§ 7. Formale und Wort-Erklärung des absoluten Wissens

[14] Wenn es auch bei dem bleiben sollte, was einem jeden schon der Augenschein giebt, dass alles unser wirkliches Wissen ein Wissen von Etwas sey, – diesem Etwas, welches nicht ist jenes zweite oder jenes dritte Etwas; so ist doch ohne Zweifel jeder vermögend die Betrachtung anzustellen, und zu finden, dass es nicht ein Wissen von Etwas seyn könnte, ohne eben überhaupt ein Wissen, schlechthin bloss und lediglich als Wissen, zu seyn. Inwiefern es ein Wissen von Etwas ist, ist es, in jedem anderen Wissen von jedem anderen Etwas, von sich selbst verschieden; inwiefern es eben Wissen ist, ist es sich selbst in allem Etwaswissen gleich, und durchaus dasselbe, ob auch dieses Etwaswissen in die Unendlichkeit fortgehe und insofern in die Unendlichkeit hin verschieden sey. Zu diesem Denken des Wissens nun, als des Einen und sich selbst gleichen in allem besonderen Wissen, und wodurch dieses letztere nicht dieses, sondern eben überhaupt Wissen ist, ist der Leser hier eingeladen, wo vom absoluten Wissen gesprochen wird.

Dass wir es ihm, versteht sich als den Gedanken, der ihm angemuthet wird, noch durch einige Züge beschreiben: – Es ist nicht ein Wissen von Etwas, noch ist es ein Wissen von Nichts (so dass es ein Wissen von Etwas, dieses Etwas aber Nichts wäre); es ist nicht einmal ein Wissen von sieh selbst; denn es ist überhaupt kein Wissen von – noch ist es ein Wissen (quantitativ und in der Relation), sondern es ist das Wissen (absolut qualitativ). Es ist kein Act, keine Begebenheit, oder dass etwas im Wissen, sondern es ist eben das Wissen, in welchem allein alle, Acte und alle Begebenheiten, die da gesetzt werden, gesetzt werden können. Welchen Gebrauch[14] wir dann doch davon machen werden, muss der Leser erwarten. – Es wird nicht entgegengesetzt dem Etwas, wovon gewusst wird; denn dann wäre es das Wissen von Etwas, oder das besondere Wissen selbst, sondern es wird entgegengesetzt dem Wissen von Etwas. (Dass man diesen Punct übersah, darin lag der Grund, warum man die Wissenschaftslehre als auf einem Reflectir-Puncte hangen geblieben erblickte, und einen Standpunct über ihr eingenommen zu haben glaubte, der doch tief unter der wirklichen Wissenschaftslehre liegt.)2


Nun dürfte Jemand sagen, dieser Begriff des Wissens überhaupt sey doch nur eine Abstraction von allem Besonderen des Wissens: und diesem ist allerdings zuzugeben, dass man zu einem besonderen Bewusstseyn des absolut Einen und gleichen in allem besonderen Wissen sich im Verlaufe des wirklichen Bewusstseyns nur durch eine freie Niederdrückung und Verdunkelung (gewöhnlich Abstraction davon genannt) des besonderen Charakters eines bestimmten Wissens erhebe; ohnerachtet es auch wohl noch einen anderen Weg geben könnte, wenigstens hinterher zu diesem Bewusstseyn zu gelangen, welcher letztere gerade derselbe seyn dürfte, den wir in der Folge unseren Leser zu führen gedenken. Wenn nur nicht, nach den Begriffen, dergleichen im philosophischen Publicum gäng und gäbe sind, von einer Abstraction, welche aus einer Menge von Einzelnen herausbringen soll, was in keinem einzigen dieser Einzelnen liegt – wenn nur nicht nach diesen Begriffen durch jene Einwendung soviel gesagt werden soll, dass der Charakter des Wissens überhaupt, den jedes besondere Wissen haben muss, keinesweges für die Möglichkeit jedes einzelnen, besonderen vorausgesetzt werde, sondern etwa erst, nachdem eine beträchtliche Reihe besonderer Wissensbestimmungen abgelaufen, in sie hineinkomme, und nun erst zu einem Wissen mache, was vorher zwar ein besonderes Wissen war, ohnerachtet es kein Wissen war!

2

Am Rande wird vom Verfasser bemerkt, daß dies (in der letzten Redaktion des Werkes) »nur problematisch auszudrücken sey.«

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 14-15.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801
Darstellung Der Wissenschaftslehre Aus Dem Jahre 1801 (Paperback)(German) - Common