§ 6. Materiale Erörterung des Offenbarungsbegriffs.

[75] Alle religiösen Begriffe lassen sich nur a priori von den Postulaten der praktischen Vernunft ableiten, wie oben § 3 durch die wirkliche Deduction derselben gezeigt worden. Da nun der Offenbarungsbegriff eine gewisse Form solcher Begriffe zum Gegenstande haben soll, und nicht von Seiten seiner Form (nemlich als Begriff), mithin, wenn seine reale Möglichkeit sich soll sichern lassen, nur von Seiten seines Inhalts deducirt werden kann, so haben wir seinen Ursprung im Felde der reinen praktischen Vernunft aufzusuchen. Er muss sich a priori von Ideen dieser Vernunft deduciren lassen, wenn auch nicht ohne Voraussetzung, aller Erfahrung, dennoch bloss[75] mit Voraussetzung einer Erfahrung überhaupt, und zwar ohne etwas von ihr entlehnt oder gelernt zu haben, sondern um einer gewissen Erfahrung – die aber nicht als Erfahrung nach theoretischen, sondern als Moment der Willensbestimmung nach praktischen Gesetzen beurtheilt wird, und bei der es nicht um die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der gemachten Beobachtung, sondern um ihre praktischen Folgen zu thun ist – selbst das Gesetz nach praktischen Grundsätzen vorzuschreiben. Es ist hier nicht wie im Felde der Naturbegriffe, wo wir bei Deduction eines Begriffs a priori zeigen können und müssen, dass ohne ihn entweder Erfahrung überhaupt, wenn er rein ist, oder eine gewisse bestimmte Erfahrung, wenn er nicht rein ist, gar nicht möglich sey: sondern, da wir im Felde der Vernunft sind, können und dürfen wir nur zeigen, dass ohne den Ursprung eines gewissen Begriffs a priori keine vernunftmässige Anerkennung einer gewissen Erfahrung für das, für was sie sich giebt, möglich sey. Dies ist hier um so nöthiger, da dieser Begriff von einem Wege aus, der in dieser Rücksicht schon verdächtig ist, uns wer weiss welche Erkenntnisse im Felde des Uebersinnlichen verspricht, und aller Schwärmerei Thor und Thüre zu öffnen droht, wenn er nicht a priori ist, und wir ihm also Gesetze vorschreiben können, an welche wir alle seine a posteriori möglichen Anmaassungen halten, und sie nach denselben beschränken können. Es muss also gezeigt werden, dass dieser Begriff vernunftmässig nur a priori möglich sey, und dass er also die Gesetze des Princips, durch welches es möglich ist, anerkennen müsse; oder, wenn er das nicht sey, und seine Befugnisse gänzlich und allein a posteriori zu erweisen Anspruch mache, gänzlich falsch und erschlichen sey, und dass von dieser Untersuchung sein ganzes Schicksal abhange. Sie ist also der Hauptpunct dieser Kritik.

Gesetzt nun aber auch, die Möglichkeit seines Ursprungs a priori, als einer Vernunftidee, liesse sich durch eine Deduction darthun; so bliebe immer noch auszumachen, ob er a priori gegeben, oder gemacht, und erkünstelt sey; und wir gestehen, dass der sonderbare Weg, den er aus der Ideen- in die Sinnenwelt, und aus dieser wieder in jene nimmt, ihn des[76] letzteren wenigstens sehr verdächtig mache. Sollte sich dies bestätigen, so gäbe es freilich vors erste kein gutes Vorurtheil für ihn; da es schon bekannt ist, dass die Vernunft im Felde des Uebersinnlichen zwar ins Unermessliche schwärmen und dichten; aber daraus, dass es ihr möglich war sich etwas zu denken, noch nicht einmal die Möglichkeit folgern könne, dass dieser Idee überhaupt etwas entspreche. Es bleibt aber doch noch ein Weg übrig, diese Idee aus den leeren Träumen der Vernunft herauszuheben, wenn sich nemlich in der Erfahrung, und zwar – da hier von einem praktischen Begriffe die Rede ist – ein empirisch gegebenes praktisches Bedürfniss zeigt, welches jenen Begriff, der a priori freilich nicht gegeben war, a posteriori zwar nicht giebt, aber doch berechtigt. Diese Erfahrung ergänzt dann, was zur Rechtmässigkeit dieses Begriffs a priori fehlte; sie liefert das vermisste Datum. Daraus nun folgt noch nicht, dass der Begriff selbst a posteriori sey, sondern nur, dass sich a priori nicht zeigen lasse, ob er nicht überhaupt ganz leer sey.

Diese Einschränkung bestimmt denn auch die wahre Beschaffenheit der Deduction dieses Begriffs a priori. Es soll nemlich durch dieselbe nicht dargethan werden, dass er wirklich a priori da sey, sondern nur, dass er a priori möglich sey; nicht, dass jede Vernunft ihn nothwendig, a priori haben müsse, sondern dass sie ihn, wenn ihre Ideenreihe ohngefähr nach dieser Richtung hingeht, haben könne. Das erstere wäre nur möglich, wenn ein Datum der reinen Vernunft a priori angezeigt werden könnte, wie z.B. bei der Idee von Gott, vom absoluten Weltganzen u.s.w., die nothwendige Aufgabe der Vernunft war, zu allein Bedingten das schlechthin Unbedingte zu suchen, welches die Vernunft nöthigte, auf diesen Begriff zu kommen. Da aber ein solches Datum a priori sich nicht vorfindet, so darf und kann die Deduction desselben nur seine Möglichkeit als Idee, und insofern er das ist, zeigen. – Keine historische19 Deduction also der Entstehung dieses Begriffs[77] unter der Menschheit, welche es auch noch so wahrscheinlich machte, dass er zuerst durch wirkliche Facta in der Sinnenwelt, die man aus Unwissenheit übernatürlichen Ursachen zugeschrieben, oder durch geflissentlichen Betrug, entstanden sey; selbst kein unwiderlegbarer Beweis, dass keine Vernunft ohne jenes empirisch gegebene Bedürfniss je auf diese Idee gekommen seyn würde, wenn ein solcher möglich wäre, würde dieser Deduction widersprechen. Denn im ersten Falle wäre der Begriff in concreto freilich ganz unrechtmässig entstanden, welches aber der Möglichkeit, sich einen rechtmässigen Ursprung desselben in abstracto zu denken, nicht den geringsten Eintrag thun kann: im zweiten wäre jenes empirische Datum zwar die Gelegenheitsursache gewesen, auf ihn zu kommen; wenn er aber durch den Inhalt der gemachten Erfahrung nur nicht bestimmt ist (und eine Deduction a priori muss die Unmöglichkeit hiervon zeigen), so wäre sie nicht sein Princip gewesen. Ein anderes ist die Gültigkeit dieses Begriffs, d. i. ob sich vernünftigerweise annehmen lasse, dass ihm etwas ausser uns correspondiren werde; diese kann freilich nur empirisch deducirt werden, und erstreckt sich mithin nicht weiter, als das Datum gilt, aus dem sie deducirt wird. Lasst uns dies durch ein Beispiel erläutern. – – Der Begriff eines bösen Grundprincips neben einem guten ist offenbar ein Begriff a priori, denn er kann in keiner Erfahrung gegeben seyn; und zwar eine Vernunftidee; und sie muss sich mithin, ihrer Möglichkeit nach, deduciren lassen, wenn sie nicht etwa den Vernunftprincipien gar widerspricht. Diese Idee ist aber a priori nicht gegeben, sondern gemacht, denn es lässt sich kein Datum der reinen Vernunft für sie anführen. In der Erfahrung aber kommen mehrere Data vor, welche diesen Begriff zu berechtigen scheinen, und welche die Gelegenheitsursachen seiner Entstehung gewesen seyn können. Wenn nun nur diese Data ihn wirklich berechtigten; wenn man ihn nur für ein praktisches, wenngleich empirisch bedingtes Bedürfniss, und nicht lediglich zur theoretischen Naturerklärung hätte brauchen wollen; wenn er nur endlich der praktischen Vernunft nicht gar widerspräche: so hätte man ihn, ohngeachtet seine Gültigkeit[78] sich nur auf empirische Data beruft, wenigstens für eine Idee, der etwas entsprechen könnte, wohl annehmen dürfen.

Durch die erstere Deduction der Möglichkeit des Begriffs der Offenbarung a priori scheint nun nicht viel ausgerichtet zu werden, und es ist nicht zu läugnen, dass sie eine sehr leere und unnütze Bemühung seyn würde, wenn nicht gezeigt werden könnte, dass dieser Begriff, wenn er nicht a priori möglich ist, überhaupt nicht vernunftmässig ist. Folglich hängt sein ganzer Werth von dieser Deduction ab.

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Ueberhaupt haben alle, die durch historische, geographische, physische Deductionen die kritische Philosophie widerlegen, noch nicht den ersten Satz der Philosophie gefasst, die sie widerlegen. [Anm. d. 2. Ausg.]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846, S. 75-79.
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