Sippe: Wickler (Tortricina)

[424] Nach von Heinemanns Vorgange beginnen wir die Kleinschmetterlinge mit der Familie der Wickler (Tortricina), mittelkleinen bis kleinen Schmetterlingen, welche sich durch ihre Körpertracht und Flügelbildung scharf von den übrigen absondern und auf den ersten Blick als verjüngte Ausgabe der Eulen gelten könnten. Die gestreckten Vorderflügel, häufig metallisch [424] glänzend und bunt in ihren Zeichnungen, haben einen kurzen Saum und einen an der Wurzel bauchigen Vorderrand, mithin vorspringende Schultern, sie sind »geschultert«, wie man sich kurz ausdrückt. Sie werden von einer wurzelwärts gegabelten Innenrandsrippe und noch elf Rippen gestützt. Die zeichnungslosen, breiten Hinterflügel sind ungetheilt, ohne eingeschobene Zelle, mit Haftborste versehen, mit drei freien Innenrandsrippen und noch sechs oder sieben Rippen. Rippe 1 b ist wurzelwärts gegabelt, Rippe 4 von 3 und 5 gleich weit entfernt. Aus dickem Grundgliede entspringen die einfach borstigen Fühler, welche die Vorderrandslänge der benachbarten Flügel nicht erreichen, die wenig vortretenden Taster richten ihr kurzes, fadenförmiges Endglied vorwärts oder abwärts, und Nebenaugen sind vorhanden. Freiwillig fliegen die Wickler nur bei Abend oder in der Nacht, sie lassen sich aber aus Gebüsch und Gras aufscheuchen, wo sie, wie an Baumstämmen, mit dachartig den Hinterleib verbergenden Flügeln bei Tage ruhen. Um die zahlreichen Gattungen zu unterscheiden, in welche neuerdings die alte Gattung Tortrix zerlegt worden ist, hat man auch die gegenseitige Lage der Rippen zu berücksichtigen, darauf zu sehen, ob die hintere Mittelrippe der Hinterflügel an der Wurzel aufstehend behaart ist oder nicht, und ob die Spiralzunge entwickelt ist oder fehlt. Bei Bestimmung der Arten kommen die Vorderflügel hauptsächlich in Betracht. Ihre Zeichnung ist sehr verschieden, meist ist ein dunkles Wurzelfeld vorhanden oder wenigstens durch seine Begrenzung angedeutet; dahinter kommt ein hellerer, oft bindenartiger oder als ein Innenrandsfleck auftretender Raum, sodann ein dunkles Schrägband, welches aus der Mitte des Vorderrandes nach dem Innenwinkel zieht, oder annäherungsweise. Zwischen demselben und der Spitze steht noch ein dunkler Fleck am Vorderrande, der sich verdünnt oft bis zum Innenwinkel ausdehnt; oft fehlen aber auch diese Zeichnungen gänzlich. Zahlreiche Arten, namentlich die mit behaarter Mittelrippenwurzel im Hinterflügel, zeigen am Vorderrande meist paarweise gestellte Häkchen, vier Paare zwischen der Spitze und Mitte, setzen sich wohl auch noch weiter fort und werden von der Spitze aus gezählt, weil sie hier am regelmäßigsten auftreten. Oft entspringen aus ihnen lichte, metallisch glänzende Linien, die sogenannten Bleilinien. Diejenigen, welche vom dritten und vierten Paare nach dem Innenwinkel ziehen, umschließen häufig über demselben einen durch andere Färbung ausgezeichneten, ovalen oder viereckigen Fleck, den sogenannten Spiegel, welcher in der Regel zwischen den Rippen eine Senkreihe schwarzer Punkte oder Längsstriche führt. Von Zeichnungen, wie sie dem vorderen Eulenflügel eigen sind, findet sich hier auch nicht die leiseste Andeutung.

Die sechzehnfüßigen Raupen der Wickler tragen einzelne kurze Härchen auf kleinen Warzen, welche leicht übersehen werden können, und in der Regel ein festes, licht durchschnittenes Halsschild sowie eine chitinisirte Afterklappe, ziehen durch wenige Fäden die Blätter zusammen, zwischen welchen sie leben, und haben hiervon ihren Familiennamen erhalten, obschon viele andere Raupen eine gleiche Gewohnheit haben, und umgekehrt zahlreiche Wicklerraupen bohrend in den verschiedenen Pflanzentheilen, namentlich auch in Früchten, leben. Letztere pflegen zur Verpuppung ihren Weideplatz zu verlassen, während die zwischen Blättern eingesponnenen auch hier zu Puppen werden und in der Vorderhälfte der Puppenhülse hervortreten, wenn der Schmetterling ausgeschlüpft ist. Nur bei wenigen Arten sind zwei Bruten beobachtet worden.

Obschon die Wicklerraupen nicht gesellig leben, wie so viele Spinnerraupen, so werden doch manche von ihnen den menschlichen Kulturen, namentlich in Garten, Wald und Weinberg, mehr oder weniger unangenehm, ja sogar gefährlich. Dicke Wicklerraupen von schwarzbrauner oder grauer Farbe sind es, und verschiedenen Arten angehörig, welche an den jungen Triebspitzen der Gartenrosen zum Vorscheine kommen, wenn man die zusammengezogenen Blätter aus einander zieht. Sie zerfressen hier alles, so daß keine Blüte zur Entwickelung kommt, wenn man nicht jede einzelne herausholt und todt tritt, sobald man diese in der Entwickelung zurückgehaltenen Triebspitzen bemerkt. Andere Arten leben in gleicher Weise in verschiedenen Obstsorten, namentlich denen, welche mehr in Buschform erzogen werden. Eine fleischfarbene, an Kopf, Halsschild und Brustfüßen glänzend[425] schwarze Raupe ist unter dem Namen der Traubenmade oder des Springwurms in den Blütenständen der Rebe berüchtigt, mehr aber noch, wenn sie bohrend in den unreifen Beeren vorkommt, indem sie einer zweiten Brut angehört und dann auch Heuwurm oder Sauerwurm in den Weinländern genannt wird. Sie gehört dem einbindigen Traubenwickler (Conchylis ambiguella) an und ist nur durch das sorgfältige Absuchen der überwinternden Puppen zu bekämpfen, welche sich hinter den Rindenfetzen der Rebe, in den Rissen der Weinpfähle, zwischen dem Anbindestoffe der Reben an diese und an ähnlichen Stellen ihren Aufenthalt gewählt haben.

Eine zweite, weniger verbreitete und weniger häufige Art, der bekreuzte Traubenwickler (Grapholitha botrana), lebt in gleicher Weise, soll aber den Weinreben der Gärten und Häuser mehr Schaden zufügen als denen, welche auf größeren Flächen gebaut werden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 424-426.
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