Werthschätzung.

[175] Gott muß viel und mancherlei Stände und Menschen haben, reiche und arme, vornehme und niedrige, schöne und häßliche, gelehrte und[175] ungelehrte, und machet es also, daß immer einer des andern bedarf und keiner den andern entrathen kann. Darum soll hier keiner auf sich allein sehen, sondern werfe ein jeder die Augen gen Himmel und spreche: Gott hat alle erschaffen, und ist vor ihm keiner der geringste, und keiner besser, denn der sich zum tiefsten herunter wirft. Welch ein unchristlich Ding ist es nun, daß darum einer den andern verachten will, weil er reicher, gelehrter und gewaltiger ist. Denn was hast du, worauf du so stolz bist? Was hast du von dir selbst? Und ist ein anderer nicht eben so wohl Gottes Creatur, als du, er sei wer er wolle. Hat er nicht eben die Erlösung? Eben die Seele? Darum muß dir jeder Mensch theuer und werth sein. Und so du jemanden verachtest, so hast du hiemit nicht einen Menschen, sondern Gottes Majestät auf dich geladen. Nimm ein Gleichniß. Wo ein weltlicher Fürst einem zu Hofe ein Amt befohlen hätte, und ein anderer ihn höhnen und schmähen wollte, da solltest du wohl sehen, ob es der Fürst von ihm leiden würde. Oder so jemand deinem Gesinde einen Hohn bewiese oder[176] beleidigte in deinen Geschäften, du würdest das wohl nicht gut aufnehmen. So fest hältst du über die Deinigen, so fest hält auch Gott über seine Creatur, und kann es nicht leiden, wenn ein Mensch, von ihm erschaffen, verachtet wird.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 175-177.
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