§ 19.

[38] Das Wissen ist nun gefunden und steht vor uns, als ein auf sich selbst ruhendes und geschlossenes Auge. Es sieht nichts ausser sich, aber es sieht sich selbst. Diese Selbstanschauung desselben haben wir zu erschöpfen, und mit ihr ist das System alles möglichen Wissens erschöpft, und die Wissenschaftslehre realisirt und geschlossen.

Zuvörderst: dieses Wissen erblickt sich (in der intellectuellen Anschauung) als absolutes Wissen. Diese Ansicht ist die erste, die wir aufstellen müssen; nur durch sie hat unsere Untersuchung einen festen Standpunct gewonnen.

Insofern es für sich absolut ist, ruht es eben auf sich selbst, ist vollendet in seinem Seyn und seiner Selbstanschauung. Dies ist im obigen (§ 17) erörtert worden. – Aber das Absolute ist zugleich, weil es ist. Auch in dieser Rücksicht muss das Wissen für sich absolut seyn, wenn es ein absolutes Wissen oder Fürsich ist. Dies ist sein Auge und Standpunct in der intellectuellen Anschauung (§ 18).

Das absolute Wissen ist für sich schlechthin, weil es ist, heisst daher: die intellectuelle Anschauung ist für sich ein absolutes Selbsterzeugen, durchaus aus Nichts: ein freies Sichergreifen des Lichts, und dadurch Werden zu einem stehenden Blicke und Auge. Kein Factum des Wissens (Seyn, Gelegenheit und Gebundenheit in sich), ohne die absolute Form des Fürsich, also ohne die Möglichkeit, dass der freie Act der Reflexion über ihm aufgehe.

Aber das absolute Wissen muss schlechthin für sich seyn, was es ist. Das eben beschriebene innere Weil schlechthin – soll mit dem inneren Was schlechthin – verschmelzen, und diese Verschmelzung selbst soll innerlich oder für sich seyn. – Sehr leicht lässt sich dies durch folgende Exposition ausdrücken: Das Wissen muss für sich seyn, schlechthin es ist, unmittelbar weil es ist. In dem Weil liegt nicht zugleich die Bestimmung des Was; diese liegt durchaus im Seyn des Wissens; in jenem liegt nur das blosse, nackte Factum als solches, oder das Dass eines Wissens und wissens. Oder:[38] die Freiheit ist auch hier nur formal, dass überhaupt ein Wissen, ein Fürsichseyn, erzeugt werde, nicht aber material, dass ein solches erzeugt werde. Wenn es sich nicht erzeugend fände, so finde es sich überhaupt nicht und wäre nicht; und es könnte von einem, einer Qualität desselben auch nicht die Rede seyn. Wie es aber sich erzeugend findet, so findet es zugleich unmittelbar, ohne Erzeugung, schlechthin sein Was, und ohne dieses findet es sich auch nicht, als sich erzeugend; – und dies nicht zufolge seiner Freiheit, sondern zufolge seines absoluten Seyns. – Nachdem wir hieraus wenigstens so viel gesehen, dass wir nicht einfache Puncte, sondern selbst Synthesen im Wissen zu vermitteln haben, gehen wir zu den anderen Gliedern unserer Hauptsynthesis (§17 fin.).

Das absolute des Wissens ist hier bekanntlich auch nur eine blosse Form, die des Denkens oder des absolut in sieh Gebundenseyns des Wissens. Dieses soll, als Was, unabhängig von aller Freiheit, sich finden, wie diese sich findet; für sich seyn. Alle Anschauung aber ist Freiheit, ist daher schlechthin, weil sie ist (absolutes Selbsterzeugen aus nichts: s. oben). Schauete daher dieses Weil sich an, so würde das als absolutes vernichtet. Die Form dieser Anschauung wird daher durch ihre Materie vernichtet; sie verschwindet schlechthin in sieh selbst. Es ist zwar ein Wissen, Fürsich, das aber schlechthin nicht wieder für sich ist, ein Wissen ohne Selbstbewusstseyn; ein durchaus reines Denken, das da als solches verschwindet, sobald man sich dessen bewusst wird: – eben ein absolutes Waswissen, ohne ein Woher angeben zu können, welches Woher ja eben die Genesis wäre.

(Dies sollte bekannt seyn; denn eben die Wissenschaftslehre hat von der ungebührlichen Ausdehnung desselben heilen wollen.)

Es ist auch hier wieder eine Duplicität, wie allenthalben: ein Seyn, und eine freie, über dem Seyn sich erhebende Anschauung. Beide sind aber im gegenwärtigen Falle nicht wie der vereinigt und verschmolzen, so wie in den früher aufgewiesenen Nebengliedern die Freiheit und das Seyn, das Fürsich und das Was, die Anschauung und das Denken, verschmolzen[39] waren in einem absoluten Einheitspuncte des Bewusstseyns. Hier ist der synthetische Einheitspunct daher nicht vorhanden und nicht möglich; es ist ein hiatus im Wissen. (Jeder, der gefragt wird, woher er wisse, dass er etwas thue, – was doch dieses oder jenes seyn kann, sagt: er wisse eben schlechthin, was er thue, weil er es thue; er setzt daher eine unmittelbare Verbindung des Thuns und des Wissens, eine Unabtrennbarkeit beider, und, da alle absolute Freiheit ein saltus ist, eine Continuität des Wissens über diesen saltus hinweg voraus. Wenn aber jemand gefragt wird, woher er z.B. wisse, dass alles Zufällige den Grund seines Soseyns in einem Anderen haben müsse; so sagt er: das sey schlechthin so, ohne uns eine Verbindung dieses seines Wissens mit seinem übrigen Wissen oder Thun angeben zu wollen. Er gesteht den hiatus ein.)

Beide, in ihrer Unmittelbarkeit aus einander fallende Glieder machen aber erst in ihrer Einheit das absolute Wissen aus; und diese absolute Einheit, als solche, muss für sich seyn, so gewiss das absolute Wissen für sich ist. (Dies der Hauptnerv der Intuition.) Diese Einheit – dass ich es durch den Gegensatz deutlich mache – wäre aber keine absolute, sondern bloss factische, auf Freiheit, als solche, gegründete Einheit, wenn sie etwa so ausgedrückt würde: indem ich reflectirte, fand sich dies; so dass sich wohl auch etwas anderes hätte finden können; – oder: ich fand dies im Reflectiren, so dass sich es wohl noch auf andere Weise hätte finden können; – sondern indem sie so ausgedrückt wird: aus dem folgt schlechthin eine solche Reflexion (nicht sie selbst, als Factum, denn sie selbst folgt gar nicht, ist schlechthin freier Act, wie sattsam gezeigt worden), und aus der Reflexion, nachdem sie selbst als factisch vorausgesetzt ist, folgt ein solches Was.

Die unmittelbare Einsicht in diese nothwendige Folge, – denn dies heisst eben das Fürsich jener Einheit, als absoluter, wäre nun selbst ein absolutes Denken (eine absolute Anschauung des Seyns des Wissens), welches auf die Form des reinen Denkens, in der Gestalt, wie oben beschrieben wurde,[40] als schon für sich seyend, und auf die freie Reflexion als Factum ginge, und beide als absolut verknüpft seyend – ich sage: seyend – anschaute.

In diesem Denken, oder auch in dieser Anschauung, würde nun die ganze intellectuelle Anschauung, wie sie beschrieben worden ist, als absolutes – nicht Anschauen noch Denken, sondern als reale Einheit beider vor sich hingestellt, eben auch als das, was sie ist, als ein festes und innerhalb der festen (schon nachgewiesenen) Grundform des Wissens. Sie reflectirt sich in ihr selbst, und zwar, da sie das nicht etwa zufälligerweise, so dass sie es auch unterlassen könnte und doch wäre, thut; – sie thut es eigentlich gar nicht, sondern sie ist es. Es lässt sich auch nicht sagen, dass die hier beschriebene Reflexion ihr Licht auf die vorher beschriebene stehende und, aufgestelltermaassen, in sich selbst blinde und in eine getrennte Duplicität zerfallende Anschauung werfe; denn sie hat in sich selber kein Licht, ohne aus jener, in der das Fürsich des Wissens schon ursprünglich sich realisirt hat. Es ist also immer nur Ein und ebenderselbe sich aus sich selbst absolut erleuchtende Anschauungspunct, den wir in unserem Vortrage nur vorerst nach seinem äusseren Seyn, da wir aus uns das Licht hergaben, und sodann erst nach seinem inneren Lichte beschrieben.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 38-41.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801
Darstellung Der Wissenschaftslehre Aus Dem Jahre 1801 (Paperback)(German) - Common