Gemeiner Weichkäfer (Telephorus fuscus)

[111] Wenn der Frühling seinen ganzen Reichthum entfaltet, der Schwarzdorn den Schnee seiner zarten Blütchen schon in alle Winde ausgestreut und seinem Bruder, dem Weißdorne, den Preis der Schönheit abgetreten hat, wenn die Schwalben ihre alten Nester schon wieder aufgefunden und für die junge Brut wohnlich eingerichtet haben, wenn tausende von Kerfen ihre winterlichen Schlupfwinkel längst verlassen haben oder andere der zerbrechlichen Puppenhülle entschlüpft sind: dann stellt sich mit ihnen auch ein schlanker, schwarzer, nicht eben schöner Käfer ein und belagert die Blumen, die ihm in reicher Auswahl erschlossen sind, besonders die Blüten der zahlreichen Sträucher, fliegt, von der Sonne durchwärmt, von einer zur anderen, oder hängt hier und da, wie der Maikäfer, bei feuchter und rauher Witterung an den Zweigen, verbissen ob der ihm unbehaglichen Lage. Der gemeine Weichkäfer, Warzenkäfer (Telephorus fuscus), denn um diesen handelt es sich hier, ist fein grau behaart, rothgelb sind an ihm die Wurzel der elfgliederigen, an [111] der Stirn eingelenkten Fadenfühler, der Vordertheil des nach unten gerichteten, zum Theil unter dem gerundeten Halsschilde versteckten Kopfes, dieses letztere mit Ausnahme eines schwarzen Vorderfleckes, und endlich der Umkreis des siebengliederigen Bauches. Die verhältnismäßig schlanken Beine haben sämmtlich fünf Fußglieder, deren vorletztes sich in zwei Lappen spaltet. Die äußere Klaue der Hinterfüße hat an der Wurzel ein kleines Zähnchen, während es allen anderen fehlt. Auf der Gesammtheit dieser Merkmale beruht der Unterschied dieser von mehreren hundert anderen, ihr theilweise sehr ähnlichen Arten, die als Gattungsgenossen (früher auch Cantharis genannt) in allen Welttheilen leben, den kälteren Erdstrichen und besonders dem Gebirge eigen sind und entschieden ihre Larven zu den oben besprochenen »Insektenregen« hergegeben haben und ferner hergeben werden. In der dicken, gewimperten Zunge, der äußeren gerundeten Unterkieferlade, der inneren schmalen und zugespitzten und in der Form, welche unsere Figur vergegenwärtigt, stimmen sie alle überein. Um ihre Nahrung dort zu finden, suchen die Käfer mit Vorliebe blühende Pflanzen auf, entnehmen dieselbe aber meist nicht den Blüten selbst, sondern ergreifen andere des Honigs wegen gleichfalls sich dort einfindende Kerfe. Indeß begehren sie nicht ausschließlich Fleischkost, sondern genießen auch Pflanzensäfte, und die genannte, wie eine sehr nahestehende zweite Art (Telephorus obscurus), hat wiederholt an jungen Eichentrieben gefressen und deren Spitzen zum Absterben gebracht. Daß eine lehmgelbe Art, deren mehrere bei uns vorkommen, durch Benagen der noch weichen Getreidekörner das »Mutterkorn« erzeuge, gehört in das Reich der Fabeln, obschon es allen Ernstes behauptet worden ist.


Warzenkäfer (Telephorus fuscus), schwach vergrößert.
Warzenkäfer (Telephorus fuscus), schwach vergrößert.

Den freien Kopf mit nicht abgesetztem Schilde und undeutlicher Oberlippe, die nicht zusammengedrückten Beine, deren Schenkelring an der Innenseite der Schenkel liegt und deren viertes Fußglied sich in zwei Lappen theilt, sowie den siebenringeligen Hinterleib hat die eben besprochene mit noch anderen, vorzugsweise in Amerika heimatenden Gattungen gemein, weshalb man diese alle zu der Sippe der Telephoriden vereinigt hat.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 111-112.
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