedeckt und die Störe, wie Lepechin sagt, die Köpfe in den Schlamm eingebohrt, die Schwänze wie ein dichter Wald von Palisaden in die Höhe gerichtet, Winterschlaf halten. Die Fischer merken sich, laut Pallas, die tieferen Stellen des Flusses, auf denen sich die Störe im Herbste reihenweise zusammenlegen, versammeln sich sodann im Januar und berathschlagen, nachdem sie sich einen Erlaubnisschein zum Fischen erworben, über Tag, Ort und Art des Fischfanges. Auf das Zeichen eines Kanonenschusses fahren sie in Schlitten so eilig wie möglich an die ihnen angewiesene Stelle. Ihr Fangwerkzeug besteht aus eisernen Haken, welche an Stangen von sechs bis zehn, ja selbst zwanzig Meter Länge befestigt und durch Eisen beschwert sind. An Ort und Stelle angelangt, haut jeder eine Wuhne in das Eis; die dadurch aufgestörten Fische beginnen stromab zu gehen, streichen über die eingesenkten Haken hinweg und geben den Fischern durch die hierdurch hervorgebrachte Erschütterung ein Zeichen, die Stange mit jähem Rucke anzuziehen und womöglich den Fisch anzuspießen. Mancher Fischer hat das Glück, an einem Tage zehn und mehr große Störe unter dem Eise hervorzuziehen; manch anderer aber steht mehrere Tage auf dem Eise, ohne einen einzigen an seinem Haken zu spüren, und gewinnt während des ganzen Monats nur so viel, daß er kaum die Ausrüstungskosten bestreiten kann. Hansteen, welcher die Art der Fischerei auf dem Uralflusse kennen lernte, versichert, daß etwa viertausend Kosaken binnen zwei Stunden auf diese Weise für mehr als vierzigtausend Rubel Fische fangen. Der erste Fisch wird gewöhnlich der Kirche geschenkt; die übrigen versendet man auf Schlitten so eilig wie möglich. Es finden sich um diese Zeit Kaufleute aus den entferntesten Gegenden des Landes ein, welche die gefangenen Störe sofort aufkaufen, Fleisch und Roggen zubereiten, beides verpacken und so eilig wie möglich verführen. Bei anhaltender Kälte salzt man nicht; fällt jedoch Thauwetter ein, so thut man dies sofort.

Der Gewinn der Fischerei ist sehr bedeutend. Zu Pallas' Zeiten warfen die im Schwarzen und Kaspischen Meere gefangenen Störarten zusammen jährlich beinahe zwei Millionen Rubel ab; gegenwärtig hat sich der Ertrag trotz der Abnahme der Fische auf mehr als fünf Millionen Rubel gehoben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Achter Band, Dritte Abtheilung: Kriechthiere, Lurche und Fische, Zweiter Band: Fische. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 358-361.
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