Blutrache der Malayen.

[24] Die Malayen, die sich über mehrere Inseln Ostindiens und über viele andre Länder gegen Süden und Osten verbreiten, sind außerordentlich leidenschaftlich und rachsüchtig. Keine Gefahr, keine Strafe, nichts hält sie von dem Vorsatze ab, den sie einmal gefaßt haben. Ohne Bedenken opfern sie ihr eigenes Leben auf, wenn sie nur denjenigen [24] aus dem Wege räumen können, den sie zum Gegenstande ihrer Rache gewählt haben. Ehe sie aber ein so verzweifeltes Unternehmen beginnen, nehmen sie Opium, oder, nach ihrem Ausdrucke, sie bangen sich. Bang ist eine Pflanze, deren sich die Eingebornen Indiens zum Berauschen bedienen, und von der man eine Art Opium gewinnt. Hat nun ein Malaye eine Ungerechtigkeit oder Kränkung erlitten, mag sie nun wirklich oder bloß eingebildet seyn, so bangt er sich, und thut das Gelübde, den Gegenstand seiner Rache nebst jeder andern Person, die ihm in den Weg kommt, nieder zu stoßen. Hierauf zieht er seinen vergifteten Dolch heraus, stürzt wie ein Rasender auf die Straße hinaus und stößt ohne Unterschied jeden nieder, der ihm begegnet; zugleich schreiet er aus vollem Halse: Amock, Amock! das heißt, todtschlagen, todtschlagen! woher die Europäer dieser schrecklichen Art von Rache den Namen des Amocklaufens gegeben haben. Die Wuth des Unsinnigen ist unbeschreiblich, und das Unglück, das er anrichtet, ist oft schon sehr groß, ehe ihn ein glücklicher Schuß zu Boden streckt. Die Eingebohrnen [25] fliehen in der größten Bestürzung vor ihm, und kaum wagt ihn jemand anders als ein Europäer anzugreifen. Er wehrt sich bis auf den letzten Augenblick ganz verzweifelt, und wenn er gleich schon tödtlich verwundert ist, so geht doch sein ganzes Bestreben noch dahin, seinen Gegner mit seinem vergifteten Dolche zu vernichten.

Die holländische Regierung auf der Insel Ceylon fand es für nothwendig, dieses wilde, unsinnige Betragen mit den größten Strafen zu bedrohen. Wer einen Amocklaufer tödtete oder einfing, erhielt eine Belohnung von ein bis zweihundert Reichsthalern, und diejenigen, die man lebendig fing, wurden mit den grausamsten Martern hingerichtet; allein alles dies fruchtete nichts; die Wuth der Malayen blieb, und alle grausamen Strafen waren zwecklos.

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 24-26.
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