§ 43.

[136] Als Grundprincip der Empirie hat sich ergeben: 1) Ein, nur auf das absolute Seyn zu beziehendes – (wie? wissen wir noch nicht, und davon ist eigentlich die Frage) – Gesetz schmiegt sich unmittelbar und unabtrennlich, wenn ein Wissen ist, an dasselbe an, um eine für das Wissen durchaus zufällige[136] und a priori ihm unbegreifliche Folge der Qualitäten der Materie zu entwickeln. (Die Folge, als diese bestimmte, liegt nicht im Gesetze sondern im Wissen; in jenem liegt nur, dass, da eine Folge seyn muss, sie eine qualitativ so und so grundbestimmte ist.) Da dies Gesetz, wenn ein Wissen ist, sich durchaus auf gleichmässige Weise vollzieht, so haben wir nur Ein empirisches Wissen und Ein Ich als Repräsentant aller empirischen Iche, gesetzt. Das Ich daher, was hier vorkommt, ist die blosse Position des formalen Wissens überhaupt, dass ein Wissen ist, und weiter Nichts.

2) Für dieses Ich ist die Naturerscheinung in jedem Momente – jeder ihrer als ein Ganzes gefassten Zustände (denn wir dürften noch andere Momente erhalten), – laut des schon geführten Beweises, Trieb, ein organischer nemlich, Naturtrieb. – Das Wissen (Gefühl) dieses Triebes ist aber nicht möglich, ohne Verwirklichung desselben – Handeln; und da das (zumal empirische) Handeln nicht ein Ding an sich, sondern nur Moment des Wissens seyn kann, – das Ich erscheint sich unmittelbar als das handelnde. Dies Handeln ist allein, wenigstens so weit wir bis jetzt gekommen sind, das unmittelbar aufzufassende Leben des Ich, von welchem aus erst alles Andere, bisher Bekannte und hier zunächst die willenlos treibende Natur aufgefasst wird.

3) Dies Handeln aber erscheint, wie mehrmals erinnert worden, in der Linienform, nicht als Organisiren, sondern Mechanisiren, als freie Bewegung und hiermit in der Zeit. Insofern bleibt das Ich in demselben der Natur hingegeben und hängt an ihr: es ist selber die höchste Naturerscheinung. – Aber in der vorliegenden Natur sind von jedem Puncte aus unendliche Richtungen möglich. Ueber diese kann die also angesehene Natur durchaus Nichts bestimmen, weil hierüber in ihr, in dem Gesetze ihrer Anschauung, schlechthin keine Bestimmung dafür liegen kann. In diesem Puncte also, – in dem sich Richtung Geben – reisst sich das Ich durch das formale Grundgesetz seines Wesens vom Seyn los, – oder die Natur lässt es los, was ganz dasselbe ist. Hier ist das Freiseyn absolutes formales Gesetz.[137]

4) Ferner: selbst inwiefern die Intelligenz dem Naturgesetze der Concretion sich hingiebt, wie sie allerdings muss, wenn es mit ihr zum Wissen von sich selbst kommen soll, denkt sie dennoch sich frei in jedem Puncte dieser Concretion: sie macht daher die Naturreihe zugleich zu ihrer eigenen Zeit– und Bewegungsreihe.

Aber ebenso verknüpft wiederum die Intelligenz die einzelnen Puncte ihrer Freiheit über die Naturconcretion hinaus zu einer höheren, der Natur gegenüber selbstständigen Denkreihe: sie vereinigt die einzelnen Momente ihres Handelns in die Einheit eines Zweckbegriffes, der an die gegebene Natur sich anschliesst, aber in seiner eigenen Verknüpfung schlechthin über sie hinausliegt. Hieraus ergiebt sich das wichtige Resultat: Schon der Naturtrieb erhebt das Ich unmittelbar über die gegebene Concretion der Natur, in der es sich anschauend findet, zu einem Ganzen von Handeln, zu einem Plane u. dgl., weil es als handelnd nicht mehr bloss sich anschaut, sondern darin zugleich denkt. In der ursprünglichen Selbstanschauung des Ich ist daher nicht nur gesetzt, dass es sich als freies Handeln, Richtunggeben u.s.w. anschaue, sondern auch, dass es dies Handeln verknüpfe, somit selbstständige Zwecke setze innerhalb der Natur.

a. Hierdurch erhält der oben aufgestellte Satz: jedes individuelle Ich erfasst sich nothwendig als irgend eine Zeit dauernd und frei sich bewegend, erst seine rechte Bedeutung und Anwendung. Der Begriff des Handelns und Zwecksetzens, als der eigentliche Inhalt jener individuellen Zeit und Bewegung, tritt hier noch hinzu, und es wird zugleich klar, wie die individuelle Zeit und Erfahrung sich ablöse vom allgemeinen Wissen, wie das individuelle Ich eigentlich entstehe innerhalb dieser allgemeinen Grundform des Wissens.

b. Der Satz: ohne Erhebung zur sittlichen Freiheit handle nicht ich, sondern die Natur handelt durch mich, heisst nun naher betrachtet Folgendes: Ich, wiewohl individuell und mich frei bestimmend, hiermit also von der Natur losgerissen oder über sie erhoben, habe unmittelbar doch nur einen Naturplan und Zweck, den ich aber in der Form und nach dem Gesetze[138] eines vernünftigen Wesens verfolge. Die Freiheit des Ich über die Natur ist hier noch die formelle und leere.

5) Das Resultat des Bisherigen lässt sich daher in folgenden Sätzen aussprechen:

a) Das Ich kommt durchaus nicht zur Wahrnehmung der todten, willenlosen, in allen ihren Zeitbestimmungen unabänderlich bestimmten Natur, ohne sich selbst als handelnd zu finden. b) Das Grundgesetz dieses Handelns, dass es eine Linienrichtung nehme, liegt nicht in der Natur, welche so weit gar nicht reicht, sondern es ist ein immanentes formales Gesetz des Ich; und der Grund derselben liegt durchaus im Wissen, als solchem. c) Aber die Richtung ist eine bestimmte, und auch den Grund der Bestimmtheit dieser Richtung schreibt das in diesem Standpuncte stehende Ich nothwendig sich selbst zu, da es ihn nicht der Natur zuschreiben kann, weiter aber, als Natur und Ich, es hier Nichts giebt. d) Da es aber für uns, und möglicherweise für jedes Wissende, allerdings noch ein Höheres giebt, ein Herausgehen des Wissens aus seinem factischen Seyn, um zu seinem transcendentalen Möglichkeitsgrunde aufzusteigen, welches wir von hieraus noch nicht vorgenommen haben; so vermeiden wir darüber abzusprechen, ob das Ich auch transcendentaler Grund der Richtung sey, uns begnügend zu sagen, was wir wissen. Dies ist der Strenge nach nur Folgendes: Das hier vorliegende Wissen ist Wahrnehmung; das Ich nimmt sich also wahr, als Grund einer bestimmten Richtung, oder genauer: das Ich nimmt in der Wahrnehmung seines wirklichen Handelns wahr, welcher bestimmten Richtung Grund es sey.

6) Hierbei ergiebt sich zugleich ein wichtiger Folgesatz, den wir um der Strenge des Systemes willen nicht vorbeilassen dürfen. Einestheils gilt, als Resultat des Früheren: die Wahrnehmung der vernunftlosen Welt ist bedingt durch Wahrnehmung (Sichergreifen) der Freiheit; diese ist Idealgrund jener, denn erst durch die letztere kommt es überhaupt zu einem Wissen. Anderntheils hat sich oben gezeigt: die Wahrnehmung der Freiheit ist bedingt durch Wahrnehmung der vernunftlosen Welt; diese ist Realgrund jener, denn die letztere[139] liefert der Freiheit erst die Möglichkeit eines realen Handelns. Das Verhältniss ist wie in der Anschauung zwischen Körper- und Linienform, die auch wechselseitig durch einander bedingt waren, oder höher in der Grundsynthesis des Wissens, wie die absolute Form der Anschauung und die Grundform des Denkens. Die Wahrnehmung kat' exochên, die absolute Form und der Umfang des unmittelbaren Wissens, ist daher weder Wahrnehmung der todten Welt, noch der der Freiheit, sondern schlechthin beider in ihrer Unabtrennlichkeit und in ihrem durch die unmittelbare Reflexion ebenso unmittelbar gesetzten Gegensatze: ihr Gegenstand, das Universum, ist gleichfalls durchaus an sich der Eine, gegensatzlose; der Erscheinung nach aber getrennt in eine Sinnen- und intelligible Welt. (Man sieht, wie unsere Untersuchung sich ihrem Schlusse naht. Das ganze factische Wissen, der Sinnenwelt, ist nun synthetisirt; nur noch dieses mit seinem höheren Gliede, der intelligibeln Welt, in das vollständige Verhältniss gebracht, und unser Geschäft ist vollendet. Denn mit den einzelnen Subjecten und Objecten und ihren psychologischen Erscheinungen und Unterschieden hat es keine Transcendental – Philosophie zu thun.)

Auch kann diese Wahrnehmung der Freiheit aus einer nur individuellen in die allgemeine sehr leicht verwandelt werden, durch die Bemerkung, dass meine Freiheit ja der Grund eines realen Wirkens seyn solle, überhaupt aber gezeigt worden ist, dass ich nicht real bin, ausser in der Wechselwirkung mit allen Wissenden, und getragen von dem allgemeinen, Einen Wissen, damit aber eine der realen Möglichkeiten in ihm wirklich vollziehend. Was demnach für mich an mir wahrnehmbar ist, ist sofern es real vollzogen, gehandelt, geschehen ist, für Alle in das Reich des Wirklichen (der Wahrnehmung) getreten. Dadurch wird nach unseren Prämissen ganz von selbst begreiflich (worüber die bisherige Philosophie noch nichts Gründliches vorgebracht hat), wie freie Wesen von den Producten der Freiheit Anderer wissen: die vollzogene reale Freiheit ist die bestimmte Vollziehung einer Möglichkeit der allgemeinen[140] Wahrnehmung, in der die Iche nicht getrennt, sondern vielmehr Eins, nur Ein Wahrnehmendes, sind.

Quelle:
Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 2, Berlin 1845/1846, S. 136-141.
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