Die einzelnen Linien

[92] Anfangs eine Sechs bedeutet:

Knabenhaftes Betrachten.

Für einen geringen Menschen kein Makel.

Für einen Edlen beschämend.


Ein verständnisloses Betrachten aus der Ferne ist hier gezeichnet. Es ist jemand da, der wirkt, aber dessen Wirkungen von den geringen Menschen nicht verstanden werden. Das tut bei der Masse nicht viel. Ob sie die Handlungen des herrschenden Weisen verstehen oder nicht: sie kommen ihnen doch zugute. Aber für den höheren Menschen ist das eine Schande. Er darf sich nicht mit törichtem, gedankenlosem Betrachten der herrschenden Einflüsse begnügen. Er muß sie im Zusammenhang betrachten und zu verstehen suchen.
[92]

Sechs auf zweitem Platz bedeutet:

Betrachtung durch die Türspalte.

Fördernd für die Beharrlichkeit einer Frau.


Durch die Türspalte hat man einen beschränkten Ausblick. Man sieht von innen nach außen. Die Betrachtungsweise ist subjektiv beschränkt. Man bezieht alles auf sich. Man kann sich nicht in den andern und seine Beweggründe hineinversetzen. Das ist für eine gute Hausfrau am Platz. Sie braucht nichts zu verstehen von den Welthändeln. Für einen Mann, der im öffentlichen Leben zu wirken hat, ist solche beschränkt egoistische Betrachtungsweise natürlich vom Übel1.


Sechs auf drittem Platz bedeutet:

Betrachtung meines Lebens

entscheidet über Fortschritt oder Rückzug.


Es ist hier der Platz des Übergangs. Man blickt nicht mehr nach außen, um mehr oder weniger beschränkte oder verwirrte Bilder zu erhalten, sondern man richtet die Betrachtung auf sich selbst, um die Richtung für seine Entschließungen zu bekommen. Diese Einkehr der Betrachtung ist gerade die Überwindung der naiven Selbstischkeit dessen, der alles nur von seinem Standpunkt aus betrachtet Man kommt zur Reflexion und damit zur Objektivität. Die Selbsterkenntnis ist aber nicht eine Beschäftigung mit den eigenen Gedanken, sondern mit den Wirkungen, die von einem ausgehen. Nur die Lebenswirkungen geben ein Bild, das uns berechtigt, über Fortschritt oder Rückgang zu entscheiden.


Sechs auf viertem Platz bedeutet:

Betrachtung des Lichtes des Reichs.

Fördernd ist es, als Gast eines Königs zu wirken.


Hier ist ein Mann gezeichnet, der die Geheimnisse versteht, durch die man ein Reich zur Blüte bringt. Ein solcher Mann muß an einen maßgebenden Platz gebracht werden, wo er wirken kann. Er soll gleichsam Gast sein, d.h. er soll selbständig wirken können und geehrt werden, nicht als Werkzeug benützt werden.


Û Neun auf fünftem Platz bedeutet:

Betrachtung meines Lebens.

Der Edle ist ohne Makel.


[93] Ein Mann an maßgebender Stelle, zu dem die andern aufblicken, muß dauernd zur Selbstprüfung bereit sein. Die rechte Art der Selbstprüfung besteht jedoch nicht darin, daß man sich untätig über sich selbst besinnt, sondern darin, daß man die Wirkungen prüft, die von einem ausgehen. Nur wenn diese Wirkungen gut sind, daß man einen guten Einfluß auf andere ausübt, wird die Betrachtung des eigenen Lebens die Befriedigung gewähren, ohne Fehler zu sein.


Û Oben eine Neun bedeutet:

Betrachtung seines Lebens.

Der Edle ist ohne Makel.


Während die vorige Linie einen Mann darstellt, der sich selbst betrachtet, ist hier an höchster Stelle alles Persönliche, aufs eigene Ich Bezogene, ausgeschaltet. Es ist hier ein Weiser gezeigt, der außerhalb des Weltgetriebes frei vom Ich die Gesetze des Lebens betrachtet und so als Höchstes erkennt, wie man frei von Makel wird.

Fußnoten

1 Die Verschiedenheit in der Bewertung des Verhaltens von Mann und Frau ist nicht auf das alte China beschränkt. Das Bild, das Schiller in der »Glocke« von der Hausfrau zeichnet, bewegt sich vollkommen in diesem Kreise.


Die einzelnen Linien
Quelle:
I Ging. Köln 141987, S. 92-94.
Lizenz:

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