Eigennutz.

[180] Ich klage es oft meinem Gott in der Stille, daß die Menschen so sehr nur auf eigenen Vortheil und Nutzen sehen, und weder Hand noch Fuß rühren wollen, wo sie nicht Gewinn vor sich haben. Damit will ich nicht sagen, daß ich es dem armen Tagelöhner verdenke, wenn er um Lohn arbeitet, weil er davon leben muß. Aber es ist doch auch nicht recht, wenn er nur auf den Lohn siehet, den er bekömmt, und nicht auf den Nutzen, den er durch seine Arbeit schaffen will, und sich nicht darum bekümmert, wie viel er an seinem Theile der Welt nützlich sei. Aber ein jeder soll so viel thun, als er nur kann, und sich, wo möglich, um alle verdient machen, daß sie ihm etwas zu danken haben. Sintemal[180] Paulus sagt: Lasset uns gutes thun und nicht müde werden etc. Und wir sollen nicht immer sehen, ob es uns nützet, sondern ob es andern nützet, wie es heißt: ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auf das, was des andern ist, das ist, was recht vielen Nutzen und Heil schaffet. Lieber Gott, wie viel könnte in der Welt nicht ausgerichtet und gefördert werden, wo nur die halbe Welt so dächte und so wirkete! Denn so machen es nur fromme und gute Leute, daß sie lieber selbst Schaden leiden wollen, Gefahren, Mühe, Arbeit nicht schonen, wenn sie nur denken dadurch recht vielen zu dienen. So sprach Moses 2 Mos. 32. »Herr, es wäre nur lieber, daß du mich verdammest und das Volk seligest.« Das ist rechter christlicher Sinn, wie ihn Christus von uns fordert, der nicht auf seinen Nutz und Gewinn sahe, sondern daß die Menschen leben möchten. Und es ist immer mein heimlicher kühner Wunsch gewesen, nur den tausenden Theil so viel auszurichten, was nutzbar und heilsam wäre für andere, als der Herr Christus. Und so ich es auch nicht vermag, wie ich es denn nicht vermöge,[181] so bitte ich doch Gott, daß er mir nur etwas gutes gewinnen lasse, das ich in der Welt fördere. – Aber der meisten Menschen Suchen und Streben ist Eigennutz, daß sie nicht thun und arbeiten um Gottes und des Nächsten Nutzen willen, sondern um Ehre, Gut und andere Dinge willen. Da rechnet man und zählet nur, wie viel es an Gelde und Ehre einbringt, und vergisset, ob es auch nützlich für den Nächsten sei. Ich mag mit solchen Leuten nicht umgehen und zu thun haben, denn sie sehen sich immer an mir um, wie viel meine Hand oder Fuß ihnen Zinnsen und Wucher geben können und wie sie alle andere zu ihren Vortheil brauchen möchten. Sie geben aus Eigennutz, damit sie desto mehr kriegen. Sie machen Freundschaft aus Eigennutz, schmeichlen und heuchlen. Sie dienen sogar Gott aus Eigennutz, damit er sie recht belohnen solle, und so bewegen sie kein Glied, ohne ihren eigenen Nutzen zu fördern. Das sind rechte schreckliche Leute, deren Herz, meine ich, gar nicht zum Christenthume geschaffen ist.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 180-182.
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