Die Tauffeier für den Neugeborenen.

[27] Meistens nur wenige Wochen nach der Geburt findet die Taufe des Neugeborenen statt. Ihr Zeitpunkt wird, durch die Witterungsverhälnisse, durch das Befinden der Mutter oder durch anderes bestimmt und namentlich in protestantichen Gegenden statt in der Kirche öfter im Hause vorgenommen. Im letzteren Falle besorgen Hausherr und Hausfrau die Herstellung des Altars, zu dem sch am besten ein mittelgroßes Tischchen eignet, das mit einem schönen Damasttuch bedeckt, mit Efeu, Immergrün und Blumen geschmückt wird. Ein aus Blattwerk und Blumen gefertigtes Kreuz ist wohl eine passende Zierat für diese Gelegenheit. Alles übrige: Taufbecken, Leuchter usw. bringt der dem Geistlichen vorangehende Küster mit.

Die Einladungen zur Tauffeierlichkeit werden entweder durch Boten, durch Einladungskarten oder brieflich übermittelt. Hierbei ist zu unterscheiden, ob man die eingeladene Person als Zeugen, als Paten oder als Patin – oder nur als Gast für die Festlichkeit einladet. Jener hat bei dem kirchlichen Akt, finde er nun im Gotteshause oder in der Wohnung statt, zugegen zu sein, sofern er nicht durch Abwesenheit verhindert ist und sich vertreten läßt; dieser erscheint meist erst nach der heiligen Handlung.

Bei dieser Gelegenheit sei noch bemerkt, daß einem jeden mit der Aufforderung, Patenstelle zu übernehmen, eine Ehre seitens der Eltern zugedacht ist; wie also diese in dem Gesuch, sei es nun mündlich oder schriftlich, zu betonen haben, daß der Aufgeforderte ihnen durch Annahme der Patenstelle eine hohe Freude bereiten würde, so muß der Gebetene bei Annahme auch seinem Dank für die zugedachte[27] Ehre Ausdruck verleihen. Eine Patenschaft abzulehnen, wäre sehr verletzend; in der Regel erfolgt die Annahme bedingungslos. Auch die Annahme davon abhängig zu machen, daß dem Kinde der Taufname des zum Paten Aufgeforderten gegeben werde, ist unstatthaft; die Wahl des Namens ist Sache der Eltern, denen die Pflicht der Höflichkeit allerdings gebietet, den Täufling möglichst nach den Paten zu nennen.

Unschicklich ist es, im Range bedeutend höher gestellte Persönlichkeiten zur Patenschaft aufzufordern, weil dies als Selbstüberschätzung gedeutet werden könnte. Das beste ist, wenn man sich in dieser Beziehung lediglich an seine Verwandten und näheren Bekannten hält.

In den meisten Fällen wird der Täufling vom Paten beschenkt, sei es nun mit Taufkleidchen, Taufmützchen oder mit anderen Gegenständen. In vielen Gegenden ist es auch Sitte, das Patengeschenk nicht am Tauftage, sondern am ersten Geburtstage oder am er sten Weihnachtsfest zu spenden.

In kleineren Kreisen ist es auch noch üblich, die Hebamme sowohl dem Taufakt wie der nachfolgenden Festlichkeit als Gast beiwohnen zu lassen; in kleineren Städten und Dörfern besteht wohl auch hier und da noch der Brauch, der jungen Mutter während der ersten neun Tage nach der Entbindung die ›Wochensuppe‹ zu schicken – von der freilich die ganze Familie zu leben pflegt, weil sie aus mehreren Gerichten besteht.

Nach der Taufe große Festlichkeiten zu veranstalten ist mehr und mehr außer Brauch gekommen; wo es noch geschieht, da soll man nicht unterlassen, auch den Priester als Gast einzuladen und ihm den Ehrenplatz neben der jungen Mutter einzuräumen.

Rasch ist ein Jahr verschwunden, und der erste Geburtstag ist herangekommen. Das ist natürlich ein Freudentag für die Familie, ganz besonders aber ein Tag der reichsten Ernte für den jungen Weltbürger, dem von Eltern, Geschwistern, Verwandten, Paten, kurz von allen Seiten Geschenke zufließen. Mit fröhlichem Jauchzen und Händeklatschen gibt der kleine Held des Tages seiner Freude Ausdruck, und alle die lieben Geber fühlen sich belohnt dutch die strahlenden Blicke des Kleinen.[28]

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 27-29.
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