§ 11.

[22] Das Wissen ist nicht das Absolute, aber es ist selbst als Wissen absolut.

Nun ist das Absolute, inwiefern es als ruhig bestehend angesehen wird (§ 8.), schlechthin, was es ist. Was in dieser Rücksicht das Wissen sey, eben welches sein absolutes Wesen, d. i. sein beharrendes Bestehen sey, haben wir im vorigen § gesehen. Das Absolute ist ferner, von Seiten des Werdens oder der Freiheit angesehen, – und es muss von dieser Seite angesehen werden, um als Absolutes angesehen zu werden, – was es ist, schlechthin weil es ist. Dasselbe muss vom Wissen, eben als Wissen, gelten.


Zuvörderst ist klar, dass das Wissen, inwiefern es nicht als Wissen schlechtweg, sondern als absolutes Wissen mit Hinzufügung dieses Prädicates, angesehen wird, nicht mehr bloss in sich selbst ruhe, sondern sich wiederum über sich selbst erhebe, und auf sich herabsehe. Diese neue Reflexion nun vollziehen wir hier stillschweigend, und ohne weitere Rechenschaft[22] über ihre Möglichkeit abzulegen, welche ja auch überdies, da das Wissen ein absolutes Fürsich ist, sich von selbst versteht. Bestimmt diese neue Reflexion mit allen ihren Folgen aufzustellen, bleibt der Zukunft vorbehalten.

Ferner ist, zur Erreichung der vollendeten Klarheit und Präcision, hier noch zu bemerken, dass wir schon im vorigen § auf diese Freiheit im Wissen stillschweigend gerechnet, und nur vermittelst ihrer dargestellt haben, was wir darstellten. Das Wissen ist ein Fürsich für sich selbst, sagten wir, und kommt auf diese Weise aus der Einheit der Separaten, somit aus den Separaten nie heraus. Da setzten wir ja, um nur verstanden zu werden, voraus, dass das Wissen nicht in sich festgehalten sey, sondern ins unbedingte sich selbst ausdehnen, sich verbreiten und sich forttragen könne.

Aber ferner, das Wissen ist als Wissen nur für sich und in sich selbst: also nur für sich kann es seyn, weil es ist; und es ist als Wissen, weil es ist, nur inwiefern es dieses Fürsich (keinesweges für ein fremdes und äusseres) innerlich in sich selbst ist; oder mit einer anderen Wendung, inwiefern es sich setzt, als seyend, weil es ist. Nun ist dieses Seyn, weil es ist, nicht Ausdruck des absoluten Seyns (Gesetztseyns und ruhenden Bestehens) des Wissens, wie das im vorigen § aufgestellte und beschriebene, sondern es ist Ausdruck seiner Freiheit, und seiner absoluten Freiheit. Das sonach, wie wir zuvörderst zu erinnern haben, was unter dem Charakter dieser Absolutheit verstanden, und durch ihn herbeigeführt werden wird, folgt nicht aus dem Seyn des Wissens, und dieses Seyn könnte auch ohne dasselbe seyn, wenn überhaupt ein Wissen ohne dasselbe seyn kann. Dieser Charakter ist, wenn er ist, schlechthin, weil er ist, und er ist, wenn er nicht ist, schlechthin, weil er nicht ist; er ist eben Product der absoluten, durchaus unter keiner Regel oder Gesetz, oder fremdem Einflusse stehenden Freiheit des Wissens, und ist selbst diese absolute Freiheit. In diesem Sinne soll daher genommen werden, was wir darüber sagen, nicht, als ob wir es aus irgend einem Anderen ableiten wollten, wie wir es im vorigen § mit dem Seyn des Wissens aus dem Verschmelzen der beiden Prädicate[23] des Absoluten schlechtweg, allerdings gethan haben, sondern dass wir es schlechthin setzen wollen, eben als die innere immanente Absolutheit und Freiheit des Wissens selbst. Soviel über das Formale dieses Freiheits-Charakters im Wissen. Was nun das Materiale desselben betrifft: – ein Wissen, das in sich selbst und für sich selbst ist, weil es ist, hiesse: ein absoluter Act des Wissens, des Fürsichseyns, also eben des sich selbst Ergreifens und sich Durchdringens des absoluten Erzeugens der oben (§ 9.) beschriebenen Fürsichheit oder Ichheit würde gesetzt, und dieser Act würde angesehen als Grund alles Seyns des Wissens. Das Wissen wäre, schlechthin, weil Es wäre, für mich; und es wäre nicht für mich, wenn Es nicht wäre. Ein Act, weil es Freiheit ist, ein Act der Ichheit, des Fürsich, des sich Ergreifens, weil es Freiheit des Wissens ist. Einheit, ein durchaus untheilbarer Punct, des sich Ergreifens und Berührens, und sich Durchdringens in einem untheilbaren Puncte, weil durchaus nur der Act, schlechthin, als solcher, keinesweges aber irgend ein Seyn (des Wissens versteht sich) ausgedrückt werden soll, welches allein das Mannigfaltige (§ 10.) bei sich führt, hier aber in das Begründete fällt, und vom Grunde rein abgesondert werden muss. Ein innerer lebendiger Punct, absolute Aufregung des Lebens und des Lichtes in sich selbst, und aus sich selbst.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 22-24.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801
Darstellung Der Wissenschaftslehre Aus Dem Jahre 1801 (Paperback)(German) - Common