§ 65. Die Prinzipien der C.schen Naturphilosophie

[218] »Das Wesen der Materie oder des Körpers überhaupt besteht nicht darin, daß er hart, farbig oder gewichtig ist oder auf andere Weise die Sinne affiziert, sondern allein darin, daß er in die Länge, Breite und Tiefe ausgedehnt ist. Gewicht oder Schwere, Farbe und alle andere an der körperlichen Materie wahrnehmbaren Qualitäten können ohne Verletzung ihres Wesens aufgehoben werden, von keiner dieser Qualitäten hängt daher ihre Natur ab.« (»Princ. Phil.«, P. II § 4) »Würde man den Körper als eine sinnliche oder fühlbare Substanz bestimmen wollen, so würde man ihn nur im Verhältnis zu unsern Sinnen bestimmen und daher nicht sein ganzes Wesen, sondern nur eine Eigenschaft von ihm angeben; denn da die Existenz seines Wesens nicht von der Existenz des Menschen abhängt, so hängt es nicht von den Sinnen ab.« (»Epist.«, P. I, Ep. 27) »Alle sinnlichen Eigenschaften sind nur gewisse in unserm Bewußtsein vorhandene Gefühle, die ebenso verschieden sind von den Körpern[218] selbst als der Schmerz von der Gestalt und Bewegung des Körpers, der ihn verursacht, sie bestehen allein in der Bewegung oder Beraubung der Bewegung und der verschiedenen Lage und Zusammenstellung der körperlichen Teile, sie drücken nichts Reelles aus, sind nur dunkle, unklare Bestimmungen oder Vorstellungen unsers Bewußtseins oder Denkens.« (Resp. VI; Medit. III) »Das Wesen der Körper ist allein die Ausdehnung. Dagegen ließe sich aber einwenden, daß die meisten Körper so verdünnt und verdickt werden können, daß die verdünnten mehr Ausdehnung haben als die verdichteten und daß man die Substanz des Körpers von seiner Größe oder Quantität und die Quantität selbst wieder von der Ausdehnung unterscheiden könne, ferner, daß man da, wo man nichts weiter wahrnimmt als Ausdehnung, nicht sagt, daß ein Körper da sei, sondern nur der Raum, und zwar der leere Raum, der fast allen für ein bloßes Nichts gilt.« (»Princ. Phil.«, P. II, § 5)

»Die Verdünnung und Verdichtung ist aber, wenn man nur das annimmt, was man klar und deutlich vorstellt, nichts andres als eine Veränderung der Gestalt. Verdünnte Körper sind diejenigen, zwischen deren Teilen viele mit andern Körpern angefüllte Zwischenräume sind, dichter werden sie nur dadurch, daß ihre Teile durch eine gegenseitige Annäherung diese Zwischenräume vermindern oder gänzlich aufheben, in welchem Falle sich ein Körper in dem Zustand der absoluten Dichtheit befände. Deswegen ist er aber nicht weniger ausgedehnt, als wenn er in dem Zustande, wo seine Teile weiter voneinander abstehen, einen größern Raum einnimmt; denn alle Ausdehnung in den Zwischenräumen kommt nicht ihm selbst zu, sondern den Körpern, die diese Zwischenräume einnehmen, gleichwie ein Schwamm, wenn er von einer Flüssigkeit aufgetrieben ist, seinen einzelnen Teilen nach nicht ausgedehnter ist, als wenn er trocken und zusammengedrückt ist, sondern jetzt nur größere Poren hat und daher durch einen größern Raum sich ausdehnt. (Ebd., § 6)

Was die Quantität betrifft, so ist diese nur der Vorstellung nach, nicht an sich oder wirklich von der ausgedehnten Substanz verschieden. Ebenso ist der Raum oder der innere Ort nicht realiter, sondern nur unserer Vorstellungsweise nach von der in ihm enthaltenen körperlichen Substanz verschieden.[219] Denn die Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe, die das Wesen des Raums, macht auch das des Körpers aus. Nur darin liegt der Unterschied, daß wir sie am Körper im einzelnen und besondern betrachten und Glauben, sie ändere sich so oft, als der Körper sich ändert, beim Raum aber nur im allgemeinen sie betrachten, so daß wir mit der Veränderung des den Raum erfüllenden Körpers nicht auch eine Veränderung in der Ausdehnung des Raumes selbst annehmen, solange sie in derselben Größe, Gestalt und Lage zwischen den äußern Körpern, durch die wir den Raum bestimmen, bleibt. Diese Einheit des Raumes und des Körpers ist leicht einzusehen, wenn man von der Vorstellung eines Körpers, z.B. des Steines, alles absondert, was nicht zum Wesen des Körpers gehört, also die Härte, denn wenn der Stein flüssig wird oder in ganz kleine Stäubchen zerteilt wird, so verliert er sie, ohne doch deswegen aufzuhören, Körper zu sein, dann die Farbe, denn manche Steine sind so durchsichtig, daß sie ganz farblos sind, ferner die Schwere, denn das Feuer wird ungeachtet seiner Leichtigkeit doch für einen Körper gehalten, endlich Kälte und Wärme und alle andere Beschaffenheiten, weil sie entweder beim Steine nicht in Betracht kommen oder er die Natur des Körpers nicht verliert, wenn sie verändert werden. Nach der Absonderung und Wegwerfung dieser Beschaffenheiten bleibt nun nichts in der Vorstellung des Steins übrig als die Ausdehnung in die Länge, Breite und Tiefe. Aber diese Ausdehnung enthält auch die Vorstellung des Raumes, und zwar nicht nur des vollen, sondern auch des leeren Raumes. Nur in unsrer Vorstellungsweise liegt der Unterschied. Wenn nämlich der Stein aus dem Orte oder Raume, in dem er ist, weggenommen ist, so Glauben wir, daß damit auch seine Ausdehnung aufgehoben sei, weil wir sie als einzeln und von ihm absonderlich ansehen, von der Ausdehnung des Raumes jedoch, in dem der Stein war, Glauben wir, daß sie übrig und dieselbe bleibe, wenngleich jetzt jener Raum schon von irgendeinem andern Körper erfüllt ist oder auch für leer angesehen wird. Hier betrachten wir nämlich die Ausdehnung im allgemeinen, die ebensogut die Ausdehnung des Steins wie aller andern Körper ist, wenn sie nur dieselbe Größe, Gestalt und Lage zwischen den äußern, jenen Raum bestimmenden Körpern behält. Da die Ausdehnung[220] des Raums oder – denn es ist eins – des innern Orts nicht von der Ausdehnung des Körpers unterschieden ist, so kann es offenbar auch keinen leeren Raum geben, in dem keine Substanz wäre. Denn schon daraus allein, daß der Körper ein in die Länge, Breite und Tiefe Ausgedehntes ist, schließen wir mit Recht, daß er eine Substanz ist, weil der Gedanke, daß das Nichts eine Ausdehnung habe, sich widerspräche. Derselbe Schluß gilt nun aber auch von dem als leer vorausgesetzten Raume, denn weil in ihm Ausdehnung ist, so ist notwendig auch Substanz in ihm.« (Ebd., § 8, 10-12 u. 16)

»Aus der Einheit der körperlichen Substanz mit der Ausdehnung und dem Raume folgt, daß in einem Gefäße, wenn es mit Blei oder Gold oder sonst einem andern noch so schweren und harten Körper angefüllt ist, nicht mehr Materie oder körperliche Substanz ist, als wenn es nur Luft enthält oder für leer angesehen wird. Denn die Quantität der Teile der Materie hängt nicht von ihrer Schwere oder Härte ab, sondern allein von der Ausdehnung, die in demselben Gefäße immer gleich ist. Es folgt ferner daraus, daß es unmöglich ist, daß es ihrer Natur nach unteilbare Teile der Materie gibt. Denn da sie, wenn es deren welche gibt, notwendig ausgedehnt sein müssen, sie mögen nun auch noch so klein vorgestellt werden, so können wir immer noch einen jeden Teil in zwei oder mehrere kleine Teile im Gedanken zerteilen und daraus ihre Teilbarkeit erkennen. Denn wir können nichts im Gedanken teilen, ohne eben dadurch seine Teilbarkeit zu erkennen, und es würde daher das Urteil, es sei unteilbar, unsrer Erkenntnis widersprechen.« (Ebd., § 20)

»Die Welt oder der Inbegriff der körperlichen Substanz hat keine Grenzen der Ausdehnung. Die Materie des Himmels und der Erde ist eine und dieselbe. Wenn es auch unzählige Welten gäbe, so müßten sie doch alle aus derselben Materie bestehen, und es kann daher nicht mehrere, sondern nur eine Welt geben, denn wir sehen deutlich ein, daß jene Materie, deren Wesen allein in der Ausdehnung besteht, alle möglichen oder vorstellbaren Räume, in denen jene Welten sein müßten, einnehmen würde, und finden von keiner andern Materie eine Vorstellung in uns. Im ganzen Universum existiert also nur eine und dieselbe Materie;[221] denn alle Materie ist nur durch dies eine bestimmt, daß sie ausgedehnt ist. Und alle Eigenschaften, die wir mit Klarheit an ihr wahrnehmen, reduzieren sich darauf allein, daß sie teilbar und ihren Teilen nach beweglich ist und daher alle diese Bestimmungen annehmen kann, die wir aus der Bewegung ihrer Teile ableiten können. Denn die Teilung, die bloß durch den Gedanken geschieht, ändert nichts, sondern alle Mannigfaltigkeit der Materie oder die Verschiedenheit aller ihrer Formen hängt von der Bewegung ab. Die Bewegung aber, nämlich die örtliche (denn keine andere kann gedacht werden), ist die Versetzung eines Teils der Materie oder eines Körpers aus der Nähe der Körper, die ihn unmittelbar berühren und als ruhend angesehen werden, in die Nähe anderer.« (Ebd., § 21-25)

»Die Ursache der Bewegung ist teils eine allgemeine und ursprüngliche, welche die allgemeine Ursache aller Bewegungen in der Welt ist, teils eine besondere, von der es kommt, daß die einzelnen Teile der Materie Bewegungen bekommen, die sie vorher nicht hatten. Die allgemeine Ursache ist Gott, der die Materie zugleich mit der Bewegung und Ruhe im Anfang erschuf und schon allein vermöge seiner natürlichen Mitwirkung so viel Bewegung und Ruhe in ihr erhält, als er anfangs in sie legte. Denn obgleich die Bewegung nichts anders an der bewegten Materie ist als eine Bestimmung oder Affektion derselben, so hat sie doch eine bestimmte Größe oder Quantität, die, obgleich in den einzelnen Teilen der Materie verschieden, im ganzen doch immer dieselbe bleibt, so daß, wenn ein Teil der Materie sich um das Doppelte schneller bewegt als ein andrer und dieser andere um das Doppelte größer ist als der erstre, ebensoviel Bewegung im kleinern als im größern ist und daß, je langsamer die Bewegung eines Teils geschieht, desto schneller die Bewegung irgendeines andern, ihm gleichen ist. Wir sehen auch ein, daß in Gott nicht nur die Unveränderlichkeit seines Wesens, sondern auch die seiner Wirkungsweise eine Vollkommenheit ist. Weil nun Gott die Teile der Materie bei ihrer Erschaffung verschiedentlich bewegte und diese ganze Materie auf dieselbe Weise und in demselben Verhältnis, als er sie erschuf, erhält, so ist es vernünftig, anzunehmen, daß er auch immer dieselbe Größe der Bewegung in ihr erhalte.« (Ebd., § 36)[222] »Aus dieser Unveränderlichkeit Gottes lassen sich folgende Gesetze der Natur erkennen, die die sekundären und besondern Ursachen der verschiedenen Bewegungen in den einzelnen Körpern sind. Das erste dieser Gesetze ist: Jedes Ding, inwiefern es einfach und ungeteilt ist, bleibt für sich selber immer in demselben Zustande und wird nur von äußern Ursachen verändert; wenn es also z.B. ruht, wird es nie von sich selbst, sondern nur von einer äußern Ursache in Bewegung gesetzt; wenn es sich bewegt, wird es stets nur durch die Hindernisse anderer Körper, z.B. den Widerstand der Luft, zur Ruhe gezwungen, außer dem aber würde es sich immer fortbewegen. Das zweite Gesetz der Natur ist: Jeder Teil der Materie, für sich besonders betrachtet, strebt nur darnach, in gerader, aber nicht in krummer Linie die Bewegung fortzusetzen. Jeder Körper daher, der sich im Kreise bewegt, ist beständig bestrebt, von dem Mittelpunkt des Kreises, den er beschreibt, wegzukommen. Das dritte Gesetz der Natur ist dieses: Wenn ein bewegter Körper einem andern begegnet und eine geringere Kraft zur Fortsetzung seiner Bewegung in gerader Linie hat als der andere zum Widerstandleisten, so bekommt er eine andere Richtung und verliert so nicht seine Bewegung, sondern nur die Richtung derselben; hat er aber eine größre Kraft, so bewegt er den andern mit sich fort und verliert so viel von seiner Bewegung, als er dem andern mitteilt. Die Kraft aber eines Körpers, in einen andern einzuwirken oder der Tätigkeit eines andern zu widerstehen, besteht darin allein, daß ein jedes Ding für sich selbst in demselben Zustand, in dem es ist, zu verbleiben sich bestrebt. Das Verbundene hat daher einige Kraft, die Trennung zu verhindern, das Getrennte, getrennt zu bleiben, das Ruhende, in seiner Ruhe zu beharren und folglich dem zu widerstreben, was sie ändern kann, das sich Bewegende, in seiner Bewegung, d. i. in der Bewegung von derselben Geschwindigkeit und Richtung, zu verbleiben.«115 (Ebd., § 37-43)[223]

115

Eine Beurteilung der Cartesischen Gesetze der Bewegung sowohl im allgemeinen als im besondern vom Standpunkt der Physik aus findet man in Fischers »Geschichte der Physik«, S. 322-327 und S. 355-360, I. Bd.

Quelle:
Ludwig Feuerbach: Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza. Leipzig 1976, S. 218-224.
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