b) Mittleres Reich.

[70] Die königlichen Gauverwalter (Nomarchen) sind mit Domänen und Naturaldeputaten aus den königlichen Magazinen, welche von den Allodialeinkünften und -Grundbesitzungen des Beamten auch rechtlich klar geschieden waren, beliehen. Sie sind – nach der Periode partikularistischer Anarchie, welche der Wiedereinigung des Landes von Theben aus (dem alten Hauptsitz der privaten Grundherrschaften) vorangeht – im »mittleren Reich« (12., 13. Dynastie um die Wende des 3. und 2. Jahrtausends) in ganz normaler Weise zu einem faktisch erblichen Feudaladel entwickelt. Ebenso haben die Tempel sich Land- und Menschenkomplexe zugeeignet. Große, bureaukratisch nach staatlichem Muster mit Schreibern usw. verwaltete Grundherrschaften, aus zahlreichen Dörfern mit tributpflichtigen Bauern und militärisch disziplinierten und in unfreie Berufe – es finden sich Guts-Zimmerleute, -Tischler, -Töpfer, -Schmiede – geschiedenen Arbeitern, daneben gewaltige, nach Tausenden von Köpfen zählende Herden bilden, nebst Tantiemen und Deputaten aus den Tempel- und königlichen Gütern, die sie zu verwalten haben, die Besitzungen des sozial allmächtigen Nomarchenadels. Aus den Gutsspeichern – grundherrlichen oder königlichen Magazinen – wird das Saatgut an die Bauern ausgegeben, an die Speicher die Ernte bzw. die Ernteanteile abgeliefert. Jedenfalls existiert schon damals das System der »uput«, der Aufnahme des personalen Haushaltsbestandes zum Zwecke der Feststellung[70] der Anzahl fronpflichtiger Köpfe (»capitatio plebeja« in der Sprache der Kaiserzeit). Es scheint, daß es sich im Prinzip über das ganze Land erstreckt hat. Ob eine ganz einheitliche Regelung der Fronden bestand, ist nicht sicher zu sagen. Das »ahuit«, das Fronlos, ist in den einzelnen Dörfern nach Anweisung königlicher Meier von dem Pflichtigen zu bearbeiten. Die Schreiber sind dabei fronfrei. Am Hoflager und bei den großen Magazinen finden sich ummauerte Arbeitsstätten, die gelegentlich wohl auch Arbeiterkasernements sind. Die Fronpflichtigen sind in Abteilungen von 5 und 10 Leuten geteilt, und die Fronpflicht scheint schichtweise abgewechselt, eine normale Schicht 2 Monate, abzüglich der Feiertage, gedauert zu haben. Wenn andererseits öffentliches Land in Marsch- und Geestland geteilt und dem Arbeiter 10 Aruren (81/2 auf Gest- und 11/2 Marschboden) zugeteilt wurden, so ist doch wohl anzunehmen, daß es sich um Kolonenlehen von Fronpflichtigen handelt. Die großen Grundherren haben im wesentlichen wohl ähnlich gewirtschaftet wie der Pharao. Eigene Wirtschaft auf dem besten Lande und Ausgabe des schlechteren Landes an leibeigene Bauern gegen Arbeit oder feste Abgaben werden wohl nebeneinander gestanden haben und sind anscheinend nicht immer klar zu scheiden; die Bauern sind offenbar einfach aus Staatsfrönern (teilweise) grundherrliche Fröner geworden; ob eine Scheidung in leibeigene und persönlich freie, aber schollenfeste, Bauern immer möglich und von praktischer Bedeutung ist, scheint nicht zu entscheiden. Immerhin scheint die vielleicht einzige, annähernd (aber durchaus nicht genau) durchführbare Scheidung zwischen den mindestens 24 Namen, welche (s.o.) ein persönliches Unterwerfungsverhältnis generell, ohne Berufsspezialisierung, ausdrücken, nur darnach vorgenommen werden zu können, ob die Klienten von einem Herrn persönlich abhängen, in seinem (reellen oder ideellen) Haushalt verwendet werden (schemsu, boku, sodmu, keri-dot, amu, ketu) oder aber glebae adscripti sind (nach Baillet: honu, meratiu, nesitiu, satiu, sidiu, samdotu, uhuitiu). Einem Bauern wird gelegentlich gedroht, ihn, bei fortgesetzter Renitenz, in die unterste Schicht: die awaitiu (einfache ländliche Fronarbeiter) zu »versetzen«. Auch im Verhältnis zum Staat läßt sich das Verhältnis wohl so fassen: Jedermann, der Boden besitzt oder ein Gewerbe betreibt, schuldet davon seine Abgaben: der Bauer die Grundabgaben, der Handwerker Lizenz- und Betriebsabgaben in Form von Produkten seines Gewerbes. Wer seine Abgabe nicht leisten kann, der wird mit seiner Familie Schuldsklave des Pharao und frondet nunmehr nach den Anweisungen der Behörden. Aber trotz dieser Scheidung bleibt es dabei: Es sind alle Abgabepflichtigen nicht minder unselbständig als die Arbeiter, werden kontrolliert und geprügelt wie diese, und unterliegen der sozialen Mißachtung. Den Gefolgsleuten des Königs, die jetzt als Berufssoldaten auftreten, mögen vielleicht Gefolgsleute der Vasallen entsprochen haben. Für die Tempel steht anscheinend fest, daß ihr Land, und vor allem:[71] die Gebühren und Kasualien eintragenden Einzelfunktionen, als Pfründe, erblich an die einzelnen Priester, das Land wohl auch – freiwillig oder unfreiwillig – an andere Grundherren vergeben war, die dann ihrerseits die Herren der Tempelkolonen wurden. –


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 70-72.
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