Gründe dazu.

[212] Wer sich des Armen erbarmet, der leihet dem Herrn etc. Das ist ein köstlicher Spruch und ein ganz besonderer Trost, daß der Schöpfer das alles so annehmen will, was wir der Creatur thun, als ob wir es ihm gethan hätten. Wenn ich mir das so recht bedenke, so möchte ich mich jedes Pfennigs wegen glücklich preisen, den ich dem Armen gäbe. Denn der gesagt hat: gebet, so wird euch gegeben, wird gewiß seinem Worte nachkommen, und denen, so seiner Vermahnung gehorchen, reichlich wieder geben. Aber auch unser eigen Herz sollte uns reizen und locken, uns der Nothdürftigen zu erbarmen. Denn sage mir nur, du der du ein Mensch bist, jammert es dich denn nicht, wenn du einen Hungrigen siehest, der gern ein Stücklein Brod haben möchte, oder einen Nackenden,[212] der zerrissen und zerlumpt geht und nichts hat, womit er seine Blöße decken kann, oder einen verklagten und unglücklichen, der um Vieh gekommen ist, Schulden bezahlen soll, für die er nichts konnte. Ich frage dich, und sprich, so du eines Menschen Zunge hast, ob du da menschlich nur denkst, so du dennoch deinen Kasten verschlossen läßt, und nichts heraus rückest. Höre einmal, besiehe dich und ihn den jammernden. Er ist Mensch wie du, und auch Gottes Creatur. Was hast du denn davon, du elende Mensch, wenn du lange gescharret und gekratzet hast, als daß du dir dein Leben sauer gemacht und mit Sünden angefüllet, auch Gottes Strafe verdienet? Siehe auf deinem Todesbette würden die Armen noch für dich beten, die du erquicket und geholfen hättest. Aber nun werden sie dich verfluchen und verwünschen, und du wirst weder im Himmel noch auf Erden Ruhe haben. Wohlan, wer hören will, der höre! – Wäre es aber nicht besser, du hättest deine Nothdurft, und gäbest von dem Ueberflusse den Dürftigen, und hättest dabei ein gut Gewissen und dazu den herrlichen Trost,[213] daß dir Gott dein weniges würde segnen und mehren. – Manche thun auch sich alles gutes, pflegen und warten sich wie die Puppen, und wenn ein Dürftiger kommt, ach da plinzeln sie die Augen zu, damit sie ihn nicht sehen, ihr Herz auch nicht gerührt und ihre Freude nicht gestört werde. O wenn sie nur einen Augenblick wüßten, wie den Nothleidenden zu Muthe wäre! Aber es wird schon auch die Zeit kommen, wo der Arme getröstet, und der Unbarmherzige gepeiniget wird. – Der liebe Gott will freilich nicht, daß wir alles weggeben und selbst des Hungers sterben sollen. Nach Vermögen, der Reiche mehr, der Aermere weniger. Aber ein recht christlich Herz muß selbst wissen und fühlen, wie viel recht ist, und kann hier kein Gesetz gegeben werden, wie viel du jedesmal geben sollst. Aber du mußt nur die Noth ansehen, und dein Herz fragen, das wird dich schon das rechte Maaß lehren was du geben sollst. Aber so viel möchte ich dir sagen: gieb lieber zu viel, als zu wenig. Beym ersten thust du dir gewiß weniger Schaden, als beim letzen. Denn die Person müßen wir ansehen.[214] Faullenzer und Müßiggänger, die man kennt, sollten gar nichts kriegen. Denn es ist wohl wahr, daß viele deine Gütigkeit schlecht gebrauchen. Aber siehe, gieb lieber zehn unwürdigen, die du für würdig hälst, denn daß du einen wahrhaft würdigen ungegeben gehen ließest. – Schöne gute Worte braucht dein Nächster nicht, sondern würkliche Hülfe, Rath und That, Brod und Geld. Siehe mit diesem allen mußt du helfen, woran es Noth thut. Denn was hilft es: wenn du sagst: »Ei lieber, du dauerst mich, gern wollte ich dir helfen.« Davon wird er nicht satt, nicht bekleidet, und kann dadurch sich nicht der Noth entreißen. Sondern du mußt ihm selbst unter die Arme greifen, auch fürbitten bei andern, daß sie etwas thun.

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[Verfasser von Luthers Leben]: D. Martin Luthers Sittenbuch. Leipzig 1794, S. 212-215.
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