Die Wohnung und ihre Einrichtung.

[7] Der erste Eindruck entscheidet gar oft sogleich für immer, auch bei denen, denen wir unser Heim zum ersten Male öffnen, und es ist die Pflicht eines jeden, nach Möglichkeit dahin zu streben, daß diese Entscheidung günstig sei.

Darum vergesse niemand, daß es gewisse Gesetze gibt, deren Befolgung wir auch in unserer engsten Zurückgezogenheit[7] nicht verabsäumen dürfen. Es ist grundfalsch, sich über die von der guten Lebensart vorgeschriebenen Regeln im eigenen Heim hinwegzusetzen und jeden Zwang des sogenannten ›guten Tones‹ abzustreifen. Die Gewohnheit, des Menschen Amme, muß ihre Wirkungen auch dort in einer harmonischen, das Schöne nicht verletzenden Weise ausüben und wer in den eigenen vier Wänden sich bemüht hat, die Gesetze des Anstandes zu achten, wird auch im Verkehr außerhalb keinen Verstoß gegen diese begehen.

Wir sagten oben, daß der erste Eindruck oft für immer entscheidend sei; darum muß schon der Eingang zu unseren Wohnräumen stets sauber gehalten, die Teppiche, falls solche den Fußboden bedecken, müssen geklopft und gebürstet sein, und es ist dringend geboten, darauf zu achten, daß die mit der Reinigung dieser Gegenstände betraute Dienerschaft ihre Schuldigkeit auch in dieser Hinsicht tut.

Beim Eintritt in die Zimmer erhält der Fremde einen Einblick in die Lebensverhältnisse dessen, den er besucht, und es ist die Pflicht eines jeden, daß er keine falschen Vorstellungen über seine Lage durch die Einrichtung seiner Wohnung hervorruft! Wem die Mittel es verbieten, Prunk zu entfalten, der halte seine Wohnung einfach und bescheiden – aber stets reinlich; wer in der Lage ist, Kunstgegenstände sich anzuschaffen, beweise dabei guten Geschmack und geläuterten Kunstsinn. Die Hauptsache bleibt, daß jede Wohnung, sie sei reich oder nur einfach ausgestattet, dem Fremden die Meinung beizubringen vermag, er befinde sich bei Menschen von guter Lebensart, mit denen zu verkehren stets angenehm sei.

Meist wird aus dem Äußeren der Zimmereinrichtungen ganz besonders der Geist der Herrin des Hauses zu dem Besucher reden, und welche Frau wird nicht wünschen, sich von einer vorteilhaften Seite zu zeigen?

Für den, dem es seine Mittel gestatten, eine größere Wohnung zu halten, tritt ein zweites Gebot der guten Sitte in Kraft, und dieses lautet: Jedes Zimmer trage schon durch seine Ausstattung deutlich den Stempel seiner Bestimmung zur Schau. Von diesem Standpunkte aus seien die einzelnen Wohnräume hier einer näheren Betrachtung unterzogen, und der Anfang sei mit dem ›Wohnzimmer‹ gemacht.[8]

In diesem wird das Sofa wohl schwerlich zu entbehren sein; ferner müssen darin sein ein Tisch und genügend Stühle, sowie der Nähtisch der Mutter und ein Schränkchen an der Wand für Tassen und Gläser; der Fußboden sei mit einer Decke belegt, oder mindestens sei unter dem Tisch eine solche ausgebreitet; auch mag noch, bei bürgerlichen Ausstattungen, das Klavier in diesem Zimmer seinen Platz finden. Wird das Wohnzimmer zum Empfange von Besuchen benutzt, so ist es doppelte Pflicht der Hausfrau, für peinlichste Ordnung darin zu sorgen, und wenn Besuch kommt, den man noch wenig oder gar nicht kennt, muß die Herrin des Hauses oder die Tochter, sofern sie anwesend ist, eine etwa in Angriff genommene Handarbeit beiseite legen.

Wer öfter Besuche zu machen und zu empfangen in der Lage ist, dürfte besser daran tun, ein besonderes Empfangszimmer einzurichten. Dieses braucht weder groß noch üpptz ausgestattet zu sein, nur muß daraus alles verbannt werden, was darauf hindeuten könnte, als habe der Besuchende uns in unserer Beschäftigung gestört. Wem aber ein solches Empfangszimmer nicht zu Gebot steht, mag seinen Besuch, zumal höhergestellte Personen, in der ›guten Stube‹, im sogenannten ›Salon‹, empfangen. Besonders wenn der Hausstand noch mit kleineren Kindern gesegnet ist, stellt sich eine solche ›gute Stube‹ als Notwendigkeit dar, nicht nur zum Empfange des Besuchers, sondern auch zur besseren Schonung der wertvolleren Möbel.

Bei den besser Gestellten dient das Empfangszimmer häufig nur zum Empfange größerer Gesellschaften; für Leute aus jenen bevorzugten Ständen muß die Wohnung ferner noch einen Tanzsaal und einen entsprechend ausgestatteten Musiksaal enthalten. Dann darf darin das Eßzimmer oder der Eßsaal nicht fehlen, mit einem größeren Eßtisch in der Mitte des Raumes, den nötigen Stühlen, dem Büfett und den Anrichtetischen, sogenannten ›stummen Dienern‹. An der Wand dürfen wenig oder nur sogenannte ›Stilleben‹ darstellende Bilder angebracht sein, die Uhr muß wegbleiben, ebenso der Spiegel. An den Wänden mögen auf Sockeln einige seltene Gefässe (Krüge oder Becher) angebracht sein.[9]

Das Arbeitszimmer des Hausherrn wird am besten etwas dunkel in seiner Einrichtung gehalten, Tisch und Schränke von mattem Holzwerk, dunkle Gardinen vor den Fenstern, eine gute Arbeitslampe für den Schreibtisch, ein Papierkorb daneben, einige gute Bilder an der Wand, je nach Neigung oder Geschmack des Bewohners noch einige Waffen oder ein Rauchtisch – das sei alles, was in diesem Raume Platz finde.

Den besten Raum der ganzen Wohnung beansprucht das Schlafzimmer. Dieser Raum, der dem längsten ununterbrochenen und notwendigen Aufenthalte dient, wird leider in Deutschland noch zu viel vernachlässigt; zumal in den Großstädten wird in dieser Beziehung allen Gesetzen der Gesundheit gespottet, und nur zu häufig wird alle Bequemlichkeit nur den Empfangsräumen zugewendet, wogegen das Wohnzimmer schlecht, das Schlafzimmer aber noch viel schlechter wegkommt.

Im bürgerlichen Hausstande enthält das Schlafzimmer außer den Betten gewöhnlich den Waschtisch, einen Kleider- und einen Wäscheschrank und was sonst noch für die Kleidung notwendig ist. Das Schlafzimmer stets peinlich sauber und in Ordnung zu halten, ist erste Pflicht der Hausfrau. Besuche werden – wenigstens in Deutschland – im Schlafzimmer nicht angenommen. Selbst der Arzt wird nur bei ernsteren Fällen in diesen Raum geleitet; bei leichtem Unwohlsein empfängt man ihn im Wohnzimmer und wenn möglich sitzend, nicht liegend.

Das Schlafzimmer eines jungen Mädchens sei stets einfach eingerichtet. Die Bett- und Fenstervorhänge, sowie die Möbel und Überzugsstoffe sollen hell sein. Ein besonderes Arbeitstischchen mag darin nicht fehlen, denn die wohlerzogene Tochter wird in ihren Mußestunden manche Überraschung für die geliebten Eltern in ihrem Stübchen anfertigen wollen.

Das wären die Wohnräume der einfach bürgerlichen wie der besser gestellten Familie, und wie wir ausdrücklich bemerken wollen, haben wir nur das aufgeführt, was unbedingt notwendig für diese Räume ist. Aber da gibt es noch so vieles, das mit gutem Geschmack untergebracht werden kann und woraus die Sinnesrichtung, die geistige Bildung[10] der Bewohner zu erkennen ist. Mannigfach sind die kleinen Schmuckgegenstände, die der in diesen Räumen waltenden Hausfrau als Geschenk gegeben wurden, und die nun dazu dienen, dem Ganzen ein freundliches Aussehen zu leihen; im Wohnzimmer ein Blumentisch, der unter Umständen auch im Empfangszimmer untergebracht werden kann, in den Ecken Tische oder Aufbauten, an den Wänden Bilder oder Gemälde von Familienangehörigen, auf den Tischchen kleine Ziergegenstände – wer vermöchte alle die verschiedenen Hilfsmittel aufzuzählen, welche die gebildete Hausfrau anzuwenden versteht, um das Heim dem aus dem Gewühl der Arbeit wiederkehrenden Gatten so traulich und wohnlich zu machen, daß er mit Behagen stets zurückkehrt und mit stolzem Bewußtsein ausruft: »Mein Haus ist meine Burg.«

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 7-11.
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