Im Leipziger Gefängnis und was währenddem geschah

[329] Die Muße im Gefängnis benutzte ich, um unter anderem im »Vorwärts« einen Artikel für die Gründung einer allgemeinen Parteibibliothek (Archiv) Stimmung zu machen. Die Ereignisse der nächsten Monate verhinderten, den Plan weiter zu verfolgen. Ich habe dann den Gedanken später im Züricher »Sozialdemokrat« aufs neue angeregt und jetzt nahm sich der Parteigenosse Schlüter, der in der Buchhandlung des »Sozialdemokrat« beschäftigt war, der Ausführung des Gedankens an. Die Gründung des Parteiarchivs erfolgte.

Des weiteren arbeitete ich an der Vollendung meines Buches »Die Frau und der Sozialismus«, das im folgenden Jahre in der ersten Auflage erscheinen konnte. Auch schrieb ich ein Broschürchen »Das Reichsgesundheitsamt und sein Programm«, in dem ich die sozialhygienischen Aufgaben erörterte, die nach meiner Ansicht das Reichsgesundheitsamt lösen müsse, wolle es seinem Namen und seiner Stellung gerecht werden.

Meine diesmalige Leipziger Haft gab mir auch die Gelegenheit, einem Teil meiner Mitgefangenen zu einer kleinen Verbesserung ihrer Lage zu verhelfen. Zu jener Zeit hatte noch die Oberleitung im Gefängnis ein alter Inspektor, von dem die Sage ging, daß er in seiner Stellung ein reicher Mann geworden sei dadurch, daß er den Gefangenen, die im Besitz von Geld waren, Eßwaren und Getränke zu einem Preise verkaufte, der ihm einen hohen Nutzen abwarf. Weiter erfuhr ich in der Privatunterhaltung mit meinem Aufseher, der froh war, wenn ich mit ihm eine Weile plauderte, daß der Inspektor auch nach anderer Richtung sich an den Gefangenen verging. So sparte er an Handtüchern und Seife, mit denen die Gefangenen doppelt so lange aushalten mußten, als vorgeschrieben war. Die Gefangenen erhielten ihr Mittagessen in Steinkrügen. Daß ab und zu einer derselben zerbrach, war selbstverständlich. Der Inspektor sorgte aber nicht für Ersatz, sondern ein Teil der Gefangenen mußte warten bis der andere Teil gegessen hatte, und dann wurde die mittlerweile kalt gewordene Speise in den unausgewaschenen Krügen dem anderen Teil überreicht.

Diese Mitteilungen erregten meinen Zorn. Ich faßte nunmehr einen Plan, um dem Inspektor sein Treiben zu legen. Ich setzte mich hin und schrieb eine Beschwerde an den Direktor des Gerichts, dem damals die Oberaufsicht über das Gefängnis oblag, worin ich die ganzen ungehörigen Vorgänge schilderte, aber in der Rolle eines Mannes, der eben als Gefangener das Gefängnis verlassen und die Ungehörigkeiten des Inspektors[330] am eigenen Leibe zu spüren bekommen habe, denn ich wurde ja davon nicht betroffen. Natürlich mußte dieses Schreiben anonym abgehen.

Als meine Frau mir ihren nächsten Besuch machte, der nur in Gegenwart des Inspektors stattfinden konnte, drückte ich ihr heimlich einen Zettel in die Hand, in der ich sie bat, an einem bestimmten Abend Punkt 1/210 Uhr durch die Straße zu gehen, nach der mein Zellenfenster mündete, ich würde ihr alsdann einen Brief hinunterwerfen, den sie von unbekannter Hand solle abschreiben lassen und an den Gerichtsdirektor senden. So geschah es. Als meine Frau mit ihrem Töchterchen auf der Straße erschien, warf ich ihr aus dem dritten Stock das ziemlich stark gewordene Briefpaket hinunter, das bei der Stille in der Straße mit großem Geräusch auf das Pflaster klatschte. Meine Frau hob eilig das Paket auf und eilte fluchtartig mit ihrem Töchterchen von dannen, sie glaubten einen Mann hinter sich kommen zu hören und befürchteten, sie würden verfolgt. Einige Tage später stürzte der Aufseher in großer Aufregung in meine Zelle und erzählte, den Vormittag habe es zwischen dem Direktor und dem Inspektor einen heftigen Auftritt gegeben. Der Alte – wie er den Inspektor bezeichnete – sei zum Direktor befohlen worden und dieser habe ihm aus einem Briefe, den ein entlassener Gefangener geschrieben habe, alle seine Sünden vorgerückt und ihm furchtbar den Marsch geblasen. Der Alte sei ganz aufgeregt zu ihnen, den Aufsehern, gekommen und habe sofort Order für Abstellung der Übelstände gegeben. Der Aufseher erzählte mir das mit großer Genugtuung, selbstverständlich hütete ich mich, ihn merken zu lassen, wer der Briefschreiber gewesen war.


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Anfang Mai veröffentlichte das Zentralwahlkomitee einen Aufruf für die Abhaltung eines Sozialistenkongresses, der in der Zeit vom 15. bis 18. Juni abermals in Gotha stattfinden sollte. Unter den Punkten der Tagesordnung befand sich als Punkt 3: Beratung über die Stellung der Sozialdemokratie zum Staats-und Gemeindebetrieb, für den ich mit Rittinghausen als Berichterstatter angemeldet wurde. Den Anstoß zu diesem Beratungspunkt gab der Bismarcksche Plan, die Eisenbahnen in Reichsbesitz zu bringen, ferner das Tabakmonopol einzuführen, ein Plan, der damals zwar noch nicht öffentlich erörtert worden war, aber es war durchgesickert, daß in den Verhandlungen Bismarcks mit Herrn v. Bennigsen das Tabakmonopol eine Rolle gespielt habe. Auch hatte unser Parteigenosse Rittinghausen sich für die Verstaatlichung des Versicherungswesens öffentlich ausgesprochen und damit in der Partei nicht überall Zustimmung gefunden.[331]

Der geplante Kongreß kam aber nicht mehr zur Ausführung, die eintretenden Ereignisse machten ihn unmöglich.

Quelle:
Bebel, August: Aus meinem Leben. Band 2. Berlin 1946, S. 329-332.
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