Gemütliche Tee- und Abendgesellschaften.

[89] Vielfach ist es Sitte, daß die Gesellschaft, die man bei sich zu Hause zur Tafel geladen hat, auch noch die Abendstunden beisammen bleibt, und so mag denn auch hier gleich gesagt werden, wie man sich bei Tee-und Abendgesellschaften zu verhalten hat.

Bei derlei Festlichkeiten ist vorweg das Verhalten eines jeden Teilnehmers zwangloser, als bei großen Festessen oder selbst bei Bällen. Gewöhnlich sind die dazu Geladenen untereinander bereits bekannt, vielfach wohl sogar miteinander verwandt, und daraus ›sowie aus dem Umstande‹ daß bei Abendgesellschaften der persönlichen Beweglichkeit jedes einzelnen größerer Spielraum gewährt bleibt, gewinnen solche Abendgesellschaften einen Reiz, der sie in der Gesellschaft als gern gesuchtes Vergnügen gelten läßt.[89]

In wohlhabenderen und vornehmen Familien ist es Sitte, während des Winters eine Anzahl von Abendgesellschaften zu veranstalten, in vierzehntägigen oder monatlichen Zwischenräumen. Wer zur ersten derartigen Abendgesellschaft geladen wird, ist, wie zumeist aus dem Wortlaut der Einladung zu ersehen ist, auch zu den folgenden geladen, und die Daten dieser sind ebenfalls in der Einladung angegeben. Indes ist niemand verpflichtet, jeden Abend zu erscheinen oder aber abzusagen; wer von den Eingeladenen kommt, darf sich freundlichen Empfanges verschert halten, wer aber nicht erscheint, gilt als entschuldigt. Man ersieht also hieraus, daß solche Einladungen nur den engeren Bekannten des Hauses gemacht werden, und ein weniger umständliches, förmliches Verhalten gegen einander ist die Folge.

In selchen gemütlichen Abendgesellschaften ist der Zwang verpönt; man plaudert ungezwungener über öffentliches Leben, über Ereignisse auf den Gebieten der Künste und Literatur; die älteren Herren setzen sich zu ihrer Partie Skat, Tarock oder wie das Spiel heißen mag, die Damen ziehen ihre Handarbeiten hervor, die jüngeren Herren suchen sich so angenehm wie möglich zu machen, man musiziert, deklamiert, Scherz und Fröhlichkeit beleben den Abend, kurz, alles ist in der vergnügtesten Stimmung.

Sind derartige Abendgesellschaften selbständig veranstaltet, das heißt, bilden sie nicht den Abschluß eines Mittagessens oder dergleichen, so erscheint man dabei auch nicht in großer Kleidung, sondern kleidet sich, wie man es bei Konzerten etwa tun würde. Gewöhnlich ist auf den Einladungen zu derlei Abendunterhaltungen auch eine Bemerkung angebracht, die besagt, daß Herren im Überrock, Damen also auch entsprechend einfacher gekleidet, erscheinen mögen.

Bei sogenannten kleinen Teegesellschaften, deren Teilnehmer etwa die Zahl zwölf erreichen, steht ein fertig gerichteter Tisch in der Nähe der Haus, ran. Auf diesem Tisch befinden sich ein Brettchen mit Tassen, ein anderes mit dem Teegeschirr und den Kuchenkörben. Ausdrücklich sei bemerkt, daß dieser Tisch bereits vor Erscheinen der Gäste geordnet sein muß. Die Bedienung übernimmt bei kleineren Gesellschaften die Hausfrau selbst, der hierbei die Töchter des Hauses oder ein anderes der anwesenden jungen[90] Mädchen helfend zur Seite stehen. Die Hausfrau gießt den Tee ein, die Tochter stellt die Tasse auf den Untersatz, der neben Zuckerschale und Sahnetöpfchen auf dem Tablett schon bereit steht, und bietet dann den Anwesenden, gefolgt von dem anderen ungen Mädchen mit dem Kuchenkorbe, die Tassen an. Zuerst werden die älteren Damen bedient, dann die älteren Herren usw. –

Hat man seine Tasse geleert, so stelle man sie still wieder auf den Anrichtetisch und erwarte nicht, daß jemand sie abhole. Die Hausfrau wird aber bemerken, daß einer ihrer Gäste die Tasse weggestellt hat und wird ihm eine zweite anbieten lassen oder aber, die jungen Damen machen ohne weiteres mit der Teekanne die Runde.

In Häusern und Fami.ien, wo der Tee nicht im Empfangszimmer, sondern im Speisezimmer an einem eigens dazu gedeckten größeren Tisch genommen wird, werden außer Kuchen noch andere, an Teeabenden übliche Gerchte, kalter Aufschnitt und dergleichen, genossen, sonst aber wird nichts weiter gereicht. Wo aber die vorhandenen Räumlichkeiten es gestatten, verteilt sich die Gesellschaft in rings umher sitzende und stehende Gruppen, die im Plaudern den Tee nehmen; dort sind die Speisen an kleineren, beliebig zu stellenden Anrichten bereitgestellt.

Die Zeit des Beginns einer solchen Abendgesellschaft ist zwischen sieben und neun Uhr.

Quelle:
Berger, Otto: Der gute Ton. Reutlingen [1895], S. 89-91.
Lizenz:
Kategorien: