§ 18.

[35] Sie steht in dem Mittelpuncte und vereinigt: – was heisst dies? Offenbar: das (unten liegende) Seyn ist zugleich in und für sich selbst, und erleuchtet und durchdringt sich in diesem Fürsichseyn; es wird also wesentlich und innerlich die Anschauung, das freie Fürsich, damit verknüpft, und beide sind erst ein Wissen, sonst wäre das Seyn blind. Umgekehrt wird die (obere) Anschauung – das freie Fürsich – in die Form der Ruhe und Bestimmtheit aufgenommen; und erst in dieser Vereinigung wird ein Wissen; ausserdem wäre die Freiheit[35] des Fürsich leer und Nichts; sie fiele durch sich selbst hindurch. So ist Wissen theils sein Seyn erleuchtend, theils sein Fürsich (Licht) bestimmend: die absolute Identität beider ist die intellectuelle Anschauung oder die absolute Form des Wissens, reine Form der Ichheit. Für ist nur im Lichte; aber es zugleich ein fürsich – ein vor sich im Lichte hingestelltes – Seyn.

Hier – welches wohl zu merken ist, – wohnt die intellectuelle Anschauung in sich selbst; sie ist innerlich, ein reines für, und durchaus nichts weiter. Um diesen sehr abstracten und in sich unverständlichen Gedanken durch seinen Gegensatz zu erläutern (weil das in ihm Gedachte, wie sich bald zeigen wird, nur mit seinem Gegensatze zugleich möglich ist): es soll oben ein Object, als Ich, liegen, für welches ein unten liegendes Objectives ist, das aber selbst nur ist jenes obere Ich. In dem oberen soll liegen und gegründet seyn die Anschauung, in dem unteren das Seyn: beide aber sollen verbunden seyn zur Identität, so dass, wenn du ja eine Zweiheit denkst, wie du nicht anders kannst, du von jedem die Anschauung, wie das Seyn, prädiciren musst; d.h. es sind eigentlich nicht zwei Glieder, ein oberes und ein unteres, verbunden durch eine Linie, sondern Ein sich selbst durchdringender Punct, eben darum nicht nur das Einsseyn beider Glieder und ein ausserhalb beider fallendes Wissen (Anschauen etwa eines anderen, objectiven), sondern das sich als Eines Wissen derselben (Anschauen ihrer Identität). Erst dies ist wirkliches Bewusstseyn – eine Bemerkung, die nicht nur hier, um der nothwendigen Schärfe des Systemes gemacht werden muss, sondern die zu ihrer Zeit mit einer höchst wichtigen Folge wiederum eintreten wird. –

Bis jetzt sind wir heraufgestiegen, haben alle Glieder, durch die wir heraufstiegen, liegen gelassen, und stehen nun in dem höchsten Puncte, in der absoluten Form des Wissens, dem reinen Für. – Dieses Fürsichseyn ist ein absolutes Fürsich, d.h. schlechthin was, und schlechthin weil es ist, nicht aus einem Anderen und zufolge desselben. Seine Anschauung ruht daher in sich selbst für sich, was wir als die Form des[36] Denkens bezeichneten. Sie ist daher, als absolute Form des Denkens, in sich selbst gehalten, nicht etwa hält sie sich selbst. Sie ist ein in sich selbst helles, stehendes und geschlossenes Auge. (Es giebt eben, wie wir schon oben von anderen Seiten zeigten, ein absolutes, qualitativ bestimmtes Wissen, das da eben ist, nicht gemacht wird, und aller besonderen Freiheit der Reflexion vorausgeht, und allein sie möglich macht.)

In diesem also in sich geschlossenen Auge, in welches nichts Fremdes hineintreten, und welches nicht aus sich herausgehen kann zu einem Fremden, steht nun unser System; und diese Geschlossenheit, die sich eben auf die innere Absolutheit des Wissens gründet, ist der Charakter des transcendentalen Idealismus. Sollte es doch aus sich herauszugeben scheinen, wie wir allerdings darauf schon gedeutet haben, so müsste es eben zufolge seiner selbst aus sich – welches es dann nur in einer besondern Rücksicht als sich setzte, – herausgehen.

Zugleich tritt mit der entdeckten absoluten Form des Wissens, schlechthin für sich zu seyn (§ 18), die Reflexion des Wissenschaftslehrers als thätig und als etwas aus sich selbst herbeiliefernd, was nur ihm bekannt und vorbehalten wäre, völlig ab. Sie ist von hier an nur leidend, verschwindet also als ein Besonderes. Alles, was von nun an aufgestellt werden soll, liegt in der aufgezeigten intellectuellen Anschauung, deren Wurzel das Fürsich des absoluten Wissens selber ist, und der Verfolg ist bloss und lediglich eine Analyse derselben, – wohlgemerkt, inwiefern sie nicht etwa als ein einfaches Seyn, Ding, angesehen wird, in welchem Falle es nichts zu analysiren in ihr gäbe, sondern inwiefern sie eben als das, was ist, als Wissen angesehen wird. Sie ist unser eigener Ruhepunct. Doch analysiren wir nicht, sondern das Wissen selbst analysirt sich, und vermag dies, weil es in allem seinem Seyn ein Fürsich ist.

Von diesem Augenblicke demnach stehen und ruhen wir selbst in der Wissenschaftslehre, nachdem ihr Object, das Wissen, ruht. Bisher suchten wir nur den Eingang in sie.[37]

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 35-38.
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