§ 15.

[30] Ueberlegen wir folgende Sätze, die aus der unmittelbaren Anschauung eines jeden bewiesen werden können.

1) Kein absolutes, unmittelbares Wissen, ausser das von der Freiheit (oder: nur auf die Freiheit kann das unmittelbare Wissen gehen). Denn das Wissen ist Einheit von Separaten oder Entgegengesetzten: Separate werden aber zur Einheit nur in der absoluten Freiheit vereinigt (wie theils oben schon nachgewiesen worden, wohl aber jeder in unmittelbarer Anschauung inne wird). Nur die Freiheit ist der erste unmittelbare Gegenstand[30] eines Wissens. (Anders: das Wissen geht nur an vom Selbstbewusstseyn.)

2) Keine unmittelbare, absolute Freiheit, ausser in einem und für ein Wissen. Unmittelbare, sage ich: die, was sie ist, schlechthin ist, weil sie es ist; oder negativ: die durchaus keinen Grund ihrer Bestimmung ausser sich selbst hat (wie z.B. die Naturtriebe dergleichen wären). Denn nur eine solche Freiheit vereinigt in sich absolut Entgegengesetzte: Entgegengesetzte sind aber nur in einem Wissen vereiniget. (Im Seyn, Zustande, Ansich der Qualität, schliessen die Entgegengesetzten einander aus)

3) Also Wissen und Freiheit sind unzertrennlich vereiniget. Obwohl wir sie unterscheiden, – wie, inwiefern und warum wir dies können, wird sich zeigen, – so sind sie in der Wirklichkeit doch gar nicht zu scheiden, sondern schlechthin Eins. Ein Freies, unendlich Lebendiges, das für sich ist, – ein Fürsich, das seine Unendlichkeit schaut, – das Seyn und die Freiheit dieses Lichtes in ihrer innigen Verschmelzung ist das absolute Wissen. Das freie Licht, das sich erblickt, als seyendes: das seyende, das auf sich ruht, als freies: – dies ist sein Standpunct.

Diese Sätze sind entscheidend für die ganze Transcendental-Philosophie.

4) Wenn dies eingesehen worden, muss gefragt werden, wie und woher es eingesehen worden? Aus welcher höheren Wahrheit etwa wir es erweisen wollen? Jeder, der das Vorhergehende verstanden, wird antworten: er sehe es schlechthin ein, das Wesen des Wissens sey schlechthin so; diese Ueberzeugung drücke aus sein ursprüngliches Seyn.

Wir hätten also im obigen eine unmittelbare Anschauung des absoluten Wissens in uns erzeugt, und erzeugten in diesem Augenblicke, da wir dessen inne werden, wieder eine Anschauung (ein Fürsichseyn) dieser Anschauung. Die letztere ist der Vereinigungspunct, um den es uns hier zu thun ist.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 30-31.
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