Vorbericht des ersten Verfassers.

Geneigter Leser,


1 §. Da die Mythologie eine Art der Historie ist, welche von den Göttern, Göttinnen, Helden und andern in den μύθοις, oder Fabeln der ehemaligen Aegypter, Griechen und Römer bekannten Personen, wie auch den dahin gehörigen Thieren, Oertern, Flüssen und dergleichen Dingen handelt; wird auch leicht zu ermessen stehen, was ein mythologisches Lexicon sey, und mithin nicht nöthig fallen, von dem Inhalte des gegenwärtigen Werkes ein mehreres beyzubringen.

2 §. Ob aber dergleichen Dinge verdienen, daß auf sie annoch einiges Absehen gemachet werde, dürften vieleicht die noch wissen wollen, welche entweder noch keinen genugsamen Begriff von der Mythologie an sich haben, oder auch so gar des Apostels Pauli Worte, daß man nicht Acht auf die Fabeln haben solle, weiter als auf die jüdischen Fabeln extendiren, und mithin die gute Mythologie selbst, aus einem theologischen Eifer, verwerfen.

3 §. Allein, wie es eines Theiles klar ist, daß nicht Paulus, wohl aber Petrus die Mythologie im Sinne habe, da er von den klugen Fabeln redet: also wird zum wenigsten auch von Paulo nicht verlanget, daß man die jüdischen albernen, geschweige denn des Petri heydnische kluge Fabeln schlechterdings nicht achten, und also auch nicht einmal lesen und untersuchen solle; sondern nur, daß man sie nicht soll für Wahrheiten ansehen, oder auch sonst mehr Wesen von ihnen machen, als sich geziemet, welches man denn auch allerdings von der gesammten Mythologie willig und gern zusteht.

4 §. Daß immittelst aber selbige wohl verdiene, daß nicht nur Gelehrte, sondern auch viele Künstler und alle polite Leute, einige Kenntniß von ihr fassen, steht gar leicht zu erweisen.

5 §. Maßen Theologi sie allerdings zu Unterscheidung des ehemaligen Heyden- und jetzigen Christenthums nöthig haben, und ohne [11] sie weder die heil. Schrift an vielen Orten gründlich verstehen und erklären, noch auch der alten Philosophorum Lehren zulänglich widerlegen können, nachdem als Cyprianus, Lactantius, Minutius Felix, Augustus und andere große Lichter der ersten christlichen Kirche, es der Mühe allerdings werth geachtet, solcher Mythologie Unrichtigkeit gegen der christlichen Lehre Gewißheit, theils in besondern Schriften, theils sonst hinlänglich zu erweisen.

6 §. Die Juristen, als Juristen, möchten sie am ersten entbehren können: allein, die Herren Medici finden wieder genugsame Ursache, sich in derselben etwas umzusehen. Gestalt insonderheit in der edlen Botanica viele Bluhmen und Kräuter vorkommen, von welchen die Mythologie gar besondere Historien zu erzahlen weiß. Und ob wohl selbige zu wissen, zur Praxi selbst in so weit nichts dienet, als einer dießfalls ein allerdings guter Medicus heißen kann, ob er gleich nicht weiß, daß Narcissus, Crocus, Smilax, Mentha und andere Bluhmen und Kräuter ehemals Menschen gewesen, die Rosen anfangs alle weiß gesehen, zum Theil aber erst roth gefärbet worden, als sich Venus in deren Sträuchen blutig geritzet, und was dergleichen mehr ist: so laßt es doch auch keinesweges wohl, in seinem Handwerke etwas nicht zu wissen, was doch andern bekannt ist, die keine Profession davon machen, zumal, da auch schon einige ihres Mittels diesen Mangel erkannt, und daher der gelehrten Welt bereits einigen Vorschmack von der Historia Plantarum fabulari gegeben haben.

7 §. Ein Philosophus findet in der Pnevmatik, Physik, Moral, Politik und Oekonomik vieles aus der Mythologie vor sich, und in der Astronomie wird er ohne dieselbige nicht einmal die bloßen Namen der Gestirne verstehen. So wird er mit des Ciceronis und Phurnuti Werken de Natora Deorum, mit dem Lucretio de Natura Vniversi und dergleichen Schriften, die doch unstreitig mit für einen Philosophum gehören, schlecht zurechte kommen, wo er nicht auch in der Mythologie das Seinige geziemend gethan hat.

8 §. Von einem Philologo wird dießfalls so fern nichts zu gedenken seyn, als nicht nur dieses Scibile an sich einen großen Theil der Philologiæ realis ausmachet; sondern auch weder Poeten, noch andere Autores ohne dieselben verstanden und erläutert werden können.

9 §. Künstler, als Maler, Bildhauer, Medailleurs, Structurarbeiter und dergleichen, sollen eine um so viel genauere Kenntniß davon haben, je öffentlicher und kostbarer zum öftern die Fehler sind, welche sie dießfalls begehen können. Maßen ihnen, wenn anders ihre Arbeit aus der Antiquität genommen seyn, und zum Exempel Götter, Göttinnen und dergleichen vorstellen soll, sodann nicht erlaubet ist, selbige nach ihrer Phantasie zu bilden, sondern es müssen sich dieselben auch nach dem Alterthume richten, und in alle dem, was etwan ausnehmendes [12] an ihren Kunststücken ist, sich auf sichere Autores gründen, wo sie der Welt nicht schnöde Misgeburten zu ihrer merklichen Prostitution vorstellen wollen.

10 §. Wenn aber allenfalls weder ein Gelehrter, noch Künstler die Mythologie zu seiner Profession nöthig hat; so kann er doch derselben als ein Polithomme so fern nicht entrathen, als er hin und wieder Bildsäulen, Gemälde, Bassi rilievi, Medaillen, alte Münzen und dergleichen Dinge antrifft, so aus der Mythologie genommen, und es ihm theils in sich selbst verdrießen muß, wenn er selbige nicht anders, als wie die Kuh ein neues Thor, ansehen kann, und mithin nicht weiß, was solche Dinge eigentlich find und bedeuten, theils sich gar leicht auch mit seiner Unwissenheit vor andern beschimpfen kann, wenn er entweder mit seiner Deutung und Raisonnement von selbigen darneben kömmt, oder auch, da ihn ein anderer drum fraget, sich mit seiner Unwissenheit entschuldigen muß. Und dergleichen kann denn so wohl einem Hofmanne und reisenden Cavaliere, als galanten Kaufmanne und dergleichen begegnen, also, daß alle und jede, so nicht unter dem gar gemeinen Pöbel mit hin laufen wollen, etwas von dieser gelehrten Galanterie zu wissen nöthig haben.

11 §. Wie es aber dennoch nicht eines jeden Werk ist, solche Mythologie aus den dießfalls vorhandenen griechischen, lateinischen, französischen und italienischen Autoren zu erlernen, hiernächst zwar oft wohl der Namen eines Dinges sich entweder bey demselben ungefähr mitgiebt, oder doch anderweits her bekannt ist, ihn aber in den dieß falls zu habenden systematischen Büchern auszusuchen allzubeschwerlich fällt, hat man allen und jeden oberwähnten zu statten zu kommen, vermeynet, wenn man zu ihrem Nutzen und Gebrauche solche gesammte Mythologie in ein deutsches Lexicon verfassete, um darinnen so fort und ohne große Mühe finden zu können, was etwan vorfällt.

12 §. Und dieses ist denn gegenwärtiges Werk, worinnen man, so viel der Raum gelitten, alles zusammen zu bringen gesuchet hat, was dießfalls nöthig und nützlich seyn kann.

13 §. Die Ordnung desselben ist, nach Erforderung eines Lexici, alphabetisch, ohne daß man die allzu weitläuftig fallenden Artikel um mehrerer Deutlichkeit willen in unterschiedene Paragraphos getheilet hat.

14 §. Die Beynamen der Götter und Göttinnen, worinnen oft gar besondere Historien, und andere zur Mythologie gehörige Dinge enthalten sind, hat man als besondere Artikel angesetzet, weil sie gar oft auch allein und besonders bey den Autoren vorkommen; jedoch aber auch zu zeigen, wie fern sie diesem, oder jenem Gotte, oder Göttinn zukommen, hat man sie bey dieser Hauptnamen auch zusammen mit beygebracht.[13]

15 §. Wie aber hinter der Mythologie theils wahre Historien, theils natürliche Dinge, theils aber auch nur gute Sittenlehren stecken: also hat man ihre Deutung auf solche drey Arten auch insonderheit mit beyzubringen gesuchet: hingegen aber mit den Grillenfängereyen, da einige sie bis auf die Metaphysik, andere auf die Kunst, Gold zu machen, und so ferner erstrecken wollen, sich unverworren gelassen.

16 §. So hat man auch eigener Deutungen wenig mit einfließen lassen, weil man sonst leicht das halbe Werk damit anfüllen können, die aber auch, wie die meisten, so man aus andern Autoribus mit eingebracht, nichts, als Muthmaßungen, würden haben seyn können, dergleichen sich aber auch ein jeder selbst nach seiner Einbildung so viel wird machen können, als ihm gefällig ist.

17 §. Indessen hat man alles und jedes mit seinem Beweise aus tauglichen Autoribus bestärket, damit ein jeder, so sich des Werkes bedienen will, um so viel sicherer gehen könne. Und weil solche Autores mit ihren Editionen auch nicht allen bekannt seyn möchten, oder, da auch solches ist, dennoch nicht zu errathen stehen dürfte, was für Editiones man insonderheit gebrauchet, ist deren zulängliches Verzeichniß so fort nach dieser Vorrede zu sehen.

18 §. Statt eines Anhangs hat man ein Genealogicon Mythistoricum mit beygefüget, worinnen der größte und vornehmste Theil der Mythologie in seiner Folge auf einander enthalten; und, wie solches vom Anfange der Dinge bis auf die Zeiten, da es so ziemlich lichte in der Historie geworden, geht; also begreift es insonderheit das gesammte tempus μυθικὸν des Varro, und, da bey jedem daraus vorkommenden Artikel die Tabelle desselben allegiret worden, wird vermittelst derselben ein jeder so fern auf- und nieder geben können, bis er dort den Anfang, hier aber das Ende der Mythologie erreiche.

19 §. Wenn aber bey diesem allen ein Autor oft dahin, der andere dort hinaus will, wird es sich der geneigte Leser nicht wundern lassen, wenn sich noch einige Dinge finden möchten, so von den hier beygebrachten zum Theil, oder auch wohl gänzlich abgehen. Maßen, daß nichts ungewissers, als die Mythologie sey, schon auch die alten Autores hin und wieder angemerket haben, und, da oft auch in diesem Lexico von einer Sache sechs bis sieben Meynungen beygebracht werden, kann es gar wohl geschehen, daß sich auch noch die achte und neunte findet. Da aber hierbey die Autores oft auch von gleichem Glauben und Ansehen sind, ist es zum mehrern Theil unmöglich gewesen, sie auf einige Art zu entscheiden, und mithin etwas mehrers, als einen Referenten, hieselbst abzugeben.

20 §. Und wie denn dieses ist, was man dem geneigten Leser zum Voraus zu berichten für nöthig erachtet hat: also wünschet man, daß Selbigem auch gegenwärtige Arbeit einiges Gnüge gebe!


Großenhayn, an der Leipziger Ostermesse, 1724.

Quelle:
Hederich, Benjamin: Gründliches mythologisches Lexikon. Leipzig 1770., S. X10-XIV14.
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