Vorrede zur ersten Auflage.

[7] Das vorliegende Buch macht keinen Anspruch darauf, der Welt eine neue Theorie der Geistesoperationen zu geben. Wenn es überhaupt die Aufmerksamkeit beansprucht, so gründet sich dieser Anspruch auf die Thatsache, dass es ein Versuch ist, die besten Ideen, welche von philosophischen Schriftstellern veröffentlicht wurden oder zu denen sich strengere Denker bei ihren wissenschaftlichen Untersuchungen bekannten, nicht überflüssig zu machen, sondern zu einem Ganzen zu verweben und zu einem System zu vereinigen.

Die einzelnen Bruchstücke eines Gegenstandes, der niemals als ein Ganzes behandelt worden ist, aneinanderzukitten, die wahren Theile auseinanderklingender Lehren durch Herstellung der nöthigen Glieder in der Gedankenkette, und durch Loslösung der Irrthümer, womit sie mehr oder weniger verwoben sind, in Harmonie zu bringen, verlangte naturgemäss keinen geringen Aufwand eigener Speculation. Auf andere Originalität macht dieses Werk keinen Anspruch. Bei der gegenwärtigen Pflege der Wissenschaften würde man stark gegen einen jeden eingenommen sein, der sich einbilden sollte, dass er eine Revolution in der Theorie der Erforschung der Wahrheit bewirkt oder derselben ein fundamental neues Verfahren hinzugefügt habe. Die Verbesserungen, welche in den Methoden des Philosophirens zu machen sind (und der Verfasser glaubt, dass sie der Verbesserung sehr bedürfen), können nur darin bestehen,[7] dass man systematischer und genauer Operationen ausführt, mit denen, wenigstens in ihrer einfachsten Form, der menschliche Geist bei der einen oder andern seiner Thätigkeiten schon vertraut ist.

Der Verfasser fand nicht für nöthig, in demjenigen Theil des Werkes, welcher von dem Syllogismus handelt, in technische Einzelheiten einzugehen, welche so vollkommen aus den Abhandlungen über die sogenannte scholastische Logik zu schöpfen sind. Man wird bemerken, dass er die Verachtung, welche manche neueren Philosophen für die syllogistische Kunst hegen, keineswegs theilt, obgleich ihm die wissenschaftliche Theorie, auf welche man dieselbe gewöhnlich stützt, als eine irrthümliche erscheint. Die Ansicht, welche er über die Natur und den Gebrauch des Syllogismus hat, bieten vielleicht ein Mittel, die Principien der Kunst mit dem, was in den Lehren und Einwürfen ihrer Gegner gegründetes liegt, zu versöhnen.

Dieselbe Enthaltung vom Detail konnte dagegen im ersten Buch, welches von den Namen und den Urtheilen handelt, nicht beobachtet werden, da manche nützlichen Grundsätze und Unterscheidungen, welche die alte Logik kannte, allmälig aus den Schriften späterer Lehrer verschwanden, und es wünschenswerth schien, sie wieder zu beleben, und zugleich die philosophische Grundlage, auf welcher sie ruhen, zu verbessern und rationeller zu machen. Die ersten Capitel des einleitenden Theiles werden daher manchem Leser unnöthig elementar und scholastiach erscheinen. Diejenigen aber, welche wissen, in welches Dunkel die Natur unseres Wissens und die Natur der Processe, durch welche es gewonnen wird, durch unklares Verständniss der Bedeutung und des Inhalts der verschiedenen Classen von Wörtern und Behauptungen oft gehüllt wird, werden diese Betrachtungen weder als unwichtig noch als bedeutungslos für den in den späteren Capiteln behandelten Gegenstand erkennen.[8]

In Beziehung auf die Induction bestand die Aufgabe, die Methode der Untersuchung der Wahrheit und der Schätzung des Beweises, vermittelst deren so viele wichtigen und verborgenen Naturgesetze den verschiedenen Zweigen des menschlichen Wissens gewonnen wurden, zu verallgemeinern; dass dies keine leichte Aufgabe war, wird man aus der Thatsache erkennen, dass eminente Schriftsteller (unter denen Erzbischoff Whately und der Verfasser eines berühmten Artikels über Bacon in der Edinburgh Review1) sogar in neuester Zeit sich nicht scheuten, sie als unmöglich zu bezeichnen. Der Verfasser hat sich bemüht, ihre Theorie in derselben Weise zu bekämpfen, in welcher Diogenes das skeptische Schliessen gegen die Möglichkeit der Bewegung widerlegte, und er ist sich wohl bewusst, dass Diogenes' Argumente dieselbe Gültigkeit gehabt hätten, wenn sich sein Spazieren auch auf dem Umkreis seines Fasses beschränkt hätte.

Was auch der Werth von dem, was der Autor in diesem Theile erreicht hat, sein mag, er hält es für seine Pflicht anzuerkennen, dass er viel davon verschiedenem in den letzten Jahren veröffentlichten, theils historischen, theils philosophischen Abhandlungen über die allgemeinen Resultate und das Verfahren der Naturwissenschaften verdankt. Diesen Abhandlungen und ihren Verfassern hat er[9] sich bemüht, in dem Werke Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Da er indessen häufig Gelegenheit hat, mit einem dieser Schriftsteller, mit Herrn Whewell, verschiedener Meinung zu sein, so drängt es ihn um so mehr, hier zu erklären, dass ohne die Beihülfe der Ideen und Thatsachen, welche in dessen Geschichte der inductiven Wissenschaften enthalten sind, die entsprechenden Theile dieses Werkes schwerlich geschrieben worden wären.

Das letzte Buch ist ein Versuch, etwas zur Lösung einer Frage beizutragen, welche der Verfall alter Ansichten, und die Aufregung, welche bis zu der tiefsten Tiefe der europäischen Gesellschaft geht, für die praktischen Intereseen des menschlichen Lebens heutzutage ebenso wichtig, machen, als sie zu allen Zeiten für die Vollständigkeit unseres theoretischen Wissens sein muss, zur Frage nämlich: Sind die geistigen und gesellschaftlichen Erscheinungen wirklich Ausnahmen von der allgemeinen Gewissheit und Gleichförmigkeit im Gange der Natur, und in wie fern können die Methoden, durch welche man die Kenntniss so vieler Gesetze der physischen Welt unwiderruflich erkannten und allgemein anerkannten Wahrheiten angereiht hat, verwendet werden, um zu einem ähnlichen System von anerkannten Lehren in den moralischen und socialen Wissenschaften zu gelangen.[10]

Quelle:
John Stuart Mill: System der deduktiven und inductiven Logik. Band 1, Braunschweig 31868, S. 7-11.
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