§ 12. Kriterien der Göttlichkeit einer Offenbarung in Absicht der möglichen Darstellung dieses Inhalts.

[130] Da die Offenbarung überhaupt schon ihrer Form nach für das Bedürfniss der Sinnlichkeit da ist, so ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich auch in ihrer Darstellung zu derselben herablassen werde, wenn gezeigt werden sollte, dass die Sinnlichkeit hierüber besondere Bedürfnisse habe. Doch ist diese Darstellung so wenig das Wesentliche und Charakteristische einer Offenbarung, dass wir sogar, wie oben gezeigt worden ist, a priori nicht einmal fordern können, dass sie einen Inhalt habe, oder überhaupt irgend etwas mehr thue, als dass sie Gott für den Urheber des Moralgesetzes ankündige.[130]

Die Sinnlichkeit überhaupt ist, wegen des Widerstrebens der Neigung, nur zu bereit, die Erfüllung des Moralgesetzes für unmöglich zu halten, und das Gebot nicht, als für sich gegeben, anzuerkennen. Nun giebt zwar die Offenbarung dies Gesetz ausdrücklich an die Sinnlichkeit; aber doch redet in dem sinnlichen Menschen noch immer die Stimme der Pflicht, durch das Schreien der Begierde geschwächt, und durch die falschen Begriffe, die jene in Menge liefert, gedämpft, nur leise, wenn sie über seine eigenen Handlungen sprechen soll – wenn sie im eigentlichen Verstande gebietend ist. Aber auch der rohsinnlichste Mensch hört sie, wenn von Beurtheilung einer Handlung die Rede ist, bei welcher seine Neigung von keiner Seite mit ins Spiel gezogen wird. Und lernt er sie nur dadurch in sich unterscheiden, wird sie nur dadurch aus ihrer Unthätigkeit gezogen, und er mit ihr bekannter und vertrauter, so wird er endlich doch anfangen, auch an sich zu hassen, was er an anderen verabscheuet, und sich selbst so zu wünschen, wie er andere fordert. – Der Widersinn, alles um sich her gerecht haben, und nur allein ungerecht seyn zu wollen, ist zu auffallend, als dass irgend ein Mensch sich ihn gern gestehen wolle. Bringe man ihn dahin, dass, im Falle er ungerecht ist, er sich ihn gestehen müsse! Wie kann dieser Zweck erreicht werden! Durch Aufstellung moralischer Beispiele. Die Offenbarung kann also ihre Moral in Erzählungen einkleiden, und sie entspricht dem Bedürfniss des Menschen nur um so besser, wenn sie es thut. Sie kann ungerechte Handlungen zur Verachtung, gerechte, besonders mit grossen Aufopferungen und Anstrengungen durchgesetzte, zur Bewunderung und Nachahmung aufstellen. Ueber die Befugniss einer Offenbarung, ihre Sittenlehre so vorzutragen, kann keine Frage entstehen: und dass die von ihr als mustermässig aufgestellten Handlungen rein moralisch seyn müssen; dass sie nicht etwa zweideutige, oder wohl gar offenbar schlechte Handlungen als gute rühmen, und Leute, die dergleichen verrichtet haben, als Muster anpreisen dürfe, folgt aus dem Zwecke der Offenbarung. Jede Offenbarung, die dieses thut, widerspricht dem[131] Moralgesetze und dem Begriffe von Gott, und kann folglich, nicht göttlichen Ursprungs seyn.

Eine Offenbarung hat die Vernunftideen, Freiheit Gott, Unsterblichkeit darzustellen. – Dass der Mensch frei sey, lehrt jeden unmittelbar sein Selbstbewusstseyn; und er zweifelt um so weniger daran, je weniger er durch Vernünfteln sein natürliches Gefühl verfälscht hat. Die Möglichkeit aller Religion und aller Offenbarung setzt die Freiheit voraus. Die Darstellung dieser Idee für die sinnlich bedingte Vernunft ist also kein Geschäft für eine Offenbarung: und mit Auflösung der dialektischen Scheingründe dagegen hat keine Offenbarung es zu thun, als welche nicht vernünftelt, sondern gebietet, und sich nicht an vernünftelnde, sondern sinnliche Subjecte richtet. – Aber dagegen ist die Idee von Gott es desto mehr. Unter die Bedingungen der reinen Sinnlichkeit, Zeit und Raum, Gott sich zu denken, wenn er sich ihn denken will, ist jeder gedrungen, der Mensch ist. Wir mögen noch so sehr überzeugt seyn, noch so scharf erweisen können, dass sie auf ihn nicht passen, so überrascht uns doch dieser Fehler, indem wir ihn noch rügen. Wir wollen jetzt uns Gott als uns gegenwärtig denken, und wir könnens nicht verhindern, ihn an den Ort hinzudenken, wo wir sind: wir wollen jetzt Gott als den Vorherseher unserer künftigen Schicksale, unserer freien Entschliessungen denken, und wir denken ihn als in der Zeit, in der er jetzt ist, blickend in eine Zeit, in der er noch nicht ist. Solchen Vorstellungen muss die Darstellung einer Religion sich anpassen; denn sie redet mit Menschen, und kann keine andere, als der Menschen Sprache reden. – Aber die empirische Sinnlichkeit bedarf noch mehr. Der innere Sinn, das empirische Selbstbewusstseyn steht unter der Bedingung, ein Mannigfaltiges nach und nach, und allmählig aufzunehmen, und zu einander hinzuzusetzen; nichts aufnehmen zu können, was sich nicht von den vorherigen unterscheidet, also nur Veränderungen bemerken zu können. Seine Welt ist eine unaufhörliche Kette von Modifikationen. Unter dieser Bedingung will er sich auch das Selbstbewusstseyn Gottes denken. – Er bedarf z.B. jetzt eines Zeugen der Reinigkeit seiner Gesinnungen[132] bei einer gewissen Entschliessung. Gott hat bemerkt, so denkt er sichs, was in meiner Seele vorging. – Er ist jetzt beschämt über eine unmoralische Handlung: sein Gewissen erinnert ihn an die Heiligkeit des Gesetzgebers. Er hat sie, er hat das ganze Verderben, das sich darin zeigt, entdeckt, denkt er. Aber er bemerkt auch die Reue, die ich jetzt darüber empfinde, fährt er fort. – Er entschliesst sich jetzt recht stark, hinführo aufmerksam an seiner Heiligung zu arbeiten. Er fühlt, dass ihm die Kräfte dazu fehlen. Er ringt mit sich, und zu schwach im Kampfe, sieht er sich nach fremder Hülfe um, und betet zu Gott. Gott wird auf mein flehentliches, anhaltendes Bitten sich entschliessen mir beizustehen, denkt er; – und denkt sich in allen diesen Fällen Gott als durch ihn modificirbar. – Er denkt sich in Gott Affecte und Leidenschaften, damit er Theil nehmen könne an den seinigen; – Mitleid, Bedauren, Erbarmen, Liebe, Vergnügen u. dgl. – Die höchste oder tiefste Stufe der Sinnlichkeit, die alles unter die empirischen Bedingungen des äusseren Sinnes setzt, verlangt noch mehr. Sie will einen körperlichen Gott, der ihre Handlungen im eigentlichen Verstande sieht, ihre Worte hört, mit dem sie reden könne, wie ein Freund mit seinem Freunde. Ob eine Offenbarung sich zu diesen Bedürfnissen herablassen könne, ist keine Frage: ob sie aber dürfe, und inwieweit sie dürfe, muss eine Kritik der Offenbarung beantworten.

Der Zweck aller dieser Belehrungen ist kein anderer, als Beförderung reiner Moralität, und der versinnlichenden Darstellung derselben, insbesondere Beförderung reiner Moralität in dem sinnlichen Menschen. Insofern nur diese Versinnlichung mit diesem Zwecke übereinkommt, kann die Offenbarung göttlich seyn: wenn sie ihm aber widerspricht, ist sie gewiss nicht göttlich.

Die Versinnlichung des Begriffs von Gott kann den moralischen Eigenschaften Gottes, und mithin aller Moralität auf zweierlei Art widersprechen: nemlich theils unmittelbar, wenn Gott mit Leidenschaften dargestellt wird, die geradezu gegen das Moralgesetz sind, wenn ihm z.B. Zorn und Rache aus Eigenwillen, Vorliebe oder Vorhass, welche sich auf etwas[133] anderes als auf die Moralität der Objecte dieser Leidenschaften gründen, zugeschrieben wird. Ein solcher Gott würde kein Muster unserer Nachahmung, und kein Wesen seyn, für welches wir Achtung haben könnten, sondern ein Gegenstand einer ängstlichen, zur Verzweiflung bringenden Furcht. Jedoch widerspricht dieses schon der Form aller Offenbarung, welche einen heiligen Gott als Gesetzgeber verlangt. Es würde aber dem moralischen Begriffe von Gott gar nicht widersprechen, wenn ihm z.B. lebhafter Unwille über das unmoralische Verhalten endlicher Wesen zugeschrieben würde; denn das ist bloss sinnliche Darstellung einer nothwendigen Wirkung der Heiligkeit Gottes, die wir, wie sie an sich in Gott ist, gar nicht erkennen können; und wenn in einer Sprache, die zu den feineren Modificationen der Affecte keine bestimmten Worte hätte, dieser Unwille auch Zorn genannt würde, so widerspricht auch dies, im Geiste der Menschen, die diese Sprache redeten, verstanden, dem Begriffe von Gott nicht. Mittelbar würde jede sinnliche Darstellung von Gott der Moralität widersprechen, wenn sie als objectiv gültig, und nicht als blosse Herablassung zu unserem subjectiven Bedürfniss vorgestellt würde. Denn alles, was vom Objecte an sich gilt, daraus kann ich Schlüsse ziehen, und das Object dadurch weiter bestimmen. Leiten wir aber aus irgend einer sinnlichen Bedingung Gottes, als objectiv gültig, Schlüsse ab, so verwickeln wir uns mit jedem Schritte tiefer in Widersprüche gegen seine moralischen Eigenschaften. Sieht z.B. und hört Gott wirklich, so muss er auch durch diese Sinne des Vergnügens theilhaftig seyn; so ist es sehr möglich, dass wir ihm ein sinnliches Vergnügen machen können, dass der Geruch der Brandopfer und Speisopfer ihm wirklich gefallen kann27, und wir haben folglich[134] Mittel ihm durch etwas anderes, als durch Moralität gefällig zu werden. Können wir Gott wirklich durch unsere Empfindungen bestimmen, ihn zum Mitleiden, zum Erbarmen, zur Freude bewegen, so ist er nicht der Unveränderliche, der Alleingenugsame, der Alleinselige, so ist er noch durch etwas anderes, als durch das Moralgesetz bestimmbar; so können wir auch wohl hoffen, ihn durch Winseln und Zerknirschung zu bewegen, dass er anders mit uns verfahre, als der Grad unserer Moralität es verdient hätte. Alle diese sinnlichen Darstellungen göttlicher Eigenschaften müssen also nicht als objectiv gültig angekündigt werden; es muss nicht zweideutig gelassen werden, ob Gott an sich so beschaffen sey, oder ob er uns nur zum Behuf unseres sinnlichen Bedürfnisses erlauben wolle, ihn so zu denken. – Ausser dieser Bedingung aber können wir keiner Offenbarung a priori Gesetze vorschreiben, wie weit sie mit der Versinnlichung des Begriffes von Gott gehen dürfe: sondern dies hängt gänzlich von dem empirisch gegebenen Bedürfnisse des Zeitalters ab, für welches sie zunächst bestimmt ist. Wenn z.B. irgend eine Offenbarung. um von einer Seite allen Bedürfnissen der rohesten Sinnlichkeit Genüge zu thun, und von der anderen Seite dem Begriffe von Gott seine völlige Reinheit zu sichern, uns irgend ein ganz sinnlich bedingtes Wesen, als einen Abdruck der moralischen Eigenschaften Gottes, insofern sie Beziehungen auf Menschen haben, eine verkörperte praktische Vernunft (logon) gleichsam als einen Gott der Menschen, darstellte: so wäre dies noch gar kein Grund, so einer Offenbarung überhaupt, oder auch nur dieser Darstellung derselben den göttlichen Ursprung abzusprechen; wenn nur dieses Wesen so vorgestellt wäre, dass es jener Absicht entsprechen könnte, und wenn nur diese Stellvertretung nicht als objectiv gültig behauptet, sondern bloss als Herablassung zur Sinnlichkeit, die derselben bedürfen könnte,28 vorgestellt, und, was daraus nothwendig folgt, jedem völlig freigestellt würde, sich dieser Vorstellung zu bedienen,[135] oder nicht, jenachdem er es für sich moralisch nützlich fände. Nur eine solche Offenbarung also kann göttlichen Ursprungs seyn, die einen anthropomorphosirten Gott nicht als objectiv, sondern bloss für subjectiv gültig giebt.

Der Begriff der Unsterblichkeit der Seele gründet sich auf eine Abstraktion, die die Sinnlichkeit, besonders der tiefste Grad der Sinnlichkeit, nicht macht. Seiner Persönlichkeit ist jeder unmittelbar durch das Selbstbewusstseyn sicher; das: Ich bin – bin selbstständiges Wesen, lässt er sich durch keine Vernünfteleien rauben. Aber welche von diesen Bestimmungen dieses seines Ich reine, oder empirische, welche für und durch den inneren oder äusseren Sinn, oder welche durch die reine Vernunft gegeben, welche wesentlich, und welche nur zufällig, seyen, und nur von seiner gegenwärtigen Lage abhängen, sondert er nicht ab, und ist nicht fähig es zu thun. Er wird vielleicht nie auf den Begriff einer Seele, als eines reinen Geistes kommen; und giebt man ihm auch denselben, so wird man ihm oft nichts als ein Wort geben, das für ihn ohne Bedeutung ist. Er kann also Fortdauer seines Ich sich nicht anders denken, als unter der Gestalt der Fortdauer desselben mit allen seinen gegenwärtigen Bestimmungen. Wenn eine Offenbarung sich zu dieser Schwachheit herablassen will, – und sie wird es fast müssen, um verständlich zu werden, – so wird sie ihm jene Idee in die Gestalt kleiden, in der er allein fähig ist, sie zu denken, in die der Fortdauer alles dessen, was er gegenwärtig zu seinem Ich rechnet; und, da er den einstigen Untergang eines Theiles desselben offenbar vorhersieht, der Wiederauferstehung29; und die Hervorbringung[136] der völligen Congruenz zwischen Moralität und Glückseligkeit in das Bild eines allgemeinen Verhörs und Gerichtstages, und einer Austheilung von Strafen und Belohnungen. – Aber sie darf diese Bilder nicht als objective Wahrheiten aufstellen. –

(Es ist zwar nicht zu zeigen, dass, wenn man auch diese sinnlichen Darstellungen als objectiv gültig annähme, geradezu Widersprüche gegen die Moral daraus folgen würden, wie sie aus einer objectiven Anthropomorphose Gottes folgeten. Die Ursache davon ist folgende. Gott ist ganz übersinnlich: der Begriff von ihm entspringt rein und lediglich aus der reinen Vernunft a priori; man kann ihn nicht verfälschen, ohne zugleich die Principien dieser zu verfälschen.

Der Begriff der Unsterblichkeit ist aber nicht rein von ihr abgeleitet, sondern setzt eine mögliche Erfahrung, dass es nemlich endliche vernünftige Wesen gebe, voraus, deren Wirklichkeit unmittelbar durch die reine Vernunft nicht gegeben ist. Eine sinnliche Vorstellung der Unsterblichkeit könnte also ihre objective Gültigkeit entweder aus der Endlichkeit der moralischen Wesen, oder aus ihrer moralischen Natur herzuleiten Anspruch machen. Geschähe das erstere, so würde dies den Principien der Moral nicht widersprechen, weil ein solcher Beweis müsste aus theoretischen Principien geführt werden, welche jenen nicht begegnen. – Geschähe das letztere, so müsste der Beweis aus Eigenschaften geführt werden, welche allen moralischen Naturen gemein wären, folglich auch Gotte: Gott selbst würde also dadurch an die Gesetze der Sinnlichkeit gebunden, woraus alle mögliche Widersprüche gegen die Moral folgen würden. Es widerspricht der Moral zwar nicht, dass ich, Mensch mit einem irdenen Körper, gar nicht anders fortdauern[137] könne, als mit einem solchen Körper, und zwar mit eben dem Körper, den ich hier habe; dass dieser Körper, etwa um einer in seiner Natur liegenden Ursache willen, erst eine Zeitlang verwesen müsse, und dann erst wieder mit meiner Seele verbunden werden könne u.s.w. Aber es würde ihr widersprechen, zu sagen, dass Gott an diese Bedingung gebunden sey, weil seine Natur dann durch etwas anderes bestimmt würde, als durch das Moralgesetz. Da dieser Punct bei Behauptung einer objectiven Gültigkeit des Begriffes der Auferstehung sehr wohl unentschieden gelassen werden kann, so folgt auch aus dieser Behauptung an sich nichts gegen die Moral.

Aber eine solche objective Behauptung lässt sich durch nichts rechtfertigen und beweisen. Nicht durch göttliche Autorität: denn eine Offenbarung gründet sich nur auf die Autorität Gottes, als des heiligen: aus seiner moralischen Natur aber lässt sich eine solche Bedingung unserer Unsterblichkeit nicht ableiten, weil sie sonst auch unmittelbar aus der reinen Vernunft a priori sich müsste ableiten lassen. Mit theoretischen Beweisen hat eine Offenbarung es überhaupt nicht zu thun, und sobald sie sich auf diese einlässt, ist sie nicht mehr Religion, sondern Physik, – darf nicht mehr Glauben fordern, sondern muss Ueberzeugung erzwingen; und diese gilt dann nicht weiter, als die Beweise gehen. Für Auferstehung aber ist kein theoretischer Beweis möglich, weil in diesem Begriffe von etwas Sinnlichem auf ein Ueberirdisches geschlossen werden soll. – Zusatz der ersten Ausgabe.)

Nur eine solche Offenbarung also kann göttlich seyn, welche eine versinnlichte Darstellung unserer Unsterblichkeit, und des moralischen Gerichts Gottes über endliche Wesen, nicht als objectiv, sondern nur als subjektiv (nemlich nicht für Menschen überhaupt, sondern nur für diejenigen sinnlichen Menschen, die einer solchen Darstellung bedürfen) gültig giebt. Thut sie das erster, so ist ihr zwar darum noch nicht die Möglichkeit eines göttlichen Ursprunges überhaupt abzusprechen, denn eine solche Behauptung widerspricht der Moral nicht, sie ist bloss nicht von ihren Principien abzuleiten; aber[138] sie ist, wenigstens in Rücksicht dieser Behauptung, nicht göttlich.

Ob eine Offenbarung ihren versinnlichenden Vorstellungen reiner Vernunftideen objective, oder bloss subjektive Gültigkeit beilege, ist, wenn sie es auch nicht ausdrücklich erinnert, welches jedoch zur Vermeidung alles möglichen Misverständnisses zu wünschen ist, daraus zu ersehen, ob sie auf dieselben Schlüsse bauet oder nicht. Thut sie das erstere, so ist offenbar, dass sie ihnen objective Gültigkeit beilegt.

Da endlich die empirische Sinnlichkeit sich, ihren besonderen Modificationen nach, bei verschiedenen Völkern, und in verschiedenen Zeitaltern verändert, und unter der Zucht einer guten Offenbarung sich immer mehr verringern soll; so ist es Kriterium, zwar nicht der Göttlichkeit einer Offenbarung, aber doch ihrer möglichen Bestimmung für viele Völker und Zeiten, wenn die Körper, in die sie den Geist kleidet, nicht zu fest, und zu haltbar, sondern von einem leichten Umrisse, und dem Geiste verschiedener Völker und Zeiten ohne Mühe anzupassen sind. – Eben dies gilt von den Aufmunterungs- und Beförderungsmitteln zur Moralität, die eine Offenbarung empfiehlt. Unter der Leitung einer weisen Offenbarung, die in weisen Händen ist, sollten die ersteren und letzteren immer mehr von ihrer Beimischung grober Sinnlichkeit ablegen, weil sie immer entbehrlicher werden sollte.

27

Dass die Juden älterer Zeiten wirklich so schlossen, bezeugen die Vorstellungen der Propheten gegen diesen Irrthum; dass sie in neueren Zeilen nicht klüger sind, beweisen die lächerlich kindischen Vorstellungen von Gott, die ihr Talmud enthält: ob durch Schuld ihrer Religion, oder ihre eigene, bleibt hier ununtersucht. – Woher aber kömmt bei manchen Christen mittlerer und neuerer Zeilen sogar der Wahn, dass gewisse Anrufungen, z.B. Kyrie Eleison, Vater unseres Herrn Jesu Christi, und dergl. ihm besser gefallen, als andere?

28

Wer mich siehet, siehet den Vater, – sagte Jesus nicht eher, bis Philippus von ihm verlangte, ihm den Vater zu zeigen.

29

Dass z.B. Jesus sich Unsterblichkeit gedacht habe, wenn er von Auferstehung redete, und dass beide Begriffe damals für völlig gleich gegolten, erhellet, ausser seinen Reden beim Johannes über diesen Gegenstand, wo er die ununterbrochene Fortdauer seiner Anhänger in einigen Aussprüchen ganz rein ohne das Bild der Auferstehung, doch ohne sich auf den Unterschied zwischen Seele und Körper, und auf die vom körperlichen Tode mögliche Einwendung einzulassen, vorträgt; unter anderen ganz offenbar aus jenem Beweise kat' anthrôpon gegen die Sadducäer. Der angezogene Ausspruch Gottes konnte, alles übrige als richtig zugestanden, nichts weder als die fortdauernde Existenz Abrahams, Isaaks und Jacobs, zur Zeit Moses, aber keine eigentliche Auferstehung des Fleisches beweisen. Dass auch die Sadducäer es so verstanden, und nicht bloss die körperliche Auferstehung, sondern Unsterblichkeit überhaupt, läugneten, folgt daraus, weil sie sich mit diesem Beweise Jesu befriedigten.

Die Widersprüche, die aus einer zu groben Vorstellung dieser Lehre folgen, nöthigten schon Paulus, sie etwas näher zu bestimmen.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 5, Berlin 1845/1846, S. 130-139.
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