Rechte Beschaffenheit derselben.

[1] Gott fürchten heißt nichts anders, als seine herrlichen Eigenschaften immer vor Augen haben, und sich hüten, daß man nicht dawider thue. Wenn du also daran denkest, du magst gehen oder stehen, arbeiten oder ruhen, daß Gott alles weiß, höret und sieht, und daß er immer um dich herum gegenwärtig ist; wenn du dich zum Guten faul und matt fühlest, und du bedenkest Gottes Heiligkeit und Befehl; wenn dich dein Herz locket, böses zu thun, zu betrügen, zu stehlen, zu huren, after zu reden von andern Leuten, ihren guten Namen zu schänden und zu zerreißen, andere zu unterdrücken und verfolgen, und du läßest dich von Gottes Allgewart[1] schrecken und scheuest seine Allwissenheit, so hast du Ehrfurcht vor Gott. – Man muß es dir ansehen in allen deinen Worten und Geberden, daß du Gott in Ehren hälst. Wolltest du den Namen Gottes mißbrauchen, fluchen, schwören, unzüchtige üppige Reden führen, so würdest du Gott verachten, welches ich dir ins Gesicht sagen wollte. – Diese Ehrfurcht vor Gott ist nicht ein Schrecken und Zagen, sondern eine Scheu, die Gott als den höchsten Herrn und Regierer verehret und hochschätzt; nicht ein verzagt, flüchtig Gewißen, das da beißet und klagt, sondern ein freudiges unerschrockenes Herz, das sich nicht entsetzet vor einem rauschenden Blatte, sondern läßet wohl Thürme umfallen, Donner, Blitz und Wetter vorübergehen, ohne zu erschrecken, aber Gottes Majestät in Ehren hat. – Darum gar schön gesagt ist Psalm 111, 10. Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, das ist, wenn alle Welt des Herrn Namen hehr und heilig hielte, und auf seine Worte und Werke merkte, so würden weise Leute daraus. Denn soll man weise werden,[2] so muß es dadurch geschehen, daß man Gott und sein Wort in Ehren hält.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 1-3.
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