6. Kapitel.

Vom Sprechen.

[30] »Den Vogel kennt man an seinen Federn,

Den Menschen an seinen Reden«.


Schön Gretchen war ein liebes Kind,

Geputzt wie die Tulpe im Beete.

Gar mancher sagte, der sie sah:

»Da kommt die hübsche Grete«.

Doch wenn sie ihren Mund aufthat,

Dann hieß es: »Pfui, wie häßlich!

Wie spricht die Grete ordinär,

Wie spricht die Grete gräßlich!«
[30]

Kind, rede niemals roh, gemein.

Sprich gut, gewählt, sprich edel, rein,

So wie du's hörst vom Lehrer.

Das ist ja gar nicht schwerer.«


Schimpfen ist gräulich,

Fluchen abscheulich.


Ein Kind, das schimpft, beschimpft sich selbst.


Schimpft dich jemand, schweige du,

Sei der Gescheitere und lache dazu.

Wenn jener ein Lümmel, ein Flegel ist,

Ist das ein Grund, daß du's auch bist?

Straf' ihn mit stiller Verachtung,

Das erwirbt dir der Klugen Achtung.
[31]

Quelle:
Adelfels, Marie von: Des Kindes Anstandsbuch. Stuttgart [1894], S. 30-32.
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