Drittes Bruchstück

Das Nashorn

[13] 35

Sich aller, die lebendig sind, erbarmen,

Nicht irgend einem Unruh da bereiten,

Den Sohn nicht suchen, minder noch Genossen,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


36

Beisammensein läßt Angewöhnen wurzeln,

Aus Angewöhnen wächst empor das Leiden:

Merkt Elend auf man gehn aus Angewöhnen,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


37

Aus Mitleid mit Geliebten, treu Vertrauten,

Sein Heil vergißt man, angehangen herzlich:

Muß Arg man also merken bei dem Bunde,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


38

Wie Bambus buschig eng am Boden aufwächst,

An Weib und Kind ist eng der Wunsch erwachsen:

Wie Bambusblüte hoch am Halm entflattert,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


39

Ein Wild im Walde, nirgendwo gefesselt,

Nach Willkür wie es schweift auf seiner Fährte:

Verständig umgehn, eingedenk der Freiheit,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


[14] 40

Anrede muß man dulden bei Genossen,

Verweilt man, geht man seinen Gang gemeinsam:

Wo niemand nachfragt, eingedenk der Freiheit,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


41

Geringe Lust erlebt man an Genossen,

An Kindern läßt man reich erreifen Liebe:

Geliebtes lassen weil in Ekel endet,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


42

Nach keiner der vier Seiten feig erfunden,

In sich zufrieden, sei es auch wo immer:

Hin über Klippen klimmen, unabwendbar,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


43

An feste Fesseln binden sich auch Büßer,

Den Bürgern gleich an Haus und Hof gesiedelt:

Um andrer Kinder keines mehr sich kümmern,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


44

Hinwegtun was den Hausner hält umwoben,

Nach innen tief wie Ebenholz verdichtet:

Gewaltig spalten weg den Splint Gewohnheit,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


45

Den Heitern, wer ihn findet als Gefährten,

Mit ihm zu wandern, wohlgeborgen, weise:

Geklommen tapfer über alle Klippen,

Gar fröhlich wandern mit ihm darf er munter.


46

Den Heitern wer nicht findet als Gefährten,

Mit ihm zu wandern, wohlgeborgen, weise:

Ein König, der sein Reich erobert aufgibt,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


[15] 47

So laßt uns glücklich preisen, wer den Freund gewann,

Ihn achten, den Gefährten, edel der uns gleicht;

Vermißt man ihn: untadelbar geblieben,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


48

Von Golde glitzern wann man sieht Geschmeide,

Gar fein vom Schmiedekünstler beigebosselt,

Als Reifepaar sich reiben auf dem Arme:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


49

Selbander angeschlossen wär' ich also,

Zu müßt' ich raten, raten ab mir lassen:

Kann da nun Arg man ahnen, wie es ankommt,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


50

Wie launisch locken doch Begierden hold heran,

Und übermächtig reißt am Herzen ihre Macht;

Erblickt man in Begier verborgen Elend,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


51

Ein Ach und Weh, ein ängstlich Suchen ist es,

Ein Kranksein, ist ein Stachel mir, ein Starrkrampf:

Merkt also Arg man in Begier verborgen,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


52

So Kälte, Hitze dulden, Hungern, Dürsten,

Den Sturm, die Sonne, Mücken, Fliegen, Schlangen:

Gewohnt an alles, wie es wird verwunden,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


53

Dem Ilphen gleich, der fern der Herde hinzieht,

Am weiten Weiher, reich an Lotus, anlangt,

Im Waldesreigen will beliebig bleiben:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


[16] 54

Es kann nicht wer Geselle sein der Menschen

Auch zeitlich nur Erlösung auszukunden:

Vom Sonnenhelden Jünger so gelehrig,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


55

Der Dornenzaun der Ansicht ist zertreten,

Der Steg erstiegen, Pfad erfunden weiter,

Ein Wissen spür' ich, keinem mehr erspähbar:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


56

Nichts lieben, nichts verleugnen, nichts erdürsten,

Nichts an sich maßen, düster nichts verdenken,

Nichts hoffen mehr, der ganzen Welt entwesen:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


57

Den schlechten Freund, man wird ihn von sich weisen,

Den Übeldeuter, der nach Unbill umgeht,

Ihm weichen aus, dem Schlaffen, der sich anschließt:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


58

Der viel erfuhr, die Satzung wahrt, man trifft ihn,

Den treuen, hochgemuten Mann, der hell blickt:

Und weiß man was da not ist, frei der Fragen,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


59

Geringe Lust, Begierdenwohl der Menschen,

Verschmäht man gern und wird man bald vergessen:

Wo Zier nicht mehr umschmeicheln kann das wahre Wort,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


60

Bei Weib und Kind, bei Vater und bei Mutter,

Bei Geld und Gut und allem was uns anhängt:

Ist bei Begierde Rücksicht überwunden,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


[17] 61

»Beklemmung wirkt es, jenes kleine Wohlsein,

Mit wenig Würze, mehr gemischt mit Leiden,

Ein Tropfen ist es«: also, traun, gewitzigt,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


62

Zerrissen wo herab die Schlingen gleiten,

Wie Fisch im Wasser, der die Reuse durchbricht,

Wie Feuer sich der Asche nicht mehr zukehrt:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


63

Gesenkten Blickes weiterziehn, kein Schwärmer,

Der Sinne mächtig, wohlgewahrt im Geiste,

Von nichts versucht, versehrt von keinem Fieber:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


64

Verwerfen was den Hausner hält umwoben,

Gleichwie der Baum die alten Blätter abwirft:

Im fahlen Wams entwichen fern als Pilger,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


65

Geschmack empfinden ohne Gier, unwählsam,

Kein Gast mehr sein, den Bissen still erbetteln,

Von Haus zu Hause, nirgend angehangen:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


66

Vorbei die Hemmung, fünffach die den Geist verstört,

In Staub versunken sind die Schlacken alle hin:

Auf nichts gestützt, aus Lieb' und Haß erhoben,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


67

Fernab im Rücken lassen Wohl und Wehe,

Was Frohsinn war, was Trübsinn einst erschienen:

So Gleichmut innig üben, Ruhe, Reinheit,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


[18] 68

Im kühnen Kampf erobern höchsten Siegespreis,

Unangelegen, nirgend an sich lehnen:

Wie starker Streiter so beharrlich Kraft erwirbt,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


69

In sich bestanden, keiner Schauung widerstehn,

Beständig so zu denken aus die Dinge:

Bis Elend offenbar dann wird an jedem,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


70

Nach Durstversiegung ahmen unermüdlich,

Kein tauber Tor, gewitzigt, wohlgewärtig,

Der Satzung Ende merken, rüstig, kühn bereit:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


71

Dem Löwen gleich, den kein Gelärm verschüchtert,

Dem Winde gleich, der nicht am Netze haftet,

Wie Lotus, den kein Tropfen kann beträufeln:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


72

Gleichwie der Löwe, rachenstark erstanden,

Der Tiere König als ein Herrscher hinzieht,

Ein Lager einsam gern, entlegen aufsucht:

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


73

In Liebe, Gleichmut, Mitleid ab sich lösen,

Und auch in Freude wirken so beizeiten:

Die ganze Welt in Frieden durchzuleuchten,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


74

Von Gier und Haß und Irrsal abgeschieden,

Zerrissen wo herab die Schlingen gleiten:

Von Schwanken frei wo Leben langsam endet,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.


[19] 75

Begegnet wird man, wird gesucht aus Absicht,

Kann anders heute kaum Gefährten finden:

Auf sich da sehn im Schmutze hin die Menschen,

Allein nur wie das Nashorn mag man wandern.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 13-20.
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