5. Das Fest Johannis des Täufers.

[85] Es wird den 24sten Junius, als das Geburtsfest Johannis des Täufers gefeiert. Es finden sich Spuren, daß dieses Fest schon im fünften Jahrhunderte gefeiert worden ist.

Am Johannistage sind verschiedene Gebräuche üblich, die ihren Ursprung im Alterthum haben. Man pflegt Feuer anzuzünden und eine Maie mit Blumenkränzen und Bändern geziert zu errichten, um welche die Kinder tanzen. In Nordhausen war sonst dieser Gebrauch vorzüglich üblich. Man konnte nicht leicht durch eine Straße gehen, wo man nicht solche geschmückte Maien errichtet fand. Ja es war sogar eine ganze Straße von ihren Bewohnern festlich geschmückt.

[85] Sonst war es in der römischen Kirche auch üblich, daß einige junge Mädchen einen kleinen Knaben, den sie den Johannisengel nannten, hübsch ankleideten, ihn mit schönen Bändern, Kränzen und andern Zierrathen schmückten, vor ihm auf den Tisch einen Topf mit bunten Blumen, der mit Wachslichtern besetzt war, hinstellten, und um ihn herum tanzten.

In manchen Gegenden pflegen die Leute an diesem Tage einander einen Blumenstrauß aus wohlriechenden Blumen, der mit bunten Bändern zusammengebunden ist, oder in einem schönen Blumentopfe steht, zuzuschicken. Ein solcher Strauß heißt ein Johannistopf oder Johannisstrauß.

Man hat, so viel man weiß, den Ursprung dieser Gebräuche bisher nicht richtig erklärt. Man glaubt ihn in der Geburtstagsfeier der Alten zu finden, welche sie folgendermaaßen zu begehen pflegten: derjenige, der seinen Geburtstag feierte, zog ein weißes Kleid an, und opferte dem Genius, [86] dem Gotte der Geburt, Weihrauch auf einem von grünen Rasen errichteten Altare, auf welchem ein Feuer brannte und der mit Blumenkränzen geschmückt und behangen war. Er brachte diesem Gott ferner einen Kuchen zum Opfer dar2. Die Statue des Genius, in der Gestalt eines Jünglings, wurde mit Blumenkränzen behangen, und die Haare derselben mit Narden und andern wohlriechenden Salben begossen.

Das Johannisfest ist ein Geburtsfest, und die kurz vorher erzählten Gebräuche, die an demselben üblich sind, haben mit den, an der Geburtsfeier der Alten üblichen Gebräuchen, eine auffallende Aehnlichkeit. Die ersten Christen haben die an der Geburtsfeier der Alten üblichen Gebräuche entlehnt, und sie mit einiger Abänderung auf das Geburtsfest des Johannis übertragen. [87] Statt des aus grünem Rasen mit Blumenkränzen geschmückten Altars, errichteten sie eine Maie, die sie mit Kränzen, Bändern und anderen Zierrathen behingen. Die Alten zündeten ein Feuer auf dem Altare an, die ersten Christen zündeten gleichfalls an diesem Tage ein Feuer an, welches Johannisfeuer hieß. Der sogenannte Johannistopf oder Johannisstrauß, was ist das anders, als die an den Geburtstagen der Alten üblichen Kränze, womit sie sich, den Genius, und den aus Rasen errichteten Altar bekränzten; und der Johannisengel, ist der nicht offenbar der geschmückte Genius der Alten?

Quelle:
[Anonym]: Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit. Berlin 1806, S. 85-88.
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