Kapitel XCIV.
De arte notariatus et procubatoria
oder
Von der Kunst der Notarien oder Prokuratoren

[133] Diesen Rechtsverdrehern nun können auch an die Seite gesetzet werden die Procuratores und Notarien, welche die Rechtsgelehrten ihre Urkundenschreiber nennen, deren Ungerechtigkeit, Schaden, Schalkheit, Verfälschungen wir alle mit Geduld tragen müssen, weil sie Vertrauen, Freiheit und Gewalt durch die kaiserliche und apostolische Autorität erlangen. Unter diesen aber sind die Vornehmsten, welche die Gerichte wacker zu verwirren, die Sachen und Streitigkeiten durcheinander zu mischen, falsche Testamenta zu machen, Instrumenta drüber aufzurichten, Rescripta und Diplomata zu verfertigen und weidlich zu betrügen wissen, und die da, wann es vonnöten tut, falsch zu schwören, wider die Wahrheit eines und das andere niederzuschreiben und zu registrieren sich unterstehen und fleissig zusehen, damit sie mit ihren Listen, Tücken, Fallstricken, Verwirrungen und andern Gesetzesumgehungen von andern nicht mögen überwunden werden. So kann auch kein Notarius ein[133] Instrument, wie sie es nennen, verfertigen und so gut und perfekt machen, dass es nicht vom Advokaten des Gegenteils in Streit gezogen werden könnte. Denn er wird sagen, entweder es ist was ausgelassen oder was unrecht oder ein Betrug darhinter oder was er sonsten für eine Exzeption vorbringen und dadurch des Notarii Ehrlichkeit in Zweifel ziehen wird. Aber dieses sind die Rechtsmittel, zu welchen die streitenden Parteien ihre Zuflucht nehmen sollen; diese sind die Kautelen und Vorsorgen, die uns die Rechte, wie sie sagen, an die Hand geben, wann einer das Seinige nicht verlieren oder lieber drauf schmeissen als zanken will. Denn soviel Recht wird jedweder haben, so viel ihm seine Kräfte zulassen zu defendieren, weil wir, wie das Gesetz redet, den Mächtigern nicht gleich sein können.[134]

Quelle:
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften und die Verteidigungsschrift. München 1913, Band 2, S. 133-135.
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