16. Sieg der niederen Massenarbeit über die Führerarbeit

[154] Es gibt höhere und niedere Arbeit: das läßt sich weder leugnen noch ändern; es ist der Ausdruck für die Tatsache, daß es Kultur gibt. Je höher sich eine Kultur entwickelt, je mächtiger ihre Gestaltungskraft, desto größer wird der Unterschied von maßgebendem und untergeordnetem Tun jeder Art, sei es politisch, wirtschaftlich oder künstlerisch. Denn Kultur ist gestaltetes, durchgeistigtes Leben, reifende und sich vollendende Form, deren Beherrschung einen immer höheren Rang der Persönlichkeit voraussetzt. Es gibt Arbeit, zu der man innerlich berufen sein muß, und andere, die man tun muß, weil man nichts Besseres kann, um davon zu leben. Es gibt Arbeit, der nur ganz wenige Menschen von Rang gewachsen sind, und andere, deren ganzer Wert in ihrer Dauer, ihrem Quantum besteht. Zur einen wie zur anderen wird man geboren. Das ist Schicksal. Das läßt sich nicht ändern, weder durch rationalistische noch durch sentimental-romantische Gleichmacherei.

Der Gesamtaufwand an Arbeit, den die abendländische Kultur in Anspruch nimmt, der mit ihr identisch ist, wird mit jedem Jahrhundert größer. Er betrug zur Zeit der Reformation das Vielfache von dem im Zeit alter der Kreuzzüge und wuchs mit dem 18. Jahrhundert ins Ungeheure, im Einklang mit der Dynamik der schöpferischen Führerarbeit, welche die niedere Massenarbeit in immer größerem Umfange notwendig gemacht hat. Aber deshalb will der proletarische Revolutionär, der die Kultur von unten sieht, weil er sie nicht hat, sie vernichten, um Qualitätsarbeit und Arbeit überhaupt zu sparen. Gibt es keinen Kulturmenschen mehr – den er für Luxus und überflüssig hält –, so gibt es weniger und vor allem geringere Arbeit, die jeder leisten kann. In einer sozialistischen Zeitung las ich einmal, daß nach den Geldmillionären die Gehirnmillionäre abgeschafft werden müßten. Man ärgert sich über die wirklich[154] schöpferische Arbeit, man haßt ihre Überlegenheit, man beneidet ihre Erfolge, ob sie nun in Macht oder Reichtum bestehen. Die Scheuerfrau des Krankenhauses ist ihnen wichtiger als der leitende Arzt; der Ackerknecht ist mehr wert als der Landwirt, der Getreidearten und Viehrassen züchtet, der Heizer mehr als der Erfinder der Maschine. Eine Umwertung der wirtschaftlichen Werte, um einen Ausdruck Nietzsches zu gebrauchen, hat sich vollzogen, und da jeder Wert in den Augen der Masse sich in Geld, in der Bezahlung spiegelt, so soll die niedere Massenarbeit besser bezahlt werden als die höhere der führenden Persönlichkeiten, und das wird erreicht.

Es hatte Folgen, die noch niemand wirklich begriffen hat. Dieser »weiße« Arbeiter, um die Wette umschmeichelt und verwöhnt von den Führern der Arbeiterparteien und der Feigheit des Bürgertums, wird ein Luxustier. Man lasse doch den albernen Vergleich mit Millionären aus dem Spiel, die es »besser haben«. Es kommt nicht auf Leute an, die in Schlössern wohnen und Dienerschaft halten. Man vergleiche den privaten Lebensaufwand eines modernen Industriearbeiters mit dem eines Kleinbauern. Um 1840 war die Lebenshaltung beider Klassen etwa dieselbe. Heute arbeitet der erste viel weniger als der andre, aber die Art, wie der Bauer, gleichviel ob in Pommern, Yorkshire oder Kansas, wohnt, ißt und sich kleidet, ist gegenüber dem, was ein Metallarbeiter vom Ruhrgebiet bis nach Pennsylvanien hin für seinen Unterhalt und vor allem für sein Vergnügen ausgibt, so erbärmlich, daß der Arbeiter sofort streiken würde, wenn man ihm zumutete, jemals wieder für die doppelte Arbeit und die ewige Sorge um Mißernte, Absatz und Verschuldung diese Lebenshaltung in Kauf zu nehmen. Was in den großen Städten des Nordens als Existenzminimum und als »Elend« betrachtet wird, würde in einem Dorf eine Wegstunde davon schon als Verschwendung erscheinen, ganz abgesehen vom Lebensstil im Gebiet des südeuropäischen Agrarkommunismus, wo die Anspruchslosigkeit[155] farbiger Völker noch zu Hause ist. Aber dieser Luxus der Arbeiterschaft, die Folge der politischen Luxuslöhne, ist da und wer bezahlt ihn? Die geleistete Arbeit nicht. Ihr Ertrag ist bei weitem nicht soviel wert. Es müssen andere arbeiten, der ganze Rest der Nation, um ihn zu bestreiten. Es gibt Narren – wenn Ford ernst gemeint hat, was er sagte und schrieb, gehört er dazu –, die glauben, daß die gesteigerte »Kaufkraft« der Arbeiter die Wirtschaft auf der Höhe halte. Aber haben die unbeschäftigten Massen Roms seit der Gracchenzeit das getan? Man redet vom Binnenmarkt, ohne darüber nachzudenken, was das in Wirklichkeit ist. Man mache doch die Probe auf dies neue Dogma der »weißen« Gewerkschaften und entlohne die Arbeiter statt mit Geld mit den Erzeugnissen ihrer eigenen Arbeit, mit Lokomotiven, Chemikalien und Pflastersteinen, für deren Verkauf sie selbst zu sorgen hätten.

Sie wüßten nichts damit anzufangen. Sie würden entsetzt darüber sein, wie wenig diese Dinge wert sind. Es würde sich außerdem zeigen, daß zum Geldausgeben höherer Art derselbe Grad von Kultur gehört, dieselbe Durchgeistigung des Geschmacks wie zum Geldverdienen durch überlegene Leistungen. Es gibt vornehmen und gemeinen Luxus, daran ändert man nichts. Es ist der Unterschied zwischen einer Oper von Mozart und einem Operettenschlager. Den Luxuslöhnen entspricht nun einmal kein verfeinertes Luxusbedürfnis. Es ist allein die Kaufkraft der höheren Gesellschaft, welche eine Qualitätsindustrie möglich macht. Die niederen Schichten ernähren nur eine Vergnügungsindustrie, »circenses«, heute wie im alten Rom.

Aber dieser vulgäre Luxus der großen Städte – wenig Arbeit, viel Geld, noch mehr Vergnügen – übte eine verhängnisvolle Wirkung auf die hart arbeitenden und bedürfnislosen Menschen des flachen Landes aus. Man lernte dort Bedürfnisse kennen, von denen die Väter sich nichts hatten träumen lassen. Entsagen ist schwer, wenn man das Gegenteil vor Augen hat. Die Landflucht begann, erst der Knechte[156] und Mägde, dann der Bauernsöhne, zuletzt ganzer Familien, die nicht wußten, ob und wie sie das väterliche Erbe gegenüber dieser Verzerrung des Wirtschaftslebens halten könnten. Es war in allen Kulturen auf dieser Stufe das gleiche. Es ist nicht wahr, daß Italien seit der Zeit Hannibals durch den Großgrundbesitz entvölkert worden wäre. Das »panem et circenses« der Weltstadt Rom hat es getan, und erst das menschenleer und wertlos gewordene Land führte zur Entwicklung der Latifundienwirtschaft mit Sklaven. Sonst wäre es Wüste geworden. Die Entvölkerung der Dörfer begann 1840 in England, 1880 in Deutschland, 1920 im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Der Bauer hatte es satt, Arbeit ohne Lohn zu tun, während die Stadt ihm Lohn ohne Arbeit versprach. So ging er davon und wurde »Proletarier«.

Der Arbeiter selbst war unschuldig daran. Er empfindet seine Lebenshaltung gar nicht als Luxus, im Gegenteil. Er ist elend und unzufrieden geworden wie jeder Privilegierte ohne eigenes Verdienst. Was gestern das Ziel ausschweifender Wünsche war, ist heute selbstverständlich geworden und erscheint morgen als Notstand, der nach Abhilfe schreit. Der Arbeiterführer hat den Arbeiter verdorben, als er ihn zum Prätorianer des Klassenkampfes wählte. Zur Zeit des kommunistischen Manifestes sollte er zu diesem Zweck seelisch zum Proletarier gemacht werden, heute wird er zu gleichem Zweck mit der Hoffnung gefüttert, es eines Tages nicht mehr zu sein. Aber hier wie dort hat die unverdiente Höhe des politischen Lohnes dahin geführt, immer mehr für unentbehrlich zu halten.

Aber kann dieser Lohn, der eine selbständige Größe neben der Wirtschaft geworden ist, überhaupt noch bezahlt werden? Womit? Von wem? Bei genauem Zusehen zeigt sich, daß die Vorstellung vom Ertrag der Wirtschaft sich unter dem Druck der Lohnerpressungen unbemerkt verändert hat. Nur ein gesundes Wirtschaftsleben kann fruchtbar sein. Es gibt einen natürlichen, ungezwungenen Ertrag,[157] solange der Lohn der ausführenden Arbeit als Funktion von ihm abhängt. Wird dieser eine unabhängige – politische – Größe, ein ununterbrochener Aderlaß, den kein lebender Körper erträgt, so beginnt eine künstliche, krankhafte Art und Berechnung des Wirtschaftens, ein Wettrennen zwischen dem Absatz, der an der Spitze bleiben muß, wenn nicht das Ganze erliegen, sich verbluten soll, und den vorauseilenden Löhnen samt Steuern und sozialen Abgaben, die indirekte Löhne sind. Das fieberhafte Tempo der Produktionssteigerung geht zum großen Teil von dieser geheimen Wunde des Wirtschaftslebens aus. Die Bedarfsreizung durch alle Mittel der Reklame greift um sich; der Fernabsatz unter farbigen Völkern wird auf jede denkbare Weise ausgedehnt und erzwungen. Der wirtschaftliche Imperialismus der großen Industriestaaten, der mit militärischen Mitteln Absatzgebiete sichert und in ihrer Rolle als solche zu erhalten sucht, wird in seiner Intensität auch durch den Selbsterhaltungstrieb der Wirtschaftsführer bestimmt, welche der beständige lohnpolitische Druck der Arbeiterparteien zur Abwehr aufruft. Sobald irgendwo in der »weißen« Welt ein wirkliches oder scheinbares Aufatmen der Industrie stattfindet, melden die Gewerkschaften Lohnansprüche an, um ihren Anhängern Gewinne, die gar nicht vorhanden sind, zu sichern. Als in Deutschland die Reparationszahlungen eingestellt wurden, hieß es sofort, daß diese »Ersparnisse« der Arbeiterschaft zugute kommen müßten. Die natürliche Folge der Luxuslöhne war eine Verteuerung der Produktion – also ein Sinken des Geldwertes –, und auch da wurde politisch eingegriffen, indem die Verkaufspreise gesetzlich gehalten oder gesenkt wurden, um die Kaufkraft der Löhne zu sichern. Deshalb wurden um 1850 in England die Kornzölle aufgehoben – eine verschleierte Lohnerhöhung also – und damit der Bauer dem Arbeiter geopfert, was seitdem überall versucht oder durchgeführt worden ist, zum Teil mit der absurden nationalökonomischen Begründung von Bankiers und ähnlichen »Sachverständigen«,[158] daß man die Welt in Agrar- und Industrieländer aufteilen müsse, um eine zweckmäßige Organisation der »Weltwirtschaft« zu erreichen. Was dann aus der Bauernschaft der Industrieländer werden sollte, danach fragte niemand. Sie war bloßes Objekt der Arbeiterpolitik. Sie war der eigentliche Feind für das Monopol der Arbeiterinteressen. Alle Arbeiterorganisationen sind bauernfeindlich, ob sie es zugeben oder bestreiten. Aus dem gleichen Grunde wurde der Preis für Kohle und Eisen unter parlamentarischem Druck festgesetzt, ohne Rücksicht auf die Kosten der Förderung eben durch die Löhne; ebenso wurden Vorzugspreise aller Art für die Arbeiterschaft erzwungen, die dann durch Erhöhung der Normalpreise für »die andern« ausgeglichen werden mußten. Ob der Absatz darunter litt oder unmöglich wurde, war eine Privatangelegenheit des Unternehmertums, und je mehr es in seiner Stellung erschüttert wurde, desto siegreicher fühlten sich die Gewerkschaften.

Eine Folge dieser Wirkungen des Klassenkampfes war der steigende Bedarf der produktiven Wirtschaft an »Kredit«, an »Kapital«, also an eingebildeten Geldwerten, die nur so lange vorhanden sind, als man an ihre Existenz glaubt, und die sich bei dem geringsten Zweifel in Form eines Börsenkrachs in nichts auflösen. Es war der verzweifelte Versuch, zerstörte echte Werte durch Wertphantome zu ersetzen. Die Blütezeit einer neuen, hinterlistigen Art von Banken begann, welche die Unternehmungen finanzierten und damit ihre Herren wurden. Sie gaben nicht nur Kredit, sondern sie erzeugten ihn auf dem Papier als gespenstisches, heimatlos schweifendes Finanzkapital. In immer rascherem Tempo wird alter Familienbesitz in Aktiengesellschaften umgewandelt, beweglich gemacht, um mit dem so erlangten Geld die Lücken im Kreislauf von Ausgabe und Einnahme zu füllen. Die Verschuldung der erzeugenden Wirtschaft – denn zuletzt sind Aktien nichts als eine Schuld – wuchs ins Ungeheure, und als deren Verzinsung neben der Lohnzahlung eine für diese bedenkliche Größe zu werden begann,[159] tauchte das letzte Mittel des Klassenkampfes auf, die Forderung nach Enteignung der Werke durch den Staat: damit sollten die Löhne der wirtschaftlichen Errechnung endgültig entzogen und zu Staatsgehältern werden, die von den regierenden Arbeiterparteien nach freiem Ermessen festgesetzt wurden und für die der Steuerbolschewismus die Mittel von der übrigen Nation zu beschaffen hatte.

Die letzten, entscheidenden Folgen dieses Wahnsinns der Luxuslöhne treten seit 1910 rasch zutage: die zunehmende Verödung des bäuerlichen Landes führte immer größere Massen in den Bereich des großstädtischen panem et circenses und verführte die Industrie zu immer größerer Ausdehnung der Werke, für deren Absatz man noch keine Sorge nötig zu haben glaubte. In die Vereinigten Staaten wanderten 1900 bis 1914 fünfzehn Millionen ländlicher Menschen aus Süd- und Osteuropa ein, während die Farmbevölkerung bereits abnahm. In Nordeuropa erfolgte eine Binnenwanderung von gleichem Ausmaß. Im Bergwerksgebiet von Briey arbeiteten 1914 mehr Polen und Italiener als Franzosen. Und über diese Entwicklung brach nun das Verhängnis von einer Seite herein, welche die Führer des Klassenkampfes nie in den Kreis ihrer Berechnungen gezogen, welche sie nicht einmal bemerkt hatten.

Marx hatte die Industriewirtschaft der »weißen« Länder des Nordens als das Meisterstück der »Bourgeoisie« bewundert und gehaßt. Er blickte immer nur auf deren Heimat, auf England, Frankreich und Deutschland, und für seine Nachfolger blieb dieser provinziale Horizont die rechtgläubige Voraussetzung aller taktischen Erwägungen. Aber die Welt war größer, und sie war mehr und etwas anderes als ein Gebiet, das den Export des kleinen europäischen Nordens stumm und widerstandslos aufnahm. Die weißen Arbeitermassen lebten nicht von der. Industrie überhaupt, sondern vom Industriemonopol der nordischen Großmächte. Nur auf Grund dieser Tatsache waren die politischen Löhne gezahlt worden, ohne sofort zur Katastrophe[160] zu führen. Jetzt aber erhob sich über dem Klassenkampf zwischen Arbeiterschaft und Gesellschaft innerhalb der weißen Völker ein Rassenkampf von ganz anderem Ausmaß, den kein Arbeiterführer geahnt hatte und den auch heute keiner in seiner schicksalsschweren Unerbittlichkeit begreift und zu begreifen wagt. Die Konkurrenz der weißen Arbeiter untereinander hatte man durch Gewerkschaftsorganisation und Tariflöhne beseitigt. Der seit 1840 herangewachsene Unterschied zwischen der Lebenshaltung des Industriearbeiters und des Bauern war dadurch unschädlich gemacht worden, daß die wirtschaftspolitischen Entscheidungen – Zölle, Steuern, Gesetze – von der Arbeiterseite aus und gegen die Landwirtschaft gefällt wurden. Hier aber trat die Lebenshaltung der Farbigen in Konkurrenz mit den Luxuslöhnen der weißen Arbeiterschaft.

Farbige Löhne sind eine Größe anderer Ordnung und anderer Herkunft als weiße. Sie wurden diktiert, nicht gefordert, und wurden niedrig gehalten, wenn es sein mußte, mit Waffengewalt. Man nannte das nicht Reaktion oder Entrechtung des Proletariats, sondern Kolonialpolitik, und wenigstens der englische Arbeiter, der imperialistisch zu denken gelernt hatte, war ganz damit einverstanden. Marx suchte bei seiner Forderung des »vollen Ertragswertes« als Arbeiterlohn eine Tatsache zu unterschlagen, die er bei größerer Ehrlichkeit hätte bemerken und in Rechnung stellen müssen: Im Ertrag nordischer Industrien stecken die Kosten tropischer Rohstoffe – Baumwolle, Gummi, Metalle – und in diesen die niedrigen Löhne farbiger Arbeiter. Die Überbezahlung der weißen Arbeit beruhte auch auf der Unterbezahlung der farbigen.

Was Sowjetrußland als Methode im Kampf gegen die »weiße« Wirtschaft proklamiert hat, um deren Lebensfähigkeit durch Unterbietung zu zerstören: nämlich die eigene Arbeiterschaft nach Lebenshaltung und Arbeitszeit wieder auf den Stand von 1840 zu setzen, wenn es sein mußte durch Hungertod oder – wie 1923 in Moskau – durch Artillerie,[161] das war ohne Zwang schon längst auf der ganzen Erde in Entwicklung begriffen. Und es richtete sich mit furchtbarer Wirkung weniger gegen den Rang dieser Industrie als gegen die Existenz der weißen Arbeiterschaft. Haben die Sowjets das nicht begriffen, infolge ihrer doktrinären Verblendung, oder war das schon der Vernichtungswille des erwachenden asiatischen Rassebewußtseins, das die Völker der abendländischen Kultur vertilgen will?

In südafrikanischen Minen arbeiten Weiße und Kaffern nebeneinander, der Weiße 8 Stunden mit einem Stundenlohn von 2 Schilling, der Kaffer 12 Stunden bei 1 Schilling Tagelohn. Dies groteske Verhältnis wird durch die weißen Gewerkschaften aufrechterhalten, welche die Organisationsversuche der Farbigen verbieten und es durch politischen Druck auf die Parteien verhindern, daß die weißen Arbeiter samt und sonders hinausgeworfen werden, obwohl das in der Natur der Dinge läge. Aber das ist nur ein Beispiel des allgemeinen Verhältnisses zwischen weißer und farbiger Arbeit in der ganzen Welt. Die japanische Industrie schlägt mit ihren billigen Löhnen überall in Süd- und Ostasien die weiße Konkurrenz aus dem Felde und meldet sich schon auf dem europäischen und amerikanischen Markt. Indische Webwaren erscheinen in London. Und inzwischen geschieht etwas Furchtbares. Noch um 1880 gab es nur in Nordeuropa und Nordamerika Kohlenlager, die ausgebeutet wurden. Jetzt sind sie in allen Erdteilen bekannt und erschlossen. Das Monopol der weißen Arbeiterschaft auf Kohle ist zu Ende. Darüber hinaus aber hat sich die Industrie von der Bindung an die Kohle weitgehend befreit, durch Wasserkraft, Erdöl und elektrische Kraftübertragung. Sie kann wandern und sie tut es, und zwar überall fort aus dem Bereich der weißen Gewerkschaftsdiktaturen zu Ländern mit niedrigen Löhnen. Die Zerstreuung der abendländischen Industrie ist seit 1900 in vollem Gang. Die Spinnereien Indiens sind als Filialen der englischen Fabriken gegründet worden, um »dem Verbraucher näher zu sein«. So war es[162] ursprünglich gemeint, aber die Luxuslöhne Westeuropas haben eine ganz andere Wirkung hervorgebracht. In den Vereinigten Staaten wandert die Industrie mehr und mehr von Chikago und New York nach den Negergebieten im Süden und wird auch an der Grenze Mexikos nicht haltmachen. Es gibt wachsende Industriegebiete in China, Java, Südafrika, Südamerika. Die Flucht der hochentwickelten Verfahren zu den Farbigen schreitet fort und die weißen Luxuslöhne beginnen Theorie zu werden, da die dafür angebotene Arbeit nicht mehr gebraucht wird.[163]

Quelle:
Oswald Spengler: Jahre der Entscheidung. München 1961, S. 154-164.
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