17. Brief.

[107] Lieber Wilhelm!


Ein eigenes, Deiner ganzen Aufmerksamkeit würdiges Verhältniß ist dasjenige, in welchem Du mit dem andern Geschlechte stehen wirst. Sein Einfluß auf das Wohl der menschlichen Gesellschaft ist höchst wichtig. Die Ordnung des Hauswesens, die erste Erziehung der jungen Staatsbürger, der Wohlstand, die Ehre, Zufriedenheit, das Glück der Männer, ganzer Familien hängen von ihm wesentlich ab. Es verdient daher unsere ganz besondere Aufmerksamkeit und Achtung. Der ihm eigene Charakter, das reizbare Zartgefühl, die körperliche Schwäche und [107] Weichlichkeit, die Empfänglichkeit für alle Eindrücke der äußern Gegenstände, die immer hervorstechende Eigenliebe und Eitelkeit, auch in den kleinsten Dingen, die überwiegende, nie verlöschende Neigung zu gefallen, die herrschende Liebe zum Vergnügen, die hohe Würde seiner Tugend und der große Werth der Reinheit und Regelmäßigkeit seiner Sitten, alles dieß erfordert ein eigenes Betragen gegen dasselbe. Ehrerbietung, schonende Nachsicht, zuvorkommende Gefälligkeit, Aufmerksamkeit gegen ihre Bedürfnisse und Wünsche, Theilnehmung auch an ihren Kleinigkeiten, leichte, abwechselnde, muntere, lebhafte Unterhaltung, hohe Achtung gegen die weibliche Tugend müssen Dein Betragen gegen das weibliche Geschlecht, zumal gegen den gebildetern Theil, leiten und bestimmen.

Hüte Dich daher besonders vor allen vertraulichen, familiären Manieren gegen sie, die ihre Delikatesse beleidigen, deren sich so Manche anmaßen, theils aus unüberlegter Eitelkeit, um zu zeigen, daß sie das Glück des besondern Wohlwollens der oder jener Dame besitzen, welches junge Leute sich nur gar zu leicht zueignen, theils [108] aus Rohheit und Mangel von seinem Gefühle gegen die weibliche Würde, welche nie compromittirt oder in ein falsches Licht gestellt werden darf. Es ist ferner eben so sehr gegen die den Damen schuldige Ehrerbietung, den faden, geschmacklosen Schmeichler und Lobpreiser, oder gar den zärtlichen Anbeter gegen sie zu machen, ihnen abgeschmackte Süßigkeiten und Armseligkeiten vorzuschwatzen, und sie überhaupt wie Kinder zu behandeln, denen man Zuckerbrot gibt. Damen von Verstande und Zartgefühl finden sich mit Recht durch solche Schmeicheleyen und Abgeschmacktheiten beleidiget, und verachten den plumpen Schmeichler, so wie sie desto höher den Mann schätzen, welcher sie mit gleich bescheidener Achtung behandelt, mit der möglichsten Aufmerksamkeit sie eben so geistreich als angenehm unterhält, ihnen Liebe und Ergebenheit beweist, ohne die Absicht zu zeigen, daß er Gegenliebe haben will, ihre Vorzüge mit Feinheit hervorzieht und geltend macht, zumal solche, auf welche sie einen besondern Werth legen, sich mit Anstand für ihre Kleinigkeiten interessirt, ihren Wünschen zuvorkommt, und alle kleinen Dienste und Gefälligkeiten, so weit als ihm es Ehre und Pflicht [109] erlaubt, mit der besten Art erzeigt. Ich sage: so viel als ihm Ehre und Pflicht erlaubt. Es gibt junge Leute, die sich einbilden, daß sie einer Dame nie etwas abschlagen dürfen. Dieser Irrthum stürzt sie in eine Menge Fehler und Verlegenheiten. So sehr Ungefälligkeit und Unaufmerksamkeit gegen Damen, von Rohheit und Mangel an Erziehung zeugt, so ist das blinde, übergefällige Hingeben in alle eigensinnigen Wünsche derselben entehrend für den Mann. Höhere Pflichten der Amtsgeschäfte, der häuslichen Ordnung und anderer Verbindungen, Grundsätze der Ehre und Rechtschaffenheit, gebieten oft Verweigerungen. Allein es gibt eine Art zu verweigern, die alles Harte und Beleidigende entfernt, die sogar verbindlich ist; diese muß man, so wie gegen Jedermann, gegen Damen insbesondere beobachten.

Noch eine Bemerkung will ich hier beyfügen. Du wirst an jedem größern Orte immer einige ausgezeichnete Damen finden, welche von jungen Leuten, um ihre Bildung zu befördern und zugleich in guter, anständiger Gesellschaft zu seyn, vorzüglich besuchet werden. Auch Du wirst diese [110] Besuche nicht unterlassen, und Dich so betragen, daß man Dich gerne aufnimmt und bey sich siehet. Da es aber sehr gewöhnlich ist, daß manche Damen aus Neid und Eifersucht gegen einander, sich gerne einen Anhang machen und ihre Coterie auf Kosten der andern zu vergrößern suchen, so mache Dir es zum Gesetz, nie Parthey zu nehmen, sie alle mit gleicher Achtung zu behandeln und besonders, zur Vermeidung aller Unannehmlichkeiten, Dir nie eine Art von Vertraulichkeit gegen die eine, zum Nachtheil der andern, zu erlauben und nie aus der Gesellschaft der einen der andern etwas zuzutragen; denn hier gilt die allgemeine Regel, die allgemeine Convention, die für jede Gesellschaft gemacht ist, im strengsten Sinne: was in unserer Gesellschaft gesprochen wird, darf nicht über die Schwelle kommen.


[111] ** den 21. Sept. 1802.


Quelle:
[Anonym]: Briefe über die Höflichkeit und den Anstand oder die feine Lebensart. Leipzig 1804, S. 107-112.
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