Mitleiden.

[177] Es ist fein und christlich gedacht, wenn wir durch anderer Menschen Schicksal bewogen und bekümmert werden, und ich würde den für keinen Menschen, geschweige für einen Christen halten, der das nicht thun wollte. Wo wir von einem Elende hören, einen armen verunglücken sehen, so wäre es unmenschliche Lieblosigkeit, nicht gerührt zu werden. Aber das muß nicht blos in der Neigung bestehen, sondern in der Hülfe. Denn was hülfe es dem Armen, wenn du gleich mit ihm jammern und ein Klaggeschrei erheben wolltest, so du dich nicht seiner erbarmest, wo du nur kannst. Aber diese Harte des Menschen, die nicht gerührt wird, verdammet Paulus, welcher haben will,[177] daß wir mit den Weinenden weinen sollen. Und ein menschliches Herz kann es nicht lassen, es muß beweget werden, wenn es von Unglück höret. Ich habe zwar Leute getroffen, die bei anderer Leute Unglück lachten. Aber ich zweifelte schier, ob sie Menschen wären, und hätte fast gedacht, der Teufel habe menschliche Gestalt und Gliedmaßen angenommen. Es wollen zwar einige sich groß dünken, und schelten es für Zartheit und Weiberherz, wenn man bei der Menschen Unglück weine. Aber der Henker mag diesen Stolz erfunden haben. Wenn ich Leute in Jammer und Noth sehe, so gebühret mir, daß ich ein Mensch sei, und daß ich es dafür halte, was menschlich ist, daß ich solches auch an mir empfinden und haben soll. O daß hier die Ohren herhielten alle, die unbarmherzig sind, und lernten Mitleiden haben mit des andern Elend, wo sie anders Menschen sein wollen.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 177-178.
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