Versöhnlichkeit, Rachsucht.

[233] Es ist ein schweres, aber gar christliches Wort: Liebet eure Feinde etc. Und kann hier einer recht sein Christenthum beweisen, so er den liebet, der ihn mit Haß und Verfolgung beleidiget hat. Und ist mit der Liebe der Feinde[233] nicht gemeint, daß du deinen Feind so lieben sollst, wie deinen Vater und Mutter. Sondern du sollst ihn nicht hassen, ihm vielmehr lauter Liebes und Gutes wünschen und thun, wo du weißt und kannst, auch für ihn beten, daß ihm Gott zur Erkenntnis bringen wolle. Siehe das ist die rechte Liebe gegen deinen Feind, so du ihn mit Gutesthun beschämst. Wie geschrieben steht Röm. 12, 20. »So deinen Feind hungert, so speise ihn. So du das thust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammlen,« das ist, du sollst den Feind mit lauter Wohlthaten überschütten, daß er zuletzt entzündet und erhitzet, über sich selbst zornig und dir desto holder werde. Und sollst ihm nicht nur gutes thun, sondern auch nicht eher ruhen, bis du ganz mit ihm versöhnet bist. Ob er dir es gleich nicht abbittet, sollst du doch hingehen und ihm die Hand bieten zur Versöhnung, und sollst ein freundliches Herz zu ihm tragen. Und darfst nicht sagen: er muß kommen und nur es abbitten, weil er mich beleidiget hat. O du wirst schon auch an deinem Theile Schuld sein, und ihn gereizt haben. Und wenn das auch nicht[234] wäre, so ist doch der der beste Christ, der zum ersten die Hand bietet. Es ist auch das größte Elend, daß immer keiner will Schuld haben, und einer auf den andern alles schieben. Da will denn auch keiner abbitten, sondern wartet, bis der andere kommt. Und so wird nichts daraus, so du nicht den Anfang machen willst. Auch, wenn du dich versöhnest, mußt du keinen Groll und Haß mehr im Herzen haben, sondern von Herzen vergeben. Aber da thun sie es nur mit dem Munde, und sündigen desto ärger. So du deine Gabe auf dem Altar opferst, und gedenkest, daß etc. Matth. 5, 24. Dieser Spruch will so viel: wenn du kömmst, und willst Gott dienen, beten, singen, so will er das nicht haben. Du sollst vorher dich mit deinem Nächsten versöhnen und ihm dienen. Willst du das nicht thun, so mag er auch deinen Dienst nicht. – Du mußt auch, so du dich mit deinem Nächsten versöhnet, ihm die Beleidigung nicht wieder vorrücken, sondern es ganz zu vergessen suchen. Denn das ist rechte Versöhnung. Aber nun laßt uns sehen, was thun die Rachgierigen? Ohngeachtet Gott gesagt hat: Die Rache[235] ist mein, ich will vergelten, so rächen sie sich selbst, und thun ihrem Nächsten alles zum Tort und Schaden, sprechen auch wohl: ei warte, ich will dir es schon gedenken, du sollst den Lohn von mir schon bekommen. Siehe das ist der unbändige Zorn, der in ihnen glühet und brennet, bis daß der andere zum wenigsten versenget. Aber was hast du denn davon, wenn du nun dich gerochen und dem andern Schaden gethan hast? Wird es mit dir besser, da du deine Lust gebüßet? O es wird schlimmer, dein böses Gewissen wird dich schon plagen und foltern. Und dein Feind wird auch nur schlimmer und haßt dich desto mehr. Ist Rachsucht und Unversöhnlichkeit also nicht rechte Thorheit gegen dich selbst? Nun bedenke erst Gottes Gerichte, der auch uns unsere Sünde nicht vergeben will, so wir nicht unsern Schuldigern vergeben. Das ist fürwahr ein starkes Wort, das dich rühren sollte, weil du nicht Vergebung erlangst, so du nicht andern vergiebst. Siehe wie macht es nicht der liebe Gott gegen dich. Du sündigest oft wider ihn, und verdienst alle Augenblicke Strafe und Tod.[236] Und doch hat er Geduld und Langmuth mit dir, sintemal er nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe. Solltest du es nicht auch so machen und nicht auf des Nächsten Schaden und Rache, sondern denken, daß er sich bessere? Besiehe dir auch Jesum, der nicht wieder schallt, da er gescholten wurde, nicht dräuete, da er litte. Und du kannst gewiß nicht so beleidiget und gekränkt werden, als er, der von keiner Sünde wußte, und doch ans Kreuz geschlagen wurde. Das war doch unbarmherzig genug! Wirst du so viel von andern leiden? oder so unschuldig sein? Und doch betete er noch: Vater vergieb ihnen denn etc. O so thue desgleichen, wo du ein Christ sein willst! Sonst bist du nicht des Gekreuzigten Jünger und Schüler. Du bist vielmehr den reißenden Thieren gleich, die vorne und hinten kratzen, hauen und ausschlagen, sobald man ihnen zu nahe kommt. Das würde dir eine rechte Ehre sein, wenn du ihnen gleich wärest, und nicht lieber dem Herrn Christo. Aber der war auch demüthig und nicht stolz, und die stolzen sind die rachgierigsten, die sich groß dünken, und sich[237] nichts wollen gefallen lassen, wenn es auch nur etwas kleines ist, was ihnen der Nächste thut.

Quelle:
[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 233-238.
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