19.

König – und Knecht.

[204] Seine hochfürstliche Gnaden, des heiligen römischen Reiches Fürst und hochwürdigster Herr, Herr Hieronymus, Josephus, Franciscus de Paula, Erzbischof zu Salzburg, aus dem fürstlichen Hause Colloredo-Wallsee und Möls, seit 1772 regierender Fürst zu Salzburg, hatten sich seit längerer Zeit nach Wien begeben, und bewohnten hier sein schönes und weitläufiges, am Graben, unweit der Dreifaltigkeitssäule gelegenes Palais.

Der Bau selbst war zwar alt und keineswegs von äußerer Schönheit, desto prachtvoller aber zeigte sich die innere Einrichtung.

Da sah man in den weiten Sälen und Zimmern die schönsten Tische von Lapis lazuli, die reichsten und schwersten krystallenen Kronleuchter, große venetianische Spiegel, herrliche Tapeten, kostbare Uhren, Basrelifs, Bildsäulen, Büsten, Vasen, Cameen und was sonst nur zur Ausschmückung einer fürstlichen Wohnung dienen kann. Auch an reich und künstlerisch gearbeiteten Crucifixen und Heiligenbildern von Künstlerhand fehlte es bei dem frommen Herrn nicht.

Aber in diesen vornehmen Räumen war es bis jetzt noch stille, denn die Glocke hatte erst neun Uhr ge schlagen und seine hochfürstlich-erzbischöflichen Gnaden lagen noch tief in den Armen des Schlafes.

Nur in dem weiten und geräumigen Bedientenzimmer, welches sich gleicher Erde, dicht neben der Einfahrt befand, zeigte sich einiges Leben, indem die Dienerschaft eben von dem Frühstücke aufgestanden war. Das Zimmer war schlecht und armselig möblirt, aber die Welt, die sich darin bewegte, war sicher noch armseliger und schlechter.[204]

Die Bedientenwelt ist eine sehr verkehrte Welt, wie schon das Wort Bedienter statt Bediener oder Diener beweist. Die ersten Bedienten waren wohl die in den Kriegen gewonnenen Sclaven, aus diesen gingen Leibeigene, aus ihnen Knechte und dann die Bedienten im heutigen Sinne hervor. Sie bilden daher eine eigene Welt für sich, deren Tummelplätze die Antichambres sind: Orte, où la servitude se console par l'insolence et s'égaye par la malignité,71 wie ein geistreicher Franzose sagt. In der Regel nährt dabei das Bedientenhandwerk den Mann leichter und besser als andere Gewerbe, darum ist neben Arroganz hier die meiste Faulheit und Verdorbenheit zu Hause. Rousseau sagt aus diesem Grunde von den Bedienten: »ces sont les derniers des hommes après leur maitres!« (Sie sind die schlechtesten Menschen nach ihren Herren); ein Neuerer aber ruft: »Gott machte die Engel und der Teufel die Bedienten!« Aber man braucht den Teufel gar nicht dazu, denn es heißt nicht umsonst: »Wie der Herr, so der Knecht!« Ist dieser grob, sind jene gewiß noch gröber; – ist der Herr lüderlich, so ist es sein Diener noch mehr; – spreizt sich jener in Stolz und Hochmuth, kennt die Unverschämtheit seiner Domestiken gewiß gar keine Grenzen. Je größer aber das Haus, desto größer der Tempel der Faulheit im Bedientenzimmer! Und was ist hier die Arbeit dieser Edlen? ... Zungendrescherei, gemeine Scherze machen, die Herrschaft herunterziehen, Andere verleumden, spielen, gähnen und schlafen!

Und gähnend und sich dehnend frug jetzt Krippner, der Leib-Kammerdiener seiner fürstbischhöflichen Gnaden:

»Wie viel Uhr ist es, Germain

»Neun Uhr!« – versetzte dieser.

»Neun Uhr!« – fuhr Krippner gelangweilt fort, indem er sich unfläthig, Hände und Füße lang ausgestreckt, auf seinem Stuhle hin- und herschaukelte. –

»Der Teufel soll das frühe Aufstehen holen. Warum wird denn nicht um zehn Uhr gefrühstückt?«

»Weil seine hochfürstlichen Gnaden es so angeordnet haben!« – entgegnete der Unterkoch.[205]

»Ach was; angeordnet!« – rief Krippner. – »Das ist ja eine Dummheit! So etwas ordnet man sich selbst an. Unser frommer Alter schläft jeden Morgen bis elf Uhr, was brauchen wir da so früh aus dem Neste zu kriechen. Von morgen an wird bei uns um zehn Uhr gefrühstückt.«

»Aber ....« fiel der Unterkoch ein.

»Ich hätte bald etwas auf Euer ›aber‹ gesagt!« – schrie jetzt Krippner grob. – »Wenn ich's sage, ist es so gut, als ob's der Herr gesagt hätte. Und nun haltet das Maul und scheert Euch in die Küche oder zum Teufel, wohin Ihr wollt!«

»Ja!« – riefen jetzt alle übrigen Anwesenden. – »Krippner hat Recht, wir wollen um zehn Uhr frühstücken.«

Der Unterkoch zuckte die Achseln, dann sagte er:

»Wenn es der Herr Leib-Kammerdiener verantworten wollen, mag's sein.«

»Ich verantworte es!« – sagte dieser unter entsetzlich lautem Gähnen, und der Unterkoch ging nach der Küche.

Eine längere Pause entstand. Herr Krippner schaukelte sich unterdessen gemüthlich hin und her; Zetti, der Zuckerbäcker, kaute gedankenlos an den Nägeln; der Mundkoch setzte mit geschlossenen Augen sein Morgenschläfchen fort; der Leibkutscher stand rauchend am Fenster, den Wiener Dienstmädchen am gegenüberliegenden Brunnen von Zeit zu Zeit Kußhände zuwerfend; Veit, der erste Zimmerlakai, erzählte leise seinem Freund und Kameraden, dem Laufer, von den Abenteuern, welche er diese Nacht bei dem Besuche seines Schatzes gehabt; Germain, der zweite Zimmerlakai aber und der Unterkammerdienern saßen in verschiedenen Winkeln des Zimmers und lasen Zeitungen.

Endlich rief Krippner, über das allgemeine Schweigen geärgert:

»Kerls! seid Ihr heute wieder verdammt langweilig! hat Keiner etwas zu erzählen? Weiß Keiner einen schlechten Witz?«

»Der Witz scheint ihnen allen ausgegangen!« – sagte Zetti, die abgekauten Nägel mit stillem Wohlbehagen betrachtend.

»Da muß ich wieder helfen!« – fuhr der Leibkammerdiener fort. – »Schlechter Witz ist besser als gar keiner, sagt unser Alter. Der Teufel halte sonst die Langeweile aus.«[206]

»Nun!« – versetzte der Mundkoch, die matten Augen halb öffnend, gedehnt und schläfrig. – »Der Herr Leibkammerdiener hat nur zu befehlen.«

»Gut!« – rief dieser, indem er dummdreist lachte. – »Von den zwei Affen dort, die die Zeitungen vor ihre leeren Schädel halten, soll immer einer eine Zeile aus seiner Zeitung laut lesen, und der Andere sogleich eine Zeile aus seiner Zeitung folgen lassen.«

»Bravo! bravo!« – riefen Alle von diesem großen Gedanken begeistert, und die beiden Lesenden, des Leibkammerdieners Zorn und Bosheit fürchtend, fügten sich willig.

Jetzt entstand eine Scene, die an Plattheit und rohem Jubel Alles übertraf: Beide lasen ihre Zeilen hintereinander, und nach jedem Innehalten erfüllte ein wieherndes Lachen den Raum.

»Dem Freiherrn von Bruck ist ein junges Rind entlaufen ...« – las der Eine; – »am nächsten Sonntag seine Antrittspredigt zu halten,« – der Andere.

»Gestern wurde meine Frau von einem gesunden Knaben entbunden« – – – »ich werde, mit Hülfe meines Handlungsdieners, mein Geschäft unter der bisherigen Firma fortsetzen.«

»Der Ochse, der auf dem letzten Markt ein Kind zertreten« – – – »wird wohl schwerlich mehr bei Hofe erscheinen dürfen.«

»Den 13. schlug der Blitz in den Dom« – – – »er setzte Tags darauf seine Reise weiter fort.«

»In dem Schreibpulte des verstorbenen Herrn Prälaten befanden sich« – – »zwei Fässer Rheinwein und 200 Flaschen Champagner.«

»Gestern ist die neue Sängerin zum ersten Male mit vielem Beifall aufgetreten« – – »man konnte das Gebrüll im nächsten Dorfe hören.«

»Unter den ehrwürdigen P.P. Kapuzinern hat« – –

»die Rindviehseuche raubt ein Stück um das andere.«

»Die Vermählung des Grafen Peimst ist glücklich vollzogen worden« – – »es hat dabei zum Glück nicht gezündet.«

»Bei der neuen Galanteriehändlerin auf dem Graben« – – »Schnupfen, Gicht und andere bedenkliche Zufälle.«

»Bei Kaufmann Rall frische Häringe« – – »man nimmt vor Schlafengehen 6 bis 8 Stück in Oblaten.«[207]

»Eine Jungfer von guter Herkunft wünscht als Kammermädchen Unterkunft« – – »das Titelblatt fehlt, und hinten steht die Zahl 60.«

Das Lachen und Jubeln hatte sich hier bis in das Ungeheure gesteigert, als plötzlich angeklopft wurde.

»Verflucht!« – rief der Herr Leibkammerdiener – »welcher Esel stört uns da!«

Aber die Thüre öffnete sich jetzt und eine in Trauer gekleidete Frau zeigte sich auf der Schwelle. Sie sah bleich und niedergebeugt aus, und obwohl ihre Mienen und Bewegungen Bescheidenheit, ja Aengstlichkeit verriethen, war doch auf den ersten Blick zu erkennen, daß sie den bessern Ständen angehöre. Nichtsdestoweniger herrschte ihr Krippner – den die Unterbrechung der eben gepflogenen geistreichen Unterhaltung ärgerte – ohne sich von seinem Stuhle zu bewegen, ein rauhes: »Was giebt's?« zu.

Die Eingetretene erschrak sichtlich. Verlegen sah sie sich in dem sauberen Kreise um, als suche sie einen höheren und gebildeteren Beamten des fürstbischöflichen Hauses. Krippner, der dies wohl merkte, ärgerte sich darüber noch mehr, und als die Trauernde nun nach dem Herrn Leibkammerdiener des Herrn Erzbischof frug, rief er noch roher:

»Ich bin's, was will Sie?«

Aber Verwunderung und Schrecken lähmte die Zunge der armen Frau.

»Nun, zum Teufel!« – polterte Krippner jetzt heraus. – »Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen! Wenn Sie etwas will und hat, so thu' Sie das Maul auf.«

Die Frau zitterte am ganzen Leibe und deutlich sah man ihr den inneren Kampf an, den ihr der Entschluß, zu bleiben, kostete. Aber Noth und Elend siegten wohl über den empörten Stolz, und zwei dicke Thränen in den Augen, sagte sie:

»Ich bin Salzburgerin. Mein Mann ist auf einer Reise hierher plötzlich gestorben und so sehe ich mich genöthigt ...«

»Sie kann ihre Mühe sparen« – rief Krippner – »wir haben des Bettelvolkes genug hier. Es wird Nichts gegeben!«

»Aber, mein Gott!« – rief die Unglückliche, jetzt in der That empört, – »ich habe mich ja mit keiner Bitte an Sie gewendet; nur diese Bittschrift möchte ich zu Händen des[208] Herrn Fürstbischof gebracht wissen. Er ist ein Diener Gottes und mein Herr und Landesvater, er wird das Flehen einer Unglücklichen nicht überhören.«

»Da müßte er Ohren wie der Stephansthurm haben, wenn er all das Bettelvolk an- und erhören wollte!« – rief der Herr Leibkammerdiener der Armen frech in das Gesicht, und ein schallendes Gelächter aller Anwesenden belohnte diesen Witz.

Einen Augenblick stand die Trauernde wie vernichtet; dann überflog ihr blasses Gesicht eine tiefe Röthe und mit einem Blicke unaussprechlicher Verachtung auf Krippner und seine Genossen, wandte sie sich zur Thüre und verschwand. Aber ein rohes Gelächter folgte ihr bis auf die Straße.

»Die hat der Herr Leibkammerdiener gut abfahren lassen!« – rief jetzt Germain heiter. – »Wenn's der Herr erfährt, wird er sich vor Lachen das Bäuchlein halten müssen.«

»Wie gestern!« – rief Krippner – »als ich ihm beim Ankleiden erzählte, wie ich bei der letzten Soiree zu so enormen Trinkgeldern kam.«

»Von denen wir verflucht wenig erhalten haben!« – murmelte Germain mit einem Blicke voll Neid.

»Und wißt Ihr, wie ich es gemacht habe?« – fuhr Krippner fort. – »Spitzt Eure langen Ohren und öffnet Eure leeren Verstandeskasten, damit Ihr etwas von einem klugen Kerle lernt.«

»Nun?« – sagte halb schmeichelnd, halb boshaft der erste Zimmerlakai – »der Herr Leibkammerdiener sind aber auch ein Ausbund von Klugheit und Welterfahrung.«

»Wenigstens ist meine große Zehe gescheidter, als Ihr Alle! – – Also paßt auf! Beim Weggehen der hohen Herrschaften nahm ich einen der großen silbernen Leuchter, die unten den breiten ausgehöhlten Rand haben; auf diesen Rand nun legte ich von vornherein einige Thaler! .... Das zog! Fürst Galitzin sah die dicken Dinger und legte auch einen hin. Ebenso machte es die Gräfin Romberg« ....

»Und der filzige Graf Cobenzl?« – frug Germain mit malitiösem Blick.

»Der Geizkragen!« – rief Krippner. – »Er legte wahrhaftig einen Zwanziger hin. Aber hast du nicht gesehen! fort war er. Wie ein Taschenspieler hatte ich ihn im Sack und einen neuen Thaler auf dem Rande des Leuchters. Nun[209] folgten die Anderen Schande halber alle und ich machte ein prächtiges Geschäft.«

»Und wo ist unser Theil?« – frug Germain.

»Schafskopf! – würde bei einer solchen Frage unser Alter sagen; was in meiner Tasche ist, ist gut aufgehoben .... Aber laßt die Dummheiten jetzt, und gebt Karten her, wir wollen ein Spielchen machen. Wer Lust hat, kann sich von meinen Thalern welche holen.«

Und der Herr Leibkammerdiener, der Herr Mundkoch, der hochfürstliche Zuckerbäcker und Veit, der erste Zimmerlakai, setzten sich zum Spiele. Die Uebrigen gingen ab und zu, rauchten, schwatzten, gähnten oder schliefen.

So verging etwa eine Stunde, als ein Wagen vor dem Palais anfuhr. Aber es war keine elegante Chaise mit Wappen und Livree, .... es war ein ganz einfacher Miethwagen, auf welchen man hinten einige Koffer gebunden hatte.

Krippner und Germain, die sich einen Moment auf ihren Stühlen in die Höhe gestreckt hatten, um zu sehen, von welcher Qualität der anfahrende Wagen sei, blieben daher, als sie einen sogenannten »Rumpelkasten« bemerkten, ganz ruhig sitzen. Nur frug der letztere den Herrn Leibkammerdiener erstaunt:

»Wer kommt denn da in dem elenden Ding an?«

»Der lüderliche Geiger!« – entgegnete Krippner.

»Wer?« – wiederholte Germain.

»Nun – wer? – der Mozart. Weißt doch, daß der Alte wüthend über den Schlingel ist, der als Organist und Musikant sein Brod frißt und in München lumpt und Opern schmiert. Aber er wird dem Kerl schon den Kopf waschen!«

»Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, wenn der Alte auf ihn brummt!« – versetzte Germain, die Karten mischend und nach der Thüre schauend, durch welche Wolfgang Amadeus Mozart, der auf Befehl des Fürstbischofs München schnell verlassen und nach Wien zu seinem gestrengen Herrn hatte reisen müssen, eben eintrat.

Mozart in seiner gutmüthigen Weise grüßte freundlich, obgleich es ihm gar nicht freundlich zu Muthe war; aber von den Anwesenden schien keiner ihn zu bemerken.

»Nun, Herr Krippner!« – sagte er gelassen. – »Sie sind ja gewaltig in Ihr Spiel vertieft. Wollen Sie mir nicht mein Zimmer anweisen lassen und meine Ankunft seiner Hochfürstlichen Gnaden melden?«[210]

»Bub', Dam', König, Aß!« – rief Krippner in diesem Moment, die genannten Karten hinter einander mit solcher Macht auf den Tisch werfend, daß jeder Wurf laut aufschallte.

»Das Spiel ist mein! .... Ah, Monsieur Mozart! .... Germain, zeige ihm doch sein Zimmer. Melden kann ich noch nicht, denn der Herr schläft noch. Es braucht aber dem Monsieur Mozart auch gar nicht zu pressiren, der Kopf wird ihm noch früh genug gewaschen werden.«

Mozart biß sich auf die Lippen; denn so wenig er eitel und hochmüthig war, beleidigte ihn – den großen Mann, den gefeierten König der Töne – diese freche und geringschätzige Sprache in dem Munde eines Bedienten doch. Aber er fühlte sich zu erhaben über diesen Wurm in Livree und sagte daher kalt:

»Das sind Dinge, die der Herr Leibkammerdiener mir überlassen wird. Ich verlange mein Zimmer und Meldung bei seiner Hochfürstlichen Gnaden und weiter nichts.«

Krippner lachte laut auf, dann, sich auf seinem Stuhle gemächlich zurücklehnend, sagte er:

»Der Monsieur Mozart scheinen in München sehr vornehm geworden zu sein. Wer wird denn gleich so hochmüthig über seine Collegen herfallen?«

»Collegen?!« – wiederholte Mozart verächtlich – »ich weiß nicht von wem der Herr Kammerdiener spricht.«

»Leib-Kammerdiener! – wenn's beliebt« – versetzte Krippner mit besonderer Betonung der ersten Sylbe. – »Ich habe übrigens uns gemeint, die wir hier sind.«

»Ich wüßte nicht« – sagte Mozart immer kälter und finsterer – »was wir gemein mit einander hätten.«

»Nun, .... wir speisen zum Beispiel zusammen.«

»Wir?!« – rief jetzt Amadeus, und Staunen und Unwille erstickten ihm fast die Stimme.

Krippner bemerkte dies mit heimlicher Freude, und die satanische Lust, Mozart für sein Auftreten zu demüthigen, ihn, nach Art gemeiner Seelen, zu sich in den Staub herabzuziehen, kitzelte ihn so, daß seine Augen in boshafter Freude aufblitzten.

»Ja, wir!« – sagte er daher mit hämischem Tone. – »Hier im Bedientenzimmer wird täglich um halb zwölf Uhr zu Mittag gespeist. Monsieur Mozart wird da eine ganz lustige und charmante Gesellschaft finden: Mich, den Unter-Kammerdiener [211] Leibholz, den Herrn Zuckerbäcker Zetti, den Herrn Mundkoch und seinen Gehilfen Germain, Veit und die beiden Musiker Ceccarelli und Brunetti72

Mozart stand – wie man zu sagen pflegt – der Verstand stille. Es war ja unmöglich, daß der Fürstbischof Künstler, wie Mozart und die beiden Ebengenannten, im Bedientenzimmer und mit diesem gemeinen Volke an einem und demselben Tische speisen lassen konnte. Dennoch schien Krippner die Wahrheit zu sprechen, denn der Ausdruck seines flachen Gesichtes war so triumphirend als malitiös.

Glücklicherweise schellte es in diesem Augenblicke – ein Zeichen, daß der Herr Fürstbischof erwacht sei, und nach seinem Leib-Kammerdiener verlange. Krippner sprang denn auch wie der Blitz auf, warf Karten und Pfeife weg, musterte rasch vor dem Spiegel seinen Anzug und sein Gesicht, das jetzt plötzlich einen höchst unterthänigen Ausdruck annahm, und verließ dann eilig das Bedientenzimmer.

Mozart athmete auf. Es ward ihm ordentlich leicht, bei der Entfernung dieses widerlichen Menschen. Als ihn aber Germain, indem er ihn nach seinem Zimmer führte, ebenfalls wie einen Bruder und Kamerad behandeln wollte, führte er diesen mit so entschiedenem Ernste ab, und wies ihn so bestimmt in die ihm gebührenden Grenzen zurück, daß er ganz verdutzt in das Bedientenzimmer zurückkam.

Aber welche Empfindungen durchstürmten nun des jungen Mannes Brust. Er, der vor Kaisern und Königen gestanden, der so oft an fürstlichen Tafeln gespeist, dessen fast ausschließlicher Umgang bisher Fürsten, Grafen, Barone und Künstler ersten Ranges gewesen, er sollte nun mit Bedienten auf gleicher Stufe stehen, – mit Bedienten im Bedientenzimmer speisen?!

Er, den der Fürst Galizin, die Gräfin Thun, Graf Cobenzl, die Gräfin Romberg und viele andere des höchsten Wiener Adels schon im Voraus auf das freundlichste schriftlich zu sich eingeladen hatten, sollte in diesen Häusern gestehen müssen, daß er von seiner Fürstbischöflichen Gnaden wie ein Livree-Bedienter gehalten werde?!

Er, der eben noch ganz München und den Churfürstlichen Hof mit seinem neuen, großartigen, herrlichen, [212] von aller Welt angestaunten Werke entzückt und begeistert hatte; – er, der Welten neuer Tonschöpfungen in seinem Innern trug, der gefeierte Componist des Idomeneo, der erste Musiker seiner Zeit .... er galt seinem Herrn nicht mehr als ein Lakai?!

Mozarts ganzes Innere empörte sich, – nicht aus Stolz und Hochmuth, aber aus verletztem Ehrgefühl. Es zuckte in ihm auf mit der ganzen Energie eines mächtigen Genies! Der Entschluß, dem Fürstbischof seine bettelhafte Anstellung von 400 fl. – vor die Füße zu werfen, trat vor seine Seele! .... aber .... sein alter Vater! Würde ein solches Verfahren, bei dem bekannten Charakter des Fürstbischofs, nicht auch dem guten alten Manne seine Stelle gekostet haben? – und .... o unglückseliges Fatum! auch in München war Mozart – trotz aller Begeisterung des Churfürsten, des Hofes und der Stadt – zu keiner Stelle gelangt. Graf Seinsheim hatte recht behalten: die 35 Leibärzte, Hofmedici und Leibchirurgen, von welchen nur fünf beschäftigt waren und dreißig faullenzten, und die 135 Küchenbeamten, von welchen dreiviertel ihren Gehalt total für nichts empfingen, lebten nach wie vor in Ruhe und Freuden, bestahlen dabei so viel als möglich Land und Landesfürst .... aber für einen Wolfgang Amadeus Mozart, – für den Componisten des »Idomeneo« .... war das Geld zu einer Anstellung nicht vorhanden!

Das Wenige aber, was Mozart für seine Oper bekommen, hatte er zu seinem Unterhalte und zur Unterstützung seines Vaters und seiner Schwester gebraucht.

Wie ein ungeheurer, unüberwindlicher Riese streckte daher die eiserne Notwendigkeit ihren Arm über ihn aus. »Du mußt bleiben!« – ertönte es wie mit Donnerton in seiner Seele, und der König der Töne fühlte sich ein Knecht des Schicksals!

»Monsieur Mozart!« – rief jetzt die Stimme Germains mit freudiger Malice zu der halb geöffneten Thüre herein – »Seine hochfürstlichen Gnaden haben befohlen, auf der Stelle zu erscheinen!«

Wolfgang raffte sich zusammen. Er wußte, was ihn erwarte; aber er waffnete sich mit edlem Selbstbewußtsein und mit dem Gedanken an seinen alten Vater, dessen einzige Stütze er war, und der ja früher auch ihm sein ganzes Leben gewidmet.[213]

Der Fürst-Erzbischof empfing ihn finster und kalt. Er war ein Mann von vorgerücktem Alter, aber noch sehr kräftig. Seine Korpulenz, sein geröthetes Gesicht, seine dicken Lippen und sinnlichen Züge verriethen den Genußmenschen; aber es lag dabei auch ein Ausdruck von unaussprechlichem Hochmuth, – gepaart mit der derbsten Rohheit, in diesem Gesichte. Und dies Gesicht log nicht:

»Ist Er endlich einmal da!« – rief er jetzt mit barschem Tone Mozart zu, als dieser kaum eingetreten. – »Es war Ihm, bei Gott, gerathen, daß er heute eintraf! Glaubt Er vielleicht, ich bezahle Ihn umsonst?«

»Hochfürstliche Gnaden halten zu Gute« – sagte Mozart ruhig und mit Würde – »ich war auf Urlaub.«

»Der längst vorbei ist.«

»Er wurde mir durch fürstliche Munifizenz, auf Ersuchen meines Vaters, verlängert.«

»Was verlängert! Ich brauche meine Leute hier. Aber ich kenne das! das Lumpenleben, Allotriatreiben, Opern schmieren und dergleichen, sitzt Euch lüderlichem Musikantenvolke mehr in dem Kopf, als der Dienst!«

»Hochfürstliche Gnaden« – versetzte hier Mozart zitternd vor Indignation – »gegen mein Leben wird Niemand etwas einwenden können, und meine Oper kennt die Welt!«

»Geschwätz, hochmüthiges Geschwätz!« – rief der Erzbischof, dunkelroth vor Zorn. – »Aber ich will Ihm den Componistendünkel schon vertreiben. Um zehn Uhr Morgens ist Er von jetzt an jeden Tag meiner Befehle gewärtig, halb zwölf essen im Bedientenzimmer, den Nachmittag und Abend Musik bei mir, oder .... wo ich Ihn hinschicke!«

Es giebt Seelenschmerzen im Leben, die nicht beschrieben, nur gefühlt werden können. Ein solcher Schmerz durchschnitt jetzt des jungen Künstlers Brust mit einer Gewalt, daß er hätte laut aufschreien können. Er bebte am ganzen Körper, der Kopf glühte ihm, die Hände fühlten den Drang, sich zu ballen, die Seele strebte, diese unwürdigen Fesseln zu zerreißen; aber .... der alte geliebte Vater!

»Ich werde meiner Pflicht stets pünktlich nachkommen!« – sagte Wolfgang jetzt mit stiller Resignation, – »nur bitte ich Ew. Gnaden, mir wenigstens zu gestatten, dem Herrn Fürsten Galitzin, der Frau Gräfin Thun und einigen anderen hohen Herrschaften meine Aufwartung machen zu dürfen.«[214]

»Was Aufwartung!« – rief der Fürst und schoß Blitze des Zornes nach Mozart. – »Sticht Ihn schon wieder der Hochmuthsteufel? bleib Er bei Seinesgleichen.«

»Aber ....«

Aber der Herr Fürstbischof kannte sich jetzt in sei nem Zorne selbst nicht mehr.

»Halt Er das Maul und pack' Er sich jetzt!« – schnaubte er wüthend. – »Ich bezahle Ihn und mir hat Er sich zu zeigen, wo und wann ich will!«

Und mit diesen Worten zeigte der fromme Herr in höchst unfrommer Leidenschaftlichkeit nach der Thüre. Das Uebermaß dieser Rohheit hatte indessen Mozart sein ruhiges und edles Selbstgefühl wiedergegeben. Es trug ihn – den einfachen bescheidenen bürgerlichen, aber durch sein Genie geadelten Menschen – hoch über diesen, mit der Fürstenkrone und dem Bischofshüte geschmückten, aber sittlich und geistig so niederen Mann. Hoch und stolz aufgerichtet, sandte Mozart daher dem Fürstbischof einen Blick der Verachtung zu und verließ das Zimmer. Auf dem seinen aber angekommen, netzten Thränen seine Augen, und – wie gebrochen an Leib und Seele – rief er, auf einen Stuhl niedersinkend: »Du bist ein Knecht73

Quelle:
Heribert Rau: Mozart. Ein Künstlerleben. Berlin 4[o.J.], S. 204-215.
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