Friedrich Albert Lange

[91] Infolge meiner Mitgliedschaft im ständigen Ausschuß kam ich mit Friedrich Albert Lange in näheren persönlichen und schriftlichen Verkehr. Lange, eine untersetzte und kräftige Figur, war eine äußerst sympathische Erscheinung. Er hatte prächtige Augen und war einer der liebenswürdigsten Menschen, die ich kennengelernt habe, der auf den ersten Blick die Herzen eroberte. Dabei war er ein Mann von festem Charakter, der aufrecht durchs Leben ging, den Maßregelungen nicht beugten. Und sie blieben ihm nicht erspart, als er offen für die Arbeiter eintrat. Er war sehr bald einer der »Geächteten« und »Isolierten« in der Industriestadt Duisburg. Zwischen uns und den Lassalleanern nahm er eine vermittelnde Stellung ein, wie sein Januar 1865 erschienenes Buch »Arbeiterfrage« zeigt. Wenn in der später erschienenen Auflage desselben sein Standpunkt mehr nach rechts geht, wie ihm auch von Kritikern seiner Geschichte des Materialismus nachgesagt wird, daß er darin zum Metaphysischen neige, so betrachte ich dieses als die Folgen eines langen und schweren körperlichen Leidens, dem er leider zu früh erlag.

Lange stand im ständigen Ausschuß stets auf der linken Seite und drängte nach links. Mir erwies er zu jener Zeit einen großen persönlichen Dienst aus rein sachlichen Gründen. Wir in Leipzig waren, wie ich schon andeutete, mit der »Allgemeinen Deutschen Arbeiterzeitung« in Konflikt gekommen. Die Stellungnahme des Blattes gegen die Abhaltung des Vereinstags in Leipzig hatte begreiflicherweise bei uns verschnupft.

Bei der Redaktion der »Arbeiterzeitung« war, wahrscheinlich auf Einbläsereien aus Leipzig, der Glaube entstanden, wir wollten das Blatt untergraben, und ich sei Beustianer. Das war ein starkes Stück. Ich war im Gegenteil stets für das Blatt eingetreten und hatte seine Verbreitung gefördert. Auch im ständigen Ausschuß, in dem Gegner der Koburger »Arbeiterzeitung« saßen, trat ich für dieselbe ein und befürwortete ein günstiges Abkommen mit dem Verleger. Als aber die Koburger »Arbeiterzeitung« mit ihren Angriffen gegen mich fortfuhr, sandte ich ihr eine gepfefferte Erklärung, aus der sie nur abdruckte, daß ich mich als einen unerbittlichen Gegner der Beustschen Mißwirtschaft bekannt habe.

Dieser Streit veranlaßte den ständigen Ausschuß, Lange mit der Abfassung eines Berichtes zu betrauen, in dem er mich warm verteidigte und meine Haltung rechtfertigte. Immerhin hatte die »Arbeiterzeitung« erreicht, daß, als wir am 30. Juli 1865 in Glauchau eine Landesversammlung[92] hielten, ich bei der Wahl zum Delegierten für den Stuttgarter Vereinstag mit einer Stimme, die ich weniger hatte als mein Gegenkandidat, unterlag. Als ich nachher meinen Standpunkt in bezug auf die »Arbeiterzeitung« darlegte, erklärte eine Anzahl Delegierter, daß sie nunmehr die Sache anders ansähen. Die »Arbeiterzeitung« hat mir denn auch später volle Genugtuung gegeben, sie sei falsch berichtet gewesen. Streit selbst entschuldigte sich auf dem Stuttgarter Vereinstag persönlich bei mir.

Die Ereignisse des Jahres 1866 – auf die ich später zu sprechen komme – und die Stellung, die Lange zu denselben einnahm, machten ihn in Duisburg, wo er Handelskammersekretär war, unmöglich. Er ließ sein Blättchen »Der Bote vom Niederrhein« eingehen und folgte einer Einladung seines Freundes Bleuler zur Übersiedlung nach Winterthur in der Schweiz. Dort trat er in die Redaktion von Bleulers Blatt »Der Winterthurer Landbote« ein. Bleuler war einer der Führer der radikalen Demokratie im Kanton Zürich. Um jene Zeit begann die Agitation für eine Reform der rückständigen Verfassung des Kantons. Bleuler, Lange und der junge Reinhold Rüegg, der spätere Mitbegründer der »Züricher Post«, traten mit Gleichgesinnten in eine umfassende Agitation für eine demokratische Verfassungsreform ein und sahen im Jahre 1868 ihre Arbeit mit Erfolg gekrönt. Langes Einfluß ist es geschuldet, daß in die neue Verfassung folgender Artikel 23 aufgenommen wurde: »Der Staat stützt und fördert auf dem Wege der Gesetzgebung das geistige und leibliche Wohl der arbeitenden Klassen und die Entwicklung des Genossenschaftswesens.«

Wie ich dann Sommer 1868 noch einmal mit Lange in briefliche Verbindung trat, indem ich ihn im Namen des Vorortsvorstandes der Arbeitervereine, dessen Vorsitzender ich mittlerweile geworden war, einlud, ein Referat über die Wehrfrage auf dem Vereinstag zu Nürnberg zu übernehmen, berichte ich an anderer Stelle. Lange lehnte die Einladung ab, und der Nürnberger Vereinstag fand ohne ihn statt. Ich sah ihn überhaupt nicht mehr wieder, auch hörten meine brieflichen Beziehungen zu ihm auf. Ende Oktober 1870 wurde Lange zum Professor an der Universität Zürich ernannt. Als ihn dann 1872 der liberale Kultusminister Falk als Professor nach Marburg berief, versuchte Zürich vergeblich, ihn festzuhalten. Der Zug nach dem Heimatland, der namentlich bei seiner Gattin sehr lebhaft war, siegte. Aber bereits am 23. November 1875 erlag er, erst 47 Jahre alt, seinem langjährigen Leiden. Mit Lange hatte einer unserer Besten aufgehört zu leben.

Quelle:
Bebel, August: Aus meinem Leben. Band 1. Berlin 1946, S. 91-93.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Aus meinem Leben
Aus meinem Leben
Aus meinem Leben
Aus meinem Leben. Erster Teil
Aus meinem Leben. Zweiter Teil
Aus meinem Leben. Zweiter Teil