§ 3. Beschreibung der Wissenschaftslehre, als eines Wissens vom Wissen

[7] Die Wissenschaftslehre soll, wie die Zusammensetzung des Wortes zeigt, seyn eine Lehre, eine Theorie des Wissens, welche Theorie sich nun ohne Zweifel auf ein Wissen vom Wissen gründet, dasselbe erzeugt, oder mit einem Worte, – es ist.

Dieses Wissen vom Wissen ist, zufolge des Begriffs, zuvörderst selbst ein Wissen, ein Zusammenfassen eines Mannigfaltigen durchaus mit Einem Blicke.

Es ist ferner ein Wissen vom Wissen. Wie sich verhält das oben beschriebene Wissen von dem Linienziehen zwischen zwei Puncten schlechthin zu den ins Unendliche verschiedenen Fällen dieses Ziehens, so verhält sich das Wissen vom Wissen zu diesem Wissen, welches sodann freilich die Ansicht eines Mannigfaltigen geben müsste, oder schlechthin in Einem Blicke zusammengefasst würde.

Oder, noch deutlicher und schärfer: – in allem blossen[7] Wissen von dem Ziehen der Linie, von den Verhältnissen der Theile eines Triangels, und welcherlei Wissen es noch sonst geben mag, wäre das Wissen in seiner absoluten Identität, eben als Wissen, der eigentliche Mittelpunct und Sitz des – Wissens vom Linienziehen, Verhältniss der Theile des Triangels u.s.w. In ihm eben und seiner Einheit, würde von allem, so verschieden dasselbe auch sonst seyn mag, dennoch auf einerlei Weise gewusst, in dem von uns bezeichneten Sinne; keinesweges aber vom Wissen, als solchem, gewusst, weil ja eben nicht vom Wissen, sondern vom Linienziehen u. dergl. gewusst wird. Das Wissen wäre eben, als Wissen, und wüsste eben, weil es wäre; aber es wüsste nicht von sich, eben weil es bloss wäre. Im Wissen vom Wissen aber würde dieses Wissen selbst durchaus als solches mit Einem Blicke, und darum eben als sich selbst gleiche Einheit, aufgefasst; gerade so wie im Wissen das Linienziehen u.s.w. als sich selbst gleiche Einheit aufgefasst wurde. Im Wissen vom Wissen entäusserte das Wissen sich seiner selbst, und stellte sich hin vor sich selbst, um sich wiederum zu ergreifen.

So hatten wir in unserer Beschreibung des Wissens (§ 1.) allerdings das blosse Wissen – nur eben ein bestimmtes vom Linienziehen – zu unserem Objecte. Das aber, was wir selbst, – nur uns unbewusst, eben weil dies der Mittelpunct unseres Bewusstseyns war, – in dieser Beschreibung waren oder vollzogen, war ein Wissen von diesem blossen Wissen. Wir standen sonach schon in jener Beschreibung nicht auf dem Boden der blossen Wissenschaft, so wie wir es etwa mit jenem Satze von der Linie in der Geometrie thun, sondern auf dem der Wissenschaftslehre; und in der soeben angestellten Betrachtung haben wir noch über der Wissenschaftslehre gestanden.


Es ist klar, dass ein solches sich selbst Ergreifen und Erfassen des Wissens, wie wir das Wissen vom Wissen beschrieben haben, möglich seyn muss, wenn eine Wissenschaftslehre, möglich seyn soll. Nun könnten wir allerdings sogar schon hier aus der Wirklichkeit des Bewusstseyns unserer Aller den,[8] freilich nur mittelbaren, Beweis führen, dass dieses sich ergreifende Wissen wirklich sey, mithin wohl möglich seyn müsse. Der directe unmittelbare Beweis aber ist eben die Wirklichkeit der Wissenschaftslehre, den sich jeder factisch führen wird, wenn er dieselbe in sich realisirt. Wir können uns daher, auf diesen zu führenden factischen uns berufend, alles vorläufigen Beweises durch Worte überheben; da wir zum Ueberflusse schon jetzt durch die blosse Existenz unseres §1. den factischen Beweis angehoben haben.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 7-9.
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