5. Die vierfache Bedeutung der Sitte

[270] a) Liebe


Wo die Liebe stark ist, da nimmt man die Trauerkleidung wichtig. Darum trägt man für den Vater hänfenes Gewand drei Jahre lang; das ist durch die Liebe bestimmt.


b) Pflicht


Innerhalb der Familie bedeckt die Ordnung der Liebe die Pflicht. Außerhalb des Hauses unterdrückt die Ordnung der [270] Pflicht die Äußerung der Liebe. Man dient mit derselben Gesinnung, wie man dem Vater dient, dem Fürsten, und die Achtung ist dieselbe. Man ehrt, wem Ehre gebührt, und achtet, wem Achtung gebührt. Das ist die größte der Pflichten. Darum trägt man für den Fürsten auch drei Jahre lang hänfenes Gewand; das ist durch die Pflicht bestimmt.


c) Regel


Nach drei Tagen ißt man wieder, nach drei Monaten wäscht man sich wieder, nach einem Jahr trägt man (unter dem Trauergewand) wieder Rohseide. Die Selbstqual darf nicht bis zur Vernichtung des Wesens gehen, damit nicht durch den Tod das Leben geschädigt werde. Die Trauer überschreitet nicht drei Jahre. Die Trauerschärpen werden nicht geflickt. Die Gräber werden nicht neu aufgeschüttet2. Am Tag nach dem Schlußopfer spielt man ernste Melodien auf der Zither, um den Menschen zu zeigen, daß (die Trauerzeit) ein Ende hat. Das ist durch die Regeln bestimmt.


d) Freiheit


Man dient mit derselben Gesinnung, wie man dem Vater dient, der Mutter, und die Zärtlichkeit ist dieselbe. Aber der Himmel hat keine zwei Sonnen, ein Staat keine zwei Fürsten und eine Familie keine zwei Herren, die sie regieren. Darum trägt man zu Lebzeiten des Vaters für die Mutter ein gesäumtes Trauergewand ein Jahr lang, um zu zeigen, daß es keine zwei Herren gibt.

Wer für alle Verrichtungen einen Angestellten hat, so daß die Dinge ohne Worte ihren Gang gehen, der läßt sich (während der Trauerzeit) beim Aufstehen unterstützen. Wer selber reden muß, damit die Dinge ihren Gang gehen, der richtet sich mit Hilfe eines Stockes auf. Wer aber selber die Dinge besorgen muß, damit sie ihren Gang gehen, der muß sich (während der Trauerzeit darauf beschränken), sein Gesicht ungepflegt zu lassen (als Zeichen der Trauer). Das alles ist durch die Freiheit (sich nach den Umständen zu richten) bestimmt.

Unmittelbar nach einem Todesfall weint man drei Tage unablässig, drei Monate zieht man die Trauerschärpe nicht[271] aus, ein Jahr trauert und klagt man, drei Jahre lang ist man betrübt; so will es die Lehre der Liebe.

Der Heilige richtet sich nach der Lehre in der Einrichtung der Regeln.

2

Keine der konfuzianischen Vorschriften ist in China häufiger übertreten worden, ja man hat in Europa Konfuzius sogar für das verantwortlich gemacht, was in ausgesprochenem Gegensatz zu seinen Vorschriften geschah.

Quelle:
Li Gi. Düsseldorf/Köln 1981, S. 270-272.
Lizenz: