12. Weltflucht

[259] Lückenbeißer begegnete dem Freigeber und sprach: »Wohin des Wegs?«

Jener antwortete: »Ich will dem Yau davonlaufen.«[259]

Lückenbeißer sprach: »Was heißt das?«

Freigeber sprach: »Dieser Yau trieft von Liebe. Ich fürchte, daß er sich noch zum Gelächter der ganzen Welt macht und daß er es dahin bringt, daß in späteren Zeiten die Menschen einander auffressen werden. Die Leute sind nicht schwer zusammenzubekommen. Liebe sie, so hängen sie dir an; bereichere sie, so kommen sie herbei; lobe sie, so geben sie sich Mühe; verlange etwas von ihnen, das sie nicht gern haben, so sind sie weg. Zuneigung und Bereicherung sind Folgen der Liebe und Pflicht; wenige sind es nur, die auf Liebe und Pflicht zu verzichten vermögen, dagegen viele sind es, die Gewinn daraus schlagen. Die Tugenden der Liebe und Pflicht bringen nur Unwahrheit hervor; (ihre Pflege ist), wie wenn man einem Vogelsteller noch Netze leihen wollte. Wenn daher der Fürst nur darauf versessen ist, die Welt zu bereichern, so ist das gerade so, als wollte er sie mit Einem Hieb durchhauen. Dieser Yau weiß bloß, daß die Weisen die Welt bereichern, aber er weiß nicht, daß sie die Welt auch berauben. Nur wer jenseits ist von dieser Weisheit, weiß das.

Unter diesen Weisen, da gibt es elegante Schwätzer, Parasiten und Vielbeschäftigte. Die eleganten Schwätzer sind die, die eines einzigen Lehrers Worte gelernt haben und dann elegant zu reden wissen, die von sich selbst entzückt sind und sich selbst für klug halten, nichts ahnend von der Welt jenseits der Dinge. Darum sind sie elegante Schwätzer. Die Parasiten, die sind wie die Läuse auf einem Schwein. Sie suchen sich die kahlen Stellen heraus und fühlen sich dort so wohl wie in einem Schloß oder Park. Die Plätze zwischen den Hufen, den Hautfalten, den Zitzen und den Schenkeln halten sie für Ruhekammern und angenehme Orte, nicht ahnend, daß eines Morgens der Metzger kommt, sich die Ärmel aufstülpt, Stroh zusammenhäuft und ein qualmendes Feuer macht, in dem sie mit dem Schwein zusammen geröstet werden. Diese Leute kommen hoch mit ihrer Umgebung und gehen zugrunde mit ihrer Umgebung, darum nennt man sie Parasiten. Die Vielbeschäftigten endlich sind Leute wie Schun. Das Ziegenfleisch begehrt nicht der Ameisen, aber die Ameisen begehren des Ziegenfleisches, denn das Ziegenfleisch hat einen bockigen Geruch.[260] Schun hat auch so etwas Bockiges in seinem Wesen, an dem die Leute sich ergötzen. Darum hat er dreimal den Wohnplatz gewechselt, und immer wurde eine Hauptstadt daraus. Ja, selbst als er sich in die Wüste zurückzog, da sammelten sich Hunderttausende von Familien an. Yau hörte von der Weisheit des Schun und übertrug ihm ein unkultiviertes Neuland, indem er sprach: ›Ich hoffe, daß dies Land den Segen seines Kommens erfahren wird.‹ Als Schun dieses Neuland übertragen bekommen hatte, da war er schon alt an Jahren und schwach an Verstand, und dennoch fand er nicht den Rang, sich zurückzuziehen. Solche Leute sind die Vielbeschäftigten. Darum haßt es der Mensch des Geistes, wenn die Menge sich ihm naht. Naht sich ihm die Menge, so ist er doch nicht einer von den Ihren. Ist er nicht einer von den Ihren, so bringt er ihnen auch nicht Gewinn. Darum steht er mit niemand besonders freundschaftlich und mit niemand besonders fremd. Er umfaßt das LEBEN und pflegt die Eintracht und kommt so in Übereinstimmung mit der Welt. So handelt der wahre Mensch. Den Ameisen läßt er ihre Klugheit; er lernt von den Fischen, (die einander vergessen inmitten des Wassers); der Ziege läßt er ihren Geruch. Sein Auge schaut das innere Licht; sein Ohr lauscht den inneren Klängen; seine Seele ruht in sich selbst. So ist er ruhig wie das Wasser und gerade wie die Richtschnur und ändert sich im Anschluß (an den SINN).«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 259-261.
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