8.


[310] Nicht ohne Bedeutung für die geselligen Beziehungen der Wiener Künstlerkreise war ein anderes Ereigniß. Elende Denuncianten bemächtigten sich des leicht zugänglichen Ohres der damaligen Sicherheitsbehörde und diese zerstörte aus mißverstandenem Diensteifer die in der Theaterwelt weit und breit bekannte Künstlergesellschaft: »Die Ludlamshöhle.«

Das Treiben in der Ludlamshöhle, die lange Dauer ihres Bestandes, die Art und Weise ihrer Aufhebung ist so bezeichnend für die damaligen Zustände Wiens, daß ich es[310] nicht für unpassend halte, ihrem Andenken einige Worte zu widmen.

Künstlergesellschaft! Was versteht man heutzutage darunter?

Mehrere Kunstfreunde, Dilettanten, unterhaltungsbedürftige Besucher öffentlicher Orte, selten oder niemals ausübende Künstler, versammeln sich zu dem Zwecke, einige Abendstunden zu verkürzen. Man verfällt auf das Auskunftsmittel, Musik zu machen. Man beginnt mit Liedern oder Vocalquartetten, bald muß ein Flügel herbei. Aber immer nur Musik? Auch andere Vorträge müssen abwechseln. Da kommen humoristische Vorlesungen à la Saphir, Gedichte ernsthafter und heiterer Gattung an die Reihe. Die fröhliche Gesellschaft will nun der ganzen Geschichte einen Namen geben, man entwirft und überreicht Statuten und constituirt sich als Künstlergesellschaft. Nun erst fällt den Gründern ein, daß es doch unterhaltender wäre, neben ihren eigenen Kräften auch einige Künstler von Beruf zuzuziehen.

Ein mitleidwürdig gehetztes Comité rafft eine Anzahl freiwilliger oder unfreiwilliger Producenten zusammen, damit zehn oder zwölf Piecen zu Stande kommen.

Man kommt, man setzt sich zum Abendessen, und beim vollen Weinglase, beim Bierkruge hat man die wunderliche Grille, Kunst und Poesie zu verzapfen.

Ein lautes, fröhliches Gespräch ist im Gange, plötzlich macht die Präsidentenglocke dem Gelächter und Geschwirre ein Ende. »Herr N. N. wird so gefällig sein, einen Act des neuen Trauerspiels von Herrn X. vorzulesen.«[311]

Mühsam glätten sich die zum Lachen verzogenen Muskeln der eben noch so lustigen Gesellschaft; vom letzten Trunke klirren Gläser und Krüge; die Eßbestecke werden klappernd weggelegt, und nun soll die Tragödienstimmung fertig sein.

Aber, o weh! A. hat gerade eine warme Fleischspeise erhalten, er kann nicht warten; der frische Trunk des B. droht matt zu werden. Dieses Opfer kann weder der vaterländische Dichter noch der heimische Mime begehren.

Nun wird während der Production gegessen und getrunken. Eben will der Held des Trauerspieles eine erschütternde Rede halten, da fällt ein Besteck klappernd vom Tische; Lisbeth ist im Begriffe, das schüchterne Bekenntniß ihrer Liebe an Kurt's Brust zu flüstern, da entsteht ein Tumult, ein Bierkrug ward umgestoßen und verschüttet den braunen Göttertrank auf die Beinkleider des Nachbars. Flüstern, Kichern, halblaute Wechselworte begleiten den verunglückten Redner. Wo soll da ein Eindruck herkommen?

Es ist Damenabend. Man trägt ein Musikstück vor. Ja wenn es Walzer oder Polka tremblante wäre! Das Comité hat nämlich am Schlusse der Production ein Tänzchen in Aussicht gestellt. Gott, wie lang dauert heute jeder Gesang, jedes Gedicht! Man thut am besten, gar nicht darauf zu hören und sich unterdessen für Française und Cotillon zu engagiren.

Wer erinnert sich bei diesem Kunstverschleiße bei Bier und Käse nicht an Saphir's ergötzliches Genrebild: »Don Carlos mit Butter«?

Wer ein gutes oder schlechtes Gedicht kennen lernen will, der setze sich in sein einsames Zimmer und lese es aufmerksam[312] durch; wer einen declamatorischen Vortrag oder ein musikalisches Kunstwerk genießen will, der besuche ein Concert; wer sich an einem Drama erfreuen will, der wandere in das Theater. Durch die Absicht, durch Toilette, durch den Gang bereitet man sich vor, man sammelt sich und widmet sich ausschließlich dem Gegenstande.

Eine Künstlergesellschaft, die sich in einem öffentlichen Locale versammelt, um Speise und Trank zu sich zu nehmen, kann nebst Befriedigung dieser Lebensnothdurft vernünftigerweise nur einen Zweck haben: Persönlichkeiten, die sich durch Beruf und Gesinnung verwandt und im Uebrigen durch Lebensverhältnisse geschieden sind, von Zeit zu Zeit zu einem geselligen Zirkel zu vereinigen, um sich in heiterer Stimmung zu begrüßen, und über Erlebtes oder Erträumtes Gedanken auszutauschen. Hier ist der Scherz, der Humor am Platze. Es mag sich ausnahmsweise einmal die Stimmung vorfinden, um ein neu erschienenes Gedicht oder ein Musikstück anzuhören; allein Wirthshausconcert und ermüdende Vorlesungen als Zweck scheinen mir vom Uebel, und haben vor Allem weder künstlerischen Werth, noch eine künstlerische Wirkung.

Diese ausschließliche Färbung einer heitern Tischgesellschaft hatte die Gesellschaft der Ludlamshöhle.

Aus einem kleinen Cirkel, ursprünglich ganz ohne bestimmte Formen, bildete sich um die Mitte des zweiten Decenniums die Idee eines heiteren Künstlerclubbs, wozu die Ludlamshöhle aus Oehlenschläger's eben erschienenem »Aladdin« den zufälligen Namen beisteuerte.

Was der Kunst angehörte durch Beruf oder Liebe und[313] der Gesellschaft sympathisch war, versammelte sich Abends in dem ehemals Haidvogel'schen, jetzt Reisenleithner'schen Gasthauslocale im Schlossergäßchen.

Geist und Witz der Versammelten fanden bald für passend, ihrem Zirkel eine kennbare und exclusive Gestalt zu geben. Die Ludlamiten wurden in zwei Kategorien geschieden: in Körper und Schatten, welche übrigens ganz gleiche Rechte besaßen. Denn der Ausdruck »Schatten« diente nur dazu, über ein solches Schattenmitglied witzige Glossen zu machen, daß er nämlich für die Auszeichnung der Körperschaft noch nicht reif sei u. dgl. Ueber die Aufnahme eines Mitgliedes entschied Ballotage in Gegenwart des Betreffenden.

Nicht lange währte es, so schuf der Witz für Körper und Schatten, zur Unterscheidung von anderen niederen Erdenkindern, Spitznamen, die mitunter höchst ergötzlich lauteten. Einige sind mir im Gedächtnisse geblieben. Grillparzer als Dichter der Sappho hieß »Sapphocles«, Castelli erhielt den Namen »Cif-Charon, der Höllenzole.«

Er schrieb sich nämlich C. I. F. Castelli, und weil er so viele wässerige französische Blüetten übersetzte, wurde er nach dem den Lethe übersetzenden Fährmanne des Todtenreiches, Cif-Charon getauft. Den zweiten Beinamen erwarb ihm die genaue Bekanntschaft mit zweideutigen und unfläthigen Anecdoten und seine Neigung, dieselben in jeder Gesellschaft freigebigst mitzutheilen. In Männergesellschaft wirkte er mitunter sehr ergötzlich.

Der Hofschauspieler Kettel, der ihm in letzterer Beziehung nacheiferte, hieß »der Zoteninfant«.[314]

Wilhelm von Marsano hieß Punjavez Osfagott, weil er in Prag lebte, und wegen der Fertigkeit, die Töne des Fagotts mit dem Munde nachzuahmen.

Ignaz Jeitteles, der geschätzte Aesthetiker, dessen geistreicher Witz gewöhnlich in bizarren und mystischen Floskeln sich bewegte, hieß »der Unbegreifliche«.

Hassaurek, Kaufmann und später Schriftsteller, war »der ewige Schatten«, weil seine unverzeihlich boshafte Ader ihn von der Körperschaft ausschloß. Heinrich Sichrowsky, dessen scharfer Witz kein Gespräch uncommentirt ließ, wurde Plumper getauft, nach der Hauptfigur in dem alten Lustspiele »Er mengt sich in Alles.«

Rechtsconsulent ***, weil er über einen Graben am Lande einen Steg hergestellt hatte, hieß »Pontifex«.

Ich selbst wurde für meine als gelungen bezeichnete Darstellung des älteren Chorführers in der »Braut von Messina« zu Ludlams Chorführer erlesen.

So oft nämlich ein schlechter Witz unterlief, verwarf ihn Ludlam durch einen Tusch fagottähnlicher Laute, worauf der Ruf erscholl: »Chorführer! das Ludlamslied anstimmen!«

Alsbald mußte ich den rhythmischen Ton angeben für den Chor: », O Hansewurste! o Hansewurste! Du dummer Mensch! was sprichst du da?« Weil aber Ludlam stolz darauf war, daß in ihr nur der Unsinn herrschte, so hieß ich nach einem Verrückten »Lear, Ludlams Chorführer«.

Hatte ein Mitglied einen unverzeihlichen Fehler begangen, so war er gestorben und hörte auf Mitglied zu sein.

Wenn aber der Sünder Reue bezeigte, und nicht Ruhe[315] im Tode hatte, so sprach Ludlam: »Ludlam kann Alles, also auch Todte erwecken,« und der Begnadigte wurde wieder aufgenommen.

Der Hofschauspieler Schwarz geizte darnach, in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Da sehr Viele dagegen stimmten, so wurde auf ein Mittel gesonnen, ihm die Abneigung der Gesellschaft durch die Blume auszusprechen.

Es wurde ihm eröffnet, daß die Ludlam ein Titularoberhaupt, einen Kalifen, zu ernennen beschlossen habe, welcher die Höhle in ihren Angelegenheiten nach außen zu vertreten, sonst aber gar nichts dreinzureden habe. Man würde ihm diesen einzigen vacanten Posten anbieten; da aber hierzu zwei Eigenschaf ten erforderlich seien (der Kalife der Höhle müsse nämlich dumm sein und eine Tochter haben), so könne man ihn hierzu nicht einladen.

Man glaubte nun die Ablehnung deutlich genug bezeichnet zu haben. Aber Schwarz, der nun einmal um jeden Preis Ludlamite werden wollte, bekannte sich lachend zu beiden Eigenschaften. Er wurde erwählt. Er rauchte stark Tabak und liebte seine Cigarren.

So bestieg er denn als Rauchmar der Cigaringer, Kalif der Ludlamshöhle, den Thron.

Mit Rücksicht auf seinen Namen und auf sein kupferiges Gesicht wurde Alles, was auf die Ludlam Bezug nahm, durch die Regentenfarben: Schwarz und Roth bezeichnet, und der Literat Hassaurek begann gleich mit der Erwählung des Kalifen die Redaction der Trattnerhofzeitung (Schwarz wohnte im Trattnerhofe).[316]

Außer den Genannten gehörten zur Ludlam auch Zedlitz, Deinhardstein, Kuffner, Witthauer, Salieri, Gyrowetz, Weigl und Andere.

Saphir's Aufnahme wurde wegen des bösartigen Mundwerkes und wegen seiner vielen öffentlichen Scandale immer verschoben. So oft seine Beiziehung discutirt wurde, votirte Kuffner jedesmal mit Stentorstimme: »Nie!«

Daß in diesem Kreise Scherz und Witz in der geistreichsten Weise ausgebeutet wurden, versteht sich von selbst.

Im Archiv der Ludlam sammelte sich die ergötzlichste Literatur in schriftstellerischer und musikalischer Beziehung.

Castelli schrieb eine Oper: »Wahnsinn und Stockfischfang,« die Salieri componirte und worin ein Chor der Sardellen von der unwiderstehlichsten musikalischen Wirkung war; da erinnere ich mich eines einactigen Trauerspieles in Hexametern, dessen Verfasser mir leider entfallen ist, und Zedlitz lieferte eine sentimentale Novelle als Caricatur auf Clauren, Houwald und Genossen, die Alles, nur nicht Vergessenheit verdient hätte.

Die belustigenden Anecdoten aus der Ludlam sind Legion. Der größte Theil ist natürlich meinem achtzigjährigen Gedächtnisse entschwunden, auch gestattet mir der Zweck dieser Blätter nicht, mich bei einem einzelnen Gegenstande zu sehr in Weitläufigkeiten zu verlieren. Nur ein paar dieser schnurrigen Vorfälle will ich hier folgen lassen.

Der Kalif Rauchmar war bescheiden genug, die geistige Ueberlegenheit der Majorität unter den Großen seiner Höhle zu empfinden und anzuerkennen. Um sich der Gesellschaft nützlich[317] und angenehm zu machen, verfiel er auf ein ungewöhnliches Mittel. Er hatte nämlich die seltene Resignation, sich zum Gegenstande der freien Belustigung für die Gesellschaft herzugeben, ja er ging in seiner harmlosen Selbstverläugnung so weit, daß er den Spott auf jede Weise herausforderte. Es war ihm so zu sagen nicht wohl, wenn er eine Zeit lang nicht das Stichblatt des Witzes war. Diese collegiale Hingebung wurde natürlich bis zur äußersten Grenze ausgebeutet und das Kalifat Gegenstand der groteskesten Scherze.

Theaterdirector Stöger hatte einst aus Graz der Ludlam vier steirische Kapaunen als Geschenk gesendet. Zwei davon wurden in der nächsten Samstagversammlung verzehrt, die übriggebliebenen wurden dem Kalifen zur Aufbewahrung anvertraut. Zur zweiten Samstagsitzung wurden sie gefordert.

Schwarz avisirte seine Köchin, die ihm aber eröffnete, daß die armen Geschöpfe in Fäulniß übergegangen und von ihr weggeworfen worden seien.

»Herr Gott, das glaubt mir Niemand in der Ludlam,« versetzte Schwarz, »Jeder wird schwören, daß ich sie gegessen habe.«

Er war bekannt als starker und feinschmeckender Esser.

»Geschwind,« lautete sein Küchenbefehl, »die besten und größten Hühner kaufen und am Samstag braten.«

Es geschah, aber Ludlam roch den Braten und obgleich Keiner in der Gesellschaft den richtigen Naturproceß an den Kapaunen bezweifelte, so brachte doch die nächste Nummer der Trattnerhofzeitung folgenden Artikel im amtlichen Theile:[318] (Standeserhöhungen.) Seine Rauchheit, der Kalif, haben geruht, zwei alte Hühner zu steirischen Kapaunen allergnädigst zu ernennen.

Eine der letzten Unterhaltungen war eine Feier des Geburtsfestes des Kalifen.

Zu diesem Zwecke wurde die Stube schwarz und roth decorirt; ein mächtiger Indian wurde gebraten, mit schwarzrothen Schleifen aufgeputzt und auf einem Papierzettel stand der Name: »Musafferi,« eine Rolle aus Kotzebue's: »Indianer in England,« welche Schwarz seit langen Jahren spielte.

Auf die Nachricht dieser Vorbereitungen hatte Schwarz sich die Ueberraschung ausgedacht, in pomphaftem orientalischen Costüme zu erscheinen. Die sichere Erwartung des köstlichen Eindruckes hatte ihn jedoch so entzückt, daß er es nicht über sich gewinnen konnte, über seinen Vorsatz reinen Mund zu halten und als er am bestimmten Abend mit der sichtbarsten Selbstbefriedigung die Stubenthür öffnete, fand er die ganze Ludlam in türkischem Costüme. Natürlich empfing ihn ein schallendes Gelächter.

Als sich die Gesellschaft am letzten Abend trennte, wurde bestimmt, wegen Abreise eines Mitgliedes die nächste Versammlung auf Freitag vorzuschieben.

Da in der Ludlam Alles in mystischer und ungewöhnlicher Form ausgedrückt zu werden pflegte, so wurde denn auch diese Veränderung auf der großen schwarzen Ankündigungstafel mit den lakonischen Worten eingekreidet: »Freitag ist Samstag.«

Aber die Ludlam sollte diesen Freitag nicht erleben.[319]

Seit Enthüllung der Carbonariverschwörung in Italien bedurfte es in Wien für die damalige Polizei nur weniger Anhaltspuncte, um gewaltthätig in das Leben der Gesellschaft einzugreifen.

Offenbar hatte ein böswilliger Denunciant (man glaubte allgemein, ein kurz zuvor ausgeschlossenes Mitglied der Gesellschaft) die Ludlamshöhle als eine geheime und gefährliche Gesellschaft geschildert.

Die Polizeiorgane drangen unerwartet in das Zimmer der Ludlamgesellschaft; alle Geräthschaften, Abzeichen und Schriften des Künstlerzirkels wurden mit Beschlag belegt, die schwarze Tafel aber mit der geheimnißvollen Floskel: »Freitag ist Samstag« trug ein Polizeidiener auf dem Kopfe hinweg, damit ja nichts verwischt werde.

Die Polizei war inducirt worden, es handle sich um eine weitverzweigte Verschwörung, um geheime politische und religiöse Verbindungen bis nach Indien, ja möglicherweise um den Umsturz der Religion u. dgl. Absurditäten.

Das Halsgericht wurde eröffnet, aber zu unserem Glücke weder unter dem Vorsitze spanischer Inquisitoren, noch nach den Bestimmungen der peinlichen Gerichtsordnung Carls V., sondern durch menschenfreundliche Leute, die die Wichtigkeit der Sache sehr bald in Zweifel zogen.

Die Mitglieder der Ludlam wurden einzeln citirt und verhört und bei den Schriftstellern zum Theile Hausdurchsuchung angeordnet.

Bei Zedlitz, der im Bette zu frühstücken und sogar ein paar Stunden zu arbeiten pflegte, wurden eines Morgens[320] zwei fremde Herren gemeldet. Er läßt sie eintreten und erfährt, daß man seine Wohnung durchsuchen wolle.

Zedlitz springt aus dem Bette und ruft: »Polizei? Bei mir? Ich bin k. k. Officier (er hatte mit Charakter quittirt), ich unterstehe der Militär-Jurisdiction, ich fordere ein Kriegsgericht. Hinaus!«

Ein Kriegsgericht wegen der Ludlam, das war allerdings komisch und die Polizeiorgane mußten sich entfernen, ohne etwas auszurichten.

Jeitteles, eine sehr sarkastische Natur, bemerkte beim Verhör, er wisse gar nichts mehr von der Gesellschaft, die er schon seit längerer Zeit nicht besucht habe.

»Weshalb sind Sie ausgeblieben?«

»Ich habe eine Schlechtigkeit entdeckt.«

»Was für eine Schlechtigkeit?«

»Das sage ich nicht, ich will Niemandem schaden.«

»Sie müssen reden, die Polizei ist berufen, Alles zu erfahren und man wird Sie zwingen, Alles zu entdecken. Was ist das für eine Schlechtigkeit?«

»Ich muß also wirklich bekennen?«

»Augenblicklich! Welche Schlechtigkeit hat Sie aus der Ludlamsgesellschaft vertrieben?«

Nun glaubte man die ganze Verschwörungsgeschichte zu Tage zu bringen.

»Das Bier war nicht mehr zu genießen,« schloß Jeitteles mit dem größten Ernste. »Ich wollte dem Wirthe in seinem Gewerbe nicht schaden. Machen Sie daher keinen weiteren Gebrauch von meiner Mittheilung.«[321]

Schwarz wurde befragt, wie er dazu gekommen sei, Kalif der Ludlam zu werden.

»Man ließ mich nur unter dieser Bedingung eintreten.«

»Warum machte man gerade Sie zum Kalifen?«

»Weil ich mich freiwillig zu den geforderten Eigenschaften bekannte.«

»Sie wurden einmal von dieser Charge enthoben.«

»Ja, für einige Abende, während welcher Theaterdirector Bethmann zum Kalifen gewählt wurde.«

»Was war die Veranlassung zu der Wahl des Letzteren?«

»Herr Bethmann hatte die unglückliche Idee, die Direction des bankerottgewordenen Königstädter Theaters in Berlin zu übernehmen. Die Ludlam glaubte daraus zu entnehmen, daß er die erste Eigenschaft des Kalifen in dem vorzüglichsten Grade besitze, und da ihm die zweite Eigenschaft, Vater einer Tochter zu sein, fehlte, so wurde ihm zur Pflicht gemacht, diese Tochter nachzuliefern.«

Das ganze Kanzleipersonal brach in Lachen aus.

»Was haben die Bundesfarben schwarz und roth zu bedeuten?«

Schwarz zeigte auf seine rothe Nase.

»Sehen Sie mich an, meine Herren! Schwarz ist roth und roth ist Schwarz.«

»Man weiß von einer Verbindung mit dem Orient. Bei einem Feste der Ludlam soll dies symbolisch durch einen Indian und durch das Wort ›Musafferi‹ angedeutet worden sein.«

»Meine Herren, ich glaube, man hat sich mit der hohen Behörde einen unanständigen Scherz erlaubt. Die Gesellschaft feierte den Geburtstag ihres Kalifen und weil nach ihrer Ansicht[322] der Indianer Mussafferi in Kotzebue's ›Indianer in England‹ eine meiner schlechtesten Rollen sein soll, wollte man mir das durch die Blume zu verstehen geben.«

»Aber die Tafel mit den Worten: ›Freitag ist Samstag?‹«

»Die gewöhnliche Samstaggesellschaft sollte wegen Abreise eines Mitgliedes auf Freitag vorgeschoben werden, was auf diese scherzhafte Weise bekannt gegeben wurde.«

»Das kann nicht sein!«

»Geben Sie sich keine Mühe, meine Herren, Sie bringen nichts Schlimmeres heraus.«

Die Polizei erkannte allmälig, daß sie selbst dupirt worden war und daß sie sich übereilt hatte.

Als ich vorgerufen wurde, behandelte man die Sache nur noch als eine Formalität.

Ich wurde gefragt, wann und wo ich zuerst von der Ludlamgesellschaft Kenntniß erlangt hätte?

»In Breslau, meine Herren, vor ungefähr zehn Jahren.«

»Unmöglich! so lange kennt man die Gesellschaft nicht einmal hier.«

»Das setzt mich nicht Erstaunen, desto besser kannte man die Ludlamshöhle in Künstlerkreisen. In Breslau kannte man die hervorragendsten Persönlichkeiten der Gesellschaft und den Zweck ihrer Vereinigung.«

»Was ist das für ein Zweck?«

»Zerstreuung durch Unterhaltung, Erheiterung durch geistreichen Scherz, Erleichterung der Verdauung durch Lachen.«

»Es ist aber doch rein unmöglich, daß so viele geistreiche Männer zusammenkommen, bloß um dummes Zeug zu treiben.«[323]

»Duo si faciunt idem, non est idem

Ich wurde entlassen.

Die Untersuchung wurde nunmehr eingestellt. Die Schriften der Ludlam blieben confiscirt, dagegen wurde der Gesellschaft gestattet, sich in Anwesenheit eines Polizeicommissärs wieder zu versammeln. Dafür wurde jedoch mit dem Bemerken gedankt, daß wohl der Commissär kommen könne, die Gesellschaft aber werde ausbleiben.

Und sie blieb aus. Wo eine zerstörende Gewalt gehaust hat, da findet sich die alte Pflanzung nicht wieder. Derselbe heitere, unbefangene Sinn hätte sich gewiß nie wieder eingestellt und es ist auch das ein Beweis für den richtigen Tact der Ludlamiten, daß sie sprachen: »Requiescat in pace!« und nicht ein Scheinleben an der Stelle des frischen, freien, fröhlichen Geisteslebens führen wollten. Requiescat in pace!


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 310-324.
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