6. Feudalismus.

[148] § 12 b. Gesondert zu sprechen ist noch von dem letzten in § 12 Nr. 3.) genannten Fall (c: Lehen). Und zwar deshalb, weil daraus eine Struktur des Herrschaftsverbandes entstehen kann, welche vom Patrimonialismus ebenso wie vom genuinen oder Erb-Charismatismus verschieden ist und eine gewaltige geschichtliche Bedeutung gehabt hat: der Feudalismus. Wir wollen Lehens- und Pfründen- Feudalismus als echte Formen unterscheiden. Alle andern, »Feudalismus« genannten, Formen von Verleihung von Dienstland gegen Militärleistungen sind in Wirklichkeit patrimonialen (ministerialischen) Charakters und sind hier nicht gesondert zu behandeln. Denn von den verschiedenen Arten der Pfründen ist erst später bei der Einzeldarstellung zu reden. [S. aber § 12 c.]

AA. Lehen bedeutet stets:

aa) die Appropriation von Herrengewalten und Herrenrechten. Und zwar können als Lehen appropriiert werden

α. nur eigenhaushaltsmäßige [Gewalten], oder

β. verbandsmäßige, aber nur ökonomische (fiskalische) [Rechte], oder auch

γ. verbandsmäßige Befehlsgewalten [– s. hierzu gleich: BB, ff.].

Die Verlehnung erfolgt durch Verleihung gegen spezifische, normalerweise: primär militaristische, daneben verwaltungsmäßige Leistungen. Die Verleihung erfolgt in sehr spezifischer Art. Nämlich:

bb) primär rein personal, auf das Leben des Herrn und des Lehens-nehmers (Vasallen). Ferner:

cc) kraft Kontrakts, also mit einem freien Mann, welcher (im Fall der hier Lehensfeudalismus genannten Beziehung)

dd) eine spezifische ständische (ritterliche) Lebensführung besitzt.

ee) Der Lehenskontrakt ist kein gewöhnliches »Geschäft«, sondern eine Verbrüderung zu (freilich) ungleichem Recht, welche beiderseitige Treue-pflichten zur Folge hat. Treuepflichten, welche

[148] αα) auf ständische (ritterliche) Ehre gegründet sind, und

ββ) fest begrenzt sind.

Der Uebergang vom Typus »α« (§ 12 Nr. 3.) bei der Erörterung »Zu c«) zum Typus »β« vollzieht sich, wo

aaa) die Lehen erblich, nur unter Voraussetzung der Eignung und der Erneuerung des Treuegelöbnisses gegenüber jedem neuen Herrn durch jeden neuen Inhaber appropriiert werden, und außerdem

bbb) der lehensmäßige Verwaltungsstab den Leihezwang durchsetzt, weil alle Lehen als Versorgungs fonds der Standeszugehörigen gelten.


Das erste ist ziemlich früh im Mittelalter, das zweite im weiteren Verlauf eingetreten. Der Kampf des Herrn mit den Vasallen galt vor allem auch der (stillschweigenden) Beseitigung dieses Prinzips, welches ja die Schaffung bzw. Erwirkung einer eigenen patrimonialen »Hausmacht« des Herrn unmöglich machte.

BB. Lehensmäßige Verwaltung (Lehens-Feudalismus) bedeutet bei voller – in dieser absoluten Reinheit ebensowenig wie der reine Patrimonialismus jemals zu beobachtender – Durchführung:

aa) alle Herrengewalt reduziert sich auf die kraft der Treuegelöbnisse der Vasallen bestehenden Leistungschancen, –

bb) der politische Verband ist völlig ersetzt durch ein System rein persönlicher Treuebeziehungen zwischen dem Herrn und seinen Vasallen, diesen und ihren weiterbelehnten (subinfeudierten) Untervasallen und weiter den eventuellen Untervasallen dieser. Der Herr hat Treueansprüche nur an seine Vasallen, diese an die ihrigen usw.

cc) Nur im Fall der »Felonie« kann der Herr dem Vasallen, können diese ihren Untervasallen usw. das Lehen entziehen. Dabei ist aber der Herr gegen den treubrüchigen Vasallen auf die Hilfe der anderen Vasallen oder auf die Passivität der Untervasallen des »Treubrechers« angewiesen. Jedes von beiden ist nur zu gewärtigen, wenn die einen bzw. die anderen auch ihrerseits Felonie ihres Genossen bzw. Herrn gegen seinen Herrn als vorliegend ansehen. Bei den Untervasallen des Treubrechers selbst dann nicht, es sei denn, daß der [Ober-] Herr wenigstens diesen Fall: Kampf des eigenen Herrn gegen den Oberherrn, als Ausnahme bei der Subinfeudation durchgesetzt hat (was stets erstrebt, nicht immer aber erreicht wurde).

dd) Es besteht eine ständische Lehens-Hierarchie (im Sachsenspiegel: die »Heerschilde«) je nach der Reihenfolge der Subinfeudation. Diese ist aber kein »Instanzenzug« und keine »Hierarchie«. Denn ob eine Maßregel oder ein Urteil angefochten werden kann und bei wem, richtet sich prinzipiell nach dem »Oberhof«–, nicht nach dem lehenshierarchischen System (der Oberhof kann – theoretisch – einem Genossen des Inhabers der Gerichtsgewalt verlehnt sein, wenn dies auch faktisch nicht der Fall zu sein pflegt).

ee) Die nicht als Lehensträger von patrimonialen oder verbandsmäßigen Herrengewalten in der Lehenshierarchie Stehenden sind: »Hintersassen«, d.h. patrimonial Unterworfene. Sie sind den Belehnten soweit unterworfen, als ihre traditionale, insbesondere: ständische, Lage bedingt oder zuläßt, oder als die Gewalt der militaristischen Lehensinhaber es zu erzwingen weiß, gegen die sie weitgehend wehrlos sind. Es gilt, wie gegen den Herrn (Leihezwang), so gegen die Nicht-Lehensträger, der Satz: nulle terre sans seigneur. – Der einzige Rest der alten unmittelbaren verbandsmäßigen Herrengewalt ist der fast stets bestehende Grundsatz: daß dem Lehensherrn die Herren-, vor allem: die Gerichtsgewalten, zustehen da, wo er gerade weilt.

ff) Eigenhaushaltsmäßige Gewalten (Verfügungsgewalt über Domänen, Sklaven, Hörige), verbandsmäßige fiskalische Rechte (Steuer- und Abgabenrechte) und ver-bandsmäßige Befehlsgewalten (Gerichts-und Heerbanngewalt, also: Gewalten über »Freie«) werden zwar [alle drei] gleichartig Gegenstand der Verlehnung.

[149] Regelmäßig aber werden die verbandsmäßigen Befehlsgewalten Sonderordnungen unterworfen.


In Altchina wurden reine Rentenlehen und Gebietslehen auch im Namen geschieden. Im okzidentalen Mittelalter nicht, wohl aber in der ständischen Qualität und zahlreichen, hier nicht behandelten Einzelpunkten.


Es pflegt sich für die verbandsmäßigen Befehlsgewalten die volle Appropriation nach Art derjenigen verlehnter Vermögensrechte nur mit mannigfachen – später gesondert zu besprechenden – Uebergängen und Rückständen durchzusetzen. Was regelmäßig bleibt, ist: der ständische Unterschied des nur mit haushaltsmäßigen oder rein fiskalischen Rechten und des mit verbandsmäßigen Befehlsgewalten: Gerichtsherrlichkeit (Blutbann vor allem) und Militärherrlichkeit (Fahnlehen insbesondere) Beliehenen (politische Vasallen).

Die Herrengewalt ist bei annähernd reinem Lehensfeudalismus selbstverständlich, weil auf das Gehorchen wollen und dafür auf die reine persönliche Treue des, im Besitz der Verwaltungsmittel befindlichen, lehensmäßig appropriierten Verwaltungsstabs angewiesen, hochgradig prekär. Daher ist der latente Kampf des Herrn mit den Vasallen um die Herrengewalt dabei chronisch, die wirklich idealtypische lehensmäßige Verwaltung (gemäß aa–ff) nirgends durchgesetzt worden oder eine effektive Dauerbeziehung geblieben. Sondern, wo der Herr konnte, hat er die nachfolgenden Maßregeln ergriffen:

gg) Der Herr sucht, gegenüber dem rein personalen Treueprinzip (cc und dd) durchzusetzen entweder:

αα) Beschränkung oder Verbot der Subinfeudation;


Im Okzident häufig verfügt, aber oft gerade vom Verwaltungs stab, im eigenen Machtinteresse (dies in China in dem Fürstenkartell von 630 v. Chr.).

ββ) die Nichtgeltung der Treuepflicht der Untervasallen gegen ihren Herrn im Fall des Krieges gegen ihn, den Oberlehensherrn; – wenn möglich aber.

γγ) die unmittelbare Treuepflicht auch der Untervasallen gegen ihn, den Oberlehensherrn.

hh) Der Herr sucht sein Recht zur Kontrolle der Verwaltung der verbandsmäßigen Herrengewalten zu sichern durch:

αα) Beschwerderecht der Hintersassen bei ihm, dem Oberlehensherrn und Anrufung seiner Gerichte;

ββ) Aufsichtsbeamte am Hofe der politischen Vasallen;

γγ) eigenes Steuerrecht gegen die Untertanen aller Vasallen;

δδ) Ernennung gewisser Beamter der politischen Vasallen;

εε) Festhaltung des Grundsatzes:

aaa) daß alle Herrengewalten ihm, dem Oberlehensherrn, ledig werden bei Anwesenheit, darüber hinaus aber Aufstellung des anderen,

bbb) daß er, als Lehensherr, jede Angelegenheit nach Ermessen vor sein Gericht ziehen könne.

Diese Gewalt kann der Herr gegenüber den Vasallen (wie gegen andere Appropriierte von Herrengewalten) nur dann gewinnen oder behaupten, wenn:

ii) der Herr einen eigenen Verwaltungsstab sich schafft oder wieder schafft oder ihn entsprechend aus gestaltet. Dieser kann sein:

αα) ein patrimonialer (ministerialistischer),


So vielfach bei uns im Mittelalter, in Japan im Bakufu des Shôgun, welches die Daimyô's sehr empfindlich kontrollierte.

ββ) ein extrapatrimonialer, ständisch literatenmäßiger,


[150] Kleriker (christliche, brahmanische) und Kayasth's (buddhistische, lamaistische, islamische) oder Humanisten (in China: konfuzianische Literaten). Ueber die Eigenart und die gewaltigen Kulturwirkungen s. Kap. IV.


γγ) ein fachmäßig, insbesondere: juristisch und militaristisch geschulter.


In China vergeblich durch Wang An Shi im 11. Jahrhundert vorgeschlagen (aber damals nicht mehr gegen die Feudalen, sondern gegen die Literaten). Im Okzident für die Zivilverwaltung die Universitätsschulung in Kirche (durch das kanonische Recht) und Staat (durch das Römische Recht, in England: das durch römische Denkformen rationalisierte Common Law) durchgesetzt: Keime des modernen okzidentalen Staats. Für die Heeresverwaltung im Okzident: durch Expropriation der als Vorstufe dafür an Stelle des Lehensherrn getretenen kapitalisti schen Heeresunternehmer (Kondottieren) durch die Fürstengewalt mittelst der fürstlichen rationalen Finanzverwaltung seit dem 17. Jahrhundert (in England und Frankreich früher) durchgesetzt.


Dieses Ringen des Herrn mit dem lehensmäßigen Verwaltungsstab – welches im Okzident (nicht: in Japan) vielfach zusammenfällt, ja teilweise identisch ist mit seinem Ringen gegen die Macht der Stände-Korporationen – hat in moderner Zeit überall, zuerst im Okzident, mit dem Siege des Herrn, und das hieß: der bureaukratischen Verwaltung, geendet, zuerst im Okzident, dann in Japan, in Indien (und vielleicht: in China) zunächst in der Form der Fremdherrschaft. Dafür waren neben rein historisch gegebenen Machtkonstellationen im Okzident ökonomische Bedingungen, vor allem: die Entstehung des Bürgertums auf der Grundlage der (nur dort im okzidentalen Sinne entwickelten) Städte und dann die Konkurrenz der Einzelstaaten um Macht durch rationale (das hieß: bureaukratische) Verwaltung und fiskalisch bedingtes Bündnis mit den kapitalistischen Interessenten entscheidend, wie später darzulegen ist.


§ 12 c. Nicht jeder »Feudalismus« ist Lehens- Feudalismus im okzidentalen Sinn. Sondern daneben steht vor allem

A. der fiskalisch bedingte Pfründen- Feudalismus.


Typisch im islâmischen Vorderasien und Indien der Mogul-Herrschaft. Dagegen war der alt chinesische, vor Shi Hoang Ti bestehende, Feudalismus wenigstens teilweise Lehensfeudalismus, neben dem allerdings Pfründen-Feudalismus vorkam. Der japanische ist bei den Daimyô's stark durch Eigenkontrolle des Herrn (Bakufu) temperierter Lehensfeudalismus, die Lehen der Samurai und Buke aber sind (oft: appropriierte) Ministerialenpfründen (nach der Kokudaka – dem Reisrentenertrag – katastriert).


Von Pfründen-Feudalismus wollen wir da sprechen, wo es sich

aa) um Appropriation von Pfründen handelt, also von Renten, die nach dem Ertrage geschätzt und verliehen werden, – [wo] ferner

bb) die Appropriation (grundsätzlich, wenn auch nicht immer effektiv) nur personal, und zwar je nach Leistungen, eventuell also mit Aufrücken erfolgt, –


So die türkischen Sipahi-Pfründen, wenigstens legal.


Vor allem aber, [wo]

cc) nicht primär eine individuelle, freie, personale Treuebeziehung durch Verbrüderungs kontrakt mit einem Herrn persönlich hergestellt und daraufhin ein individuelles Lehen vergeben wird, sondern primär fiskalische Zwecke des im übrigen patrimonialen (oft: sultanistischen) Abgaben verbandes des Herrn bestehen. Was sich (meist) darin ausdrückt: daß katastermäßig abtaxierte Ertragsobjekte vergeben werden.

[151] Die primäre Entstehung des Lehens- Feudalismus erfolgt nicht notwendig, aber sehr regelmäßig aus einer (fast) rein naturalwirtschaftlichen, und zwar: personalen Bedarfsdeckung des politischen Verbandes (Dienstpflicht, Wehrpflicht) heraus. Sie will vor allem: statt des ungeschulten und ökonomisch unabkömmlichen und nicht mehr zur vollwertigen Selbstequipierung fähigen Heerbannes ein geschultes, gerüstetes, durch persönliche Ehre verbundenes Ritterheer. Die primäre Entstehung des Pfründen- Feudalismus ist regelmäßig eine Abwandlung geld wirtschaftlicher Finanzgebarung (»Rückbildung« zur Naturalleistungsfinanzierung) und kann erfolgen:

αα) zur Abwälzung des Risikos schwankender Einnahmen auf Unternehmer (also: als eine Art von Abwandlung der Steuerpacht), also gegen:

aaa) Uebernahme der Gestellung von bestimmten Kriegern (Reitern, eventuell Kriegswagen, Gepanzerten, Train, eventuell Geschützen) für das patrimonialfürstliche Heer.


So in China im Mittelalter häufig: Deputate von Kriegern der einzelnen Gattungen auf eine Flächeneinheit.

Eventuell außerdem oder auch nur:

bbb) Bestreitung der Kosten der Zivilverwaltung, und

ccc) Abführung einer Steuerpauschale an die fürstliche Kasse.


So in Indien oft.

Dagegen wird natürlich gewährt (schon um diesen Verbindlichkeiten nachkommen zu können):

ddd) Appropriation von Herrenrechten verschiedenen Umfangs, zunächst regelmäßig kündbar und rückkäuflich, in Ermangelung von Mitteln aber faktisch oft: definitiv.

Solche definitiven Appropriatoren werden dann mindestens: Grundherren, oft gelangen sie auch in den Besitz von weitgehenden verbandsmäßigen Herrengewalten.


So, vor allem, in Indien, wo die Zamindar-, Jagirdar-und Talukdar-Grundherrschaften durchweg so entstanden sind. Aber auch in großen Teilen des vorderasiatischen Orient, wie C. H. Becker (der den Unterschied gegen das okzidentale Lehenswesen zuerst richtig sah) ausgeführt hat. Primär ist sie Steuerpacht, sekundär wird daraus »Grundherrschaft«. Auch die rumänischen »Bojaren« sind Abkömmlinge der gemischtesten Gesellschaft der Erde: Juden, Deutsche, Griechen usw., die zuerst als Steu erpächter Herrenrechte appropriierten.


ββ) Es kann die Unfähigkeit der Soldzahlung an ein patrimoniales Heer und dessen (nachträglich legalisierte) Usurpation zur Appropriation der Steuerquellen: Land und Untertanen, an Offiziere und Heer führen.

So die berühmten großen Khanen im Khalifenreich, die Quelle oder das Vorbild aller orientalischen Appropriationen bis auf die des Mamelûken-Heeres (welches ja formal ein Sklavenheer war).

Nicht immer führt das zu einer katastermäßig geordneten Pfründen-Verlehnung, aber es steht ihm nahe und kann dahin führen.

Inwieweit die türkischen Sipahi-Lehen dem »Lehen« oder der »Pfründe« näher stehen, ist hier noch nicht zu erörtern: legal kennen sie das »Aufrücken« nach der »Leistung«.

Es ist klar, daß die beiden Kategorien durch unmerkliche Uebergänge verbunden sind und eine eindeutige Zuteilung zu der einen oder anderen nur selten möglich[152] ist. Außerdem steht der Pfründen-Feudalismus der reinen Präbendalisierung sehr nahe, und auch da existieren fließende Uebergänge.

Nach einer ungenauen Terminologie steht neben dem Lehens-Feudalismus, der auf freiem Kontrakt mit einem Herrn ruht, und neben dem fiskalischen Pfründen-Feudalismus noch:

B. der (sogenannte) Polis-Feudalismus, der auf (realem oder fiktivem) Synoikismus von Grundherren zu unter sich gleichem Recht mit rein militaristischer Lebensführung und hoher ständischer Ehre ruht. Oekonomisch bedeutet der »Kleros« das nur personal und für Einzelerbfolge Qualifizierter appropriierte Landlos, es stellt die Dienste der (als Standesbesitz repartierten) Versklavten und [bildet] die Grundlage der Selbstequipierung.


Nur uneigentlich kann man diesen nur in Hellas (in voller Entwicklung nur in Sparta) nachweislichen, aus dem »Männerhaus« erwachsenen Zustand, wegen der spezifischen ständischen Ehre konventionen und der ritterlichen Lebensführung dieser Grund herren, »Feudalismus« nennen. In Rom entspricht der Ausdruck »fundus« ( = Genossenrecht) zwar dem hellenischen κλῆρος, aber keine Nachrichten liegen über Verfassungen der curia (co-viria = ἀνδρεῖον-Männerhaus) hier vor, die ähnlich gestaltet gewesen wären.


Im weitesten Sinn pflegt man alle ständisch privilegierten militaristischen Schichten, Institutionen und Konventionen »feudal« zu nennen. Dies soll hier als ganz unpräzis vermieden werden.

C. Aus dem umgekehrten Grund: weil zwar das verlehnte Objekt (Lehen) da ist, aber

1. nicht kraft freien Kontrakts (Verbrüderung, weder mit einem Herrn, noch mit Standesgenossen), sondern kraft Befehls des eigenen (patrimonialen) Herrn, oder aber zwar frei, aber

2. nicht auf Grund vornehmer ritterlicher Lebensführung, übernommen wird, oder

3. beides nicht,

sind auch

zu 1: die Dienstlehen ritterlich lebender, aber abhängiger, ebenso

zu 2: die Dienstlehen an frei geworbene, nicht ritterliche Krieger, endlich

zu 3: die Dienstlehen an Klienten, Kolonen, Sklaven, welche als Krieger benutzt werden,

für uns: Pfründen.


Beispiel zu 1: okzidentale und orientalische Ministerialen, Samurai in Japan;

Beispiel zu 2: kam im Orient vor, z.B. wohl bei den ptolemäischen Kriegern ursprünglich. Daß später infolge der erblichen Appropriation des Dienstlandes auch die Krieger als Beruf appropriiert galten, ist typisches Entwicklungsprodukt zum Leiturgiestaat;

Beispiel zu 3: typisch für die sog. »Kriegerkaste« in Altägypten, die Mamelûken im mittelalterlichen Aegypten, die gebrandmarkten orientalischen und chinesischen (nicht immer, aber nicht selten: mit Land beliehenen) Krieger usw.


Von »Feudalismus« spricht man auch dabei durchaus ungenau im Sinn der Existenz – in diesem Fall: (mindestens formal) negativ privilegierter – rein militaristischer Stände. Davon ist in Kap. IV zu reden.


§ 13. Das Gesagte kann keinen Zweifel darüber gelassen haben: daß Herrschaftsverbände, welche nur dem einen oder dem andern der bisher erörterten »reinen« Typen angehören, höchst selten sind. Zumal, namentlich bei der legalen und traditionalen Herrschaft, wichtige Fälle: Kollegialität, Feudalprinzip, noch gar nicht oder nur in vagen Andeutungen erörtert sind. Aber überhaupt ist festzuhalten: Grundlage jeder Herrschaft, also jeder Fügsamkeit, ist ein Glauben: »Prestige«-Glauben, zugunsten des oder der Herrschenden. Dieser ist selten ganz eindeutig.[153] Er ist bei der »legalen« Herrschaft nie rein legal. Sondern der Legalitätsglauben ist »eingelebt«, also selbst traditionsbedingt: – Sprengung der Tradition vermag ihn zu vernichten. Und er ist auch charismatisch in dem negativen Sinn: daß hartnäckige eklatante Mißerfolge jeder Regierung zum Verderben gereichen, ihr Prestige brechen und die Zeit für charismatische Revolutionen reifen lassen. Für »Monarchien« sind daher verlorene, ihr Charisma als nicht »bewährt« erscheinen lassende, für »Republiken« siegreiche, den siegenden General als charismatisch qualifiziert hinstellende, Kriege gefährlich.

Rein traditionale Gemeinschaften gab es wohl. Aber nie absolut dauernd und – was auch für die bureaukratische Herrschaft gilt – selten ohne persönlich erbcharismatische oder amtscharismatische Spitze (neben einer unter Umständen rein traditionalen). Die Alltags-Wirtschaftsbedürfnisse wurden unter Leitung traditionaler Herren gedeckt, die außeralltäglichen (Jagd, Kriegsbeute) unter charismatischen Führern. Der Gedanke der Möglichkeit von »Satzungen« ist gleichfalls ziemlich alt (meist allerdings durch Orakel legitimiert). Vor allem aber ist mit jeder extra patrimonialen Rekrutierung des Verwaltungsstabs eine Kategorie von Beamten geschaffen, die sich von den legalen Bureaukratien nur durch die letzten Grundlagen ihrer Geltung, nicht aber formal, unterscheiden kann.

Absolut nur charismatische (auch: nur erbcharismatische usw.) Herrschaften sind gleichfalls selten. Aus charismatischer Herrschaft kann – wie bei Napoleon – direkt striktester Bureaukratismus hervorgehen oder allerhand präbendale und feudale Organisationen. Die Terminologie und Kasuistik hat also in gar keiner Art den Zweck und kann ihn nicht haben: erschöpfend zu sein und die historische Realität in Schemata zu spannen. Ihr Nutzen ist: daß jeweils gesagt werden kann: was an einem Verband die eine oder andere Bezeichnung verdient oder ihr nahesteht, ein immerhin zuweilen erheblicher Gewinn.

Bei allen Herrschaftsformen ist die Tatsache der Existenz des Verwaltungsstabes und seines kontinuierlich auf Durchführung und Erzwingung der Ordnungen gerichteten Handelns für die Erhaltung der Fügsamkeit vital. Die Existenz dieses Handelns ist das, was man mit dem Wort »Organisation« meint. Dafür wiederum ist die (ideelle und materielle) Interessen solidarität des Verwaltungsstabes mit dem Herrn ausschlaggebend. Für die Beziehung des Herrn zu ihm gilt der Satz: daß der auf jene Solidarität gestützte Herr jedem einzelnen Mitglied gegenüber stärker, allen gegenüber schwächer ist. Es bedarf aber einer planvollen Vergesellschaftung des Verwaltungsstabes, um die Obstruktion oder bewußte Gegenaktion gegen den Herrn planvoll und also erfolgreich durchzuführen und die Leitung des Herrn lahmzulegen. Ebenso wie es für jeden, der eine Herrschaft brechen will, der Schaffung eigener Verwaltungsstäbe zur Ermöglichung eigener Herrschaft bedarf, es sei denn, daß er auf Konnivenz und Kooperation des bestehenden Stabes gegen den bisherigen Herrn rechnen kann. In stärkstem Maß ist jene Interessensolidarität mit dem Herrn da vorhanden, wo für den Verwaltungsstab die eigene Legitimität und Versorgungsgarantie von der des Herrn abhängt. Für den Einzelnen ist die Möglichkeit, sich dieser Solidarität zu entziehen, je nach der Struktur sehr verschieden. Am schwersten bei voller Trennung von den Verwaltungsmitteln, also in rein patriarchalen (nur auf Tradition ruhenden), rein patrimonialen und rein bureaukratischen (nur auf Reglements ruhenden) Herrschaften, am leichtesten: bei ständischer Appropriation (Lehen, Pfründe).

Endlich und namentlich aber ist die historische Realität auch ein steter, meist latenter Kampf zwischen Herrn und Verwaltungsstab um Appropriation oder Expropriation des einen oder des anderen. Entscheidend für fast die ganze Kulturentwicklung war

1. der Ausgang dieses Kampfes als solcher,

[154] 2. der Charakter derjenigen Schicht von ihm anhängenden Beamten, welche dem Herrn den Kampf gegen feudale oder andere appropriierte Gewalten gewinnen half: rituelle Literaten, Kleriker, rein weltliche Klienten, Ministeriale, juristisch geschulte Literaten, fachmäßige Finanzbeamte, private Honoratioren (über die Begriffe später).

In der Art dieser Kämpfe und Entwicklungen ging deshalb ein gut Teil nicht nur der Verwaltungs-, sondern der Kulturgeschichte auf, weil die Richtung der Erziehung dadurch bestimmt und die Art der Ständebildung dadurch determiniert wurde.


1. Gehalt, Sportelchancen, Deputate, Lehen fesseln in untereinander sehr verschiedenem Maß und Sinn den Stab an den Herrn (darüber später). Allen gemeinsam ist jedoch: daß die Legitimität der betreffenden Einkünfte und der mit der Zugehörigkeit zum Verwaltungsstab verbundenen sozialen Macht und Ehre bei jeder Gefährdung der Legitimität des Herrn, der sie verliehen hat und garantiert, gefährdet erscheinen. Aus diesem Grund spielt die Legitimität eine wenig beachtete und doch so wichtige [reale] Rolle.

2. Die Geschichte des Zusammenbruchs der bis 1918 [in Deutschland] legitimen Herrschaft zeigte: wie die Sprengung der Traditionsgebundenheit durch den Krieg einerseits und der Prestigeverlust durch die Niederlage andrerseits in Verbindung mit der systematischen Gewöhnung an illegales Verhalten in gleichem Maß die Fügsamkeit in die Heeres- und Arbeitsdisziplin erschütterten und so den Umsturz der Herrschaft vorbereiteten. – Andrerseits bildet das glatte Weiterfunktionieren des alten Verwaltungsstabes und die Fortgeltung seiner Ordnungen unter den neuen Gewalthabern ein hervorragendes Beispiel für die unter den Verhältnissen bureaukratischer Rationalisierung unentrinnbare Gebundenheit des einzelnen Gliedes dieses Stabes an seine sachliche Aufgabe. Der Grund war, wie [S. 128] erwähnt, keineswegs nur der privatwirtschaftliche: Sorge um die Stellung, Gehalt und Pension (so selbstverständlich das bei der Masse der Beamten mitspielte), sondern ganz ebenso der sachliche (ideologische): daß die Außerbetriebsetzung der Verwaltung unter den derzeitigen Bedingungen einen Zusammenbruch der Versorgung der gesamten Bevölkerung (einschließlich: der Beamten selbst) mit den elementarsten Lebensbedürfnissen bedeutet haben würde. Daher wurde mit Erfolg an das (sachliche) »Pflichtgefühl« der Beamten appelliert, auch von den bisher legitimen Gewalten und ihren Anhängern selbst diese sachliche Notwendigkeit anerkannt.

3. Der Hergang des damaligen Umsturzes schuf einen neuen Verwaltungsstab in den Arbeiter- und Soldatenräten. Die Technik der Bildung dieser neuen Stäbe mußte zunächst »erfunden« werden und war übrigens an die Verhältnisse des Kriegs (Waffenbesitz) gebunden, ohne den der Umsturz überhaupt nicht möglich gewesen wäre (davon und von den geschichtlichen Analogien später). Nur durch Erhebung charismatischer Führer gegen die legalen Vorgesetzten und durch Schaffung charismatischer Gefolgschaften war die Enteignung der Macht der alten Gewalten möglich und durch Erhaltung des Fachbeamtenstabes auch technisch die Behauptung der Macht durchführbar. Vorher scheiterte gerade unter den modernen Verhältnissen jede Revolution hoffnungslos an der Unentbehrlichkeit der Fachbeamten und dem Fehlen eigener Stäbe. Die Vorbedingungen in allen früheren Fällen von Revolutionen waren sehr ver schiedene (s. darüber das Kapitel über die Theorie der Umwälzungen).

4. Umstürze von Herrschaften aus der Initiative der Verwaltungsstäbe haben unter sehr verschiedenen Bedingungen in der Vergangenheit stattgefunden (s. darüber das Kapitel über die Theorie des Umsturzes). Immer war Voraussetzung eine Vergesellschaftung der Mitglieder des Stabes, welche, je nachdem, mehr den Charakter einer partiellen Verschwörung oder mehr einer allgemeinen Verbrüderung und Vergesellschaftung annehmen konnte. Gerade dies ist unter den Existenzbedingungen moderner Beamter sehr erschwert, wenn auch, wie russische Verhältnisse zeigten, nicht ganz unmöglich. In aller Regel aber greifen sie an Bedeutung nicht über das hinaus, was Arbeiter durch (normale) Streiks erreichen wollen und können.

5. Der patrimoniale Charakter eines Beamtentums äußert sich vor allem darin, daß Eintritt in ein persönliches Unterwerfungs- (Klientel-) Verhältnis verlangt wird (»puer regis« in der Karolingerzeit, »familiaris« unter den Angiovinen usw.). Reste davon sind sehr lange bestehen geblieben.


Quelle:
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 51980, S. 148-155.
Lizenz:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon