Polterabend und Hochzeitsfest.

[37] Der Polterabend ist ein Familienfest, zu dem außer den zur Hochzeit geladenen Gästen alle die hinzugezogen werden, die man zu der eigentlichen Hochzeitsfeier nicht einladen konnte, sei es, weil die letztere überhaupt nur in bescheidenen Grenzen stattfinden soll, oder weil es an Raum mangelte oder weil die Verhältnisse zwei so große, mit bedeutenden Ausgaben verknüpfte Festlichkeiten nicht gestatten. Wie bereits bemerkt, werden bei dieser Gelegenheit die Geschenke, die dem Brautpaar dargebracht wurden, ausgestellt. Zu dergleichen Geschenken wählen die Geber Gegenstände, die in den Bereich des Nützlichen wie des Angenehmen gehören, wobei es sich empfiehlt, daß unter den Verwandten und näheren Bekannten rechtzeitig Verabredungen getroffen werden, damit ein und derselbe Gegenstand nicht mehrfach geschenkt wird. Die intimsten Freundinnen der Braut schenken gewöhnlich den Brautkranz und den Brautschleier. Ein weitverbreiteter Brauch ist es, die Geschenke persönlich in Verkleidung zu überreichen; über die Art dieser Verkleidung, sowie über alle Vorkommnisse dieses Tages zu belehren, ist nicht der Zweck dieses Buches; es gibt darüber eine Menge von Sonderwerken, die in jeder Buchhandlung vorrätig sind.

Nur bezüglich der Kleidung sei bemerkt, daß die Braut am Polterabend nicht in Weiß, sondern in einem farbigen[37] Kostüm erscheint; die am häufigsten gewählten Farben sind rosa und blau oder blaßgrün. Die Gaste erscheinen am Polterabend in elegantem Gesellschafts- oder Ballanzuge, soweit sie eben nicht Kostüme gewählt haben und diese den ganzen Abend anbehalten wollen, was gestattet ist, denn der Polterabend ist ja ein Fest, bei dem dem Humor ganz besondere Rechte eingeräumt werden.

Wie jede Festlichkeit, ist aber auch der Polterabend mit Anstrengungen verknüpft und es wird deshalb die kirchliche Trauung, sowie die Hochzeitsfeier, häufig auf den zweitfolgenden Tag verschoben. In der Zwischenzeit oder auch am Vormittage des kirchlichen Trautages findet die Ziviltrauung statt, bei der Braut und Bräutigam, ebenso wie die Zeugen, in eleganter Straßen- oder Besuchskleidung, also nicht im Hochzeitskleide, erscheinen. Irgendwelche Festlichkeiten sind mit der Ziviltrauung nicht verbunden; findet die kirchliche Trauung erst am nächsten Tage statt, so ist es Gesetz der guten Lebensart, daß der Bräutigam den Aufenthalt im Hause seiner Braut, obwohl die jetzt schon seine rechtmäßig angetraute junge Frau ist, nicht bis in die späten Abend- oder Nachtstunden ausdehnt.

Werden Gäste von außerhalb zur Hochzeit geladen, so haben die Hochzeitgeber für deren Unterkunft zu sorgen. Bietet das eigene Haus dazu nicht genügend Platz, und sind keine Verwandten oder Freunde erbötig, einige Gäste bei sich zu beherbergen, so ist es Pflicht der Gastfreundschaft, in einem Gasthof passende Räume zu mieten.

Von den gegenseitigen Verhältnissen hängt es dann ab, wer die Kosten zu tragen hat.

Es ist ein Gebot der Gastfreundschaft, möglichste Aufmerksamkeit den von auswärts gekommenen Gästen zu widmen, sie am Bahnhof zu empfangen und in ihre Gastzimmer zu geleiten, ihnen alles auf die Festlichkeiten Bezügliche mitzuteilen und sie mit den übrigen Festgästen bekannt zu machen.

Ist dann endlich die große Stunde gekommen, so hat die Braut in weißer Kleidung zu erscheinen, mit Schleier[38] und Brautkranz aus Murten angetan. Ist die Braut bereits einmal verheiratet gewesen, dann trage sie nur ein Murtendiadem mit einigen Orangenblüten, aber keinen Schleier. Auch braucht das Kleid dann nicht weiß zu sein, man ziehe in solchem Falle eine silbergraue oder hellblaue Farbe vor.

Der Bräutigam erscheint, sofern er keine Uniform trägt, im Frack mit weißer Halsbinde, weißen Glacehandschuhen und mit Zulinderhut.

Geladene Gäste, wir meinen die Damen, vermeiden es, bei Hochzeitsfesten schwarze Seidenkleider zu tragen. Diese der Trauer gewidmete Kleidung ist bei Hochzeiten verpönt, ausgenommen bei Witwen oder bei älteren Damen, die helle Kleider gar nicht mehr tragen.

Bei der Traufeierlichkeit hört das Brautpaar die Rede des Geistlichen stehend an, wogegen die Gaste sich niedersetzen; beim Wechseln der Ringe kniet das Brautpaar nieder, während die Gäste sich erheben. Um eine Störung zu vermeiden, ist es zu empfehlen, die Ringe über dem Handschuh auf dem Finger bereit zu halten. Ist die Trauung vorbei, so reicht der Priester dem jungen Paar die Hand, die Braut wendet sich zu ihrer Mutter und von dieser geleitet zur Schwiegermutter. Lange Begrüßungen vor dem Altar sind unpassend; das beste ist, wenn das Brautpaar nach beendeter Feier sich in die Sakristei begibt und dort die Glückwünsche der Anwesenden entgegennimmt.

Arm in Arm verlassen die jungen Eheleute als die ersten die Kirche, gefolgt von den Eltern und den übrigen Gästen. Bei dem auf die Trauung folgenden Essen erscheint das junge Paar erst, wenn alle Gäste versammelt sind.

Einige allgemeine Verhaltungsmaßregeln erwähnend, sei gesagt, daß es unpassend ist, wenn die Braut bei dem Gange zum Altar, oder gar vor letzterem selbst, den Kopf dreht und ihre Augen in der Kirche umherschweifen läßt. Dutch ein ernstes, ruhiges und gemessenes Wesen soll sie vielmehr andeuten, daß sie von der Wichtigkeit des Schrittes, den sie eben unternimmt, durchdrungen ist. Aber auch von der Rührung darf sich die Braut nicht dermaßen überwältigen lassen, daß sie vor dem Altar in krampfhaftes[39] Weinen verfällt und eine Art von ›Szene‹ aufführt. Der Würde des Trauaktes entsprechend, hat die Braut gefaßt zu erscheinen, damit sie auf die bedeutungsvolle Frage des Geistlichen vernehmlich, aber nicht keck, antworten kann.

Braut und Bräutigam werden beim Gange zur kirchlichen Trauung von den Brautführern und Brautjungfern begleitet. Erstere tragen natürlich gleichfalls Frack usw., die letzteren wählen eine elegante, helle, aber nicht auffallende Kleidung. Der Kranz, den sie tragen, darf nicht überladen sein; Murten und Schleier sind, wenigstens in Deutschland, ganz ausgeschlossen.

Die Brautführer gelten als die Kavaliere der Brautjungfern für die ganze Dauer der Hochzeit. Da die Brautführer und Brautjungfern meistens aus dem nächsten Verwandten- und Freundeskreise gewählt werden, so muß man dabei auch etwa vorhandene Abneigungen oder Zuneigungen in Betracht ziehen.

Des Bräutigams Pflicht ist es, der ihm bestimmten Brautjungfer vorher seine Aufwartung zu machen und ihr einen schönen Blumenstrauß zu überreichen; sie jedoch im Wagen aus der Wohnung abzuholen, um mit ihr zur Kirche zu fahren, ist nur in einzelnen Gegenden Deutschlands Sitte; meistens fährt auch die Brautjungfer des Bräutigams in Begleitung eines Kavaliers, der die Vertretung des Bräutigams übernimmt, von ihrer Wohnung zur Kirche, woselbst sich alle Teilnehmer in der Sakristei versammeln, um dann den üblichen Zug nach dem Altar zu bilden.

An die Glückwünsche, die dem jungen Paar in der Sakristei nach beendeter Trauung dargebracht worden, schließt sich die Hochzeitstafel, die entweder im Hause der Braut oder in einem Gasthaus abgehalten wird. Bei der Tafel erhalten die Neuvermählten den Ehrenplatz, links und rechts von ihnen sitzen die Eltern, und der Prediger, wenn er am Mahle teilnimmt, sitzt dem Paare gegenüber. Die übrigen Gäste richtig zu setzen, ist Sache des Gefühls, und es braucht an dieser Stelle darüber wohl nichts gesagt zu werden.

Der erste Trinkspruch gilt natürlich den Neuvermählten, und wird er in der Regel vom Prediger ausgebracht; ist[40] dieser nicht anwesend, so muß einer der anderen Gäste ihn übernehmen, natürlich darf es nicht einer der Väter des Brautpaares, noch einer der allernächsten Verwandten sein. Der Bräutigam hat diesen Trinkspruch nicht zu erwidern; vielmehr muß er mit Standhaftigkeit alle bei solchen Gelegenheiten üblichen Reden über sich ergehen lassen.

Folgt dem Hochzeitsmahle ein Tänzchen, so muß dazu schon im voraus alles vorbereitet sein. Gewöhnlich zieht sich während desselben das junge Paar zurück, um sich auf die Hochzeitsreise zu begeben. Selbstredend nimmt damit das Fest noch kein Ende; vielmehr erreicht gewöhnlich nach diesem Verschwinden der jungen Eheleute die Fröhlichkeit erst ihren Gipfel. Unterbleibt jedoch eine Hochzeitsreise, so fällt meistens auch der auf das Mahl folgende Tanz weg und die Gäste ziehen sich bei guter Zeit zurück.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 37-41.
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